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Bereits am 26. Juni erschütterte eine Explosion Potsdam. Eine Fünf-Zentner-Bombe auf dem Boden der Havel wurde gesprengt.

© dpa

Erkenntnisse aus der Bombensprengung: Wenn Potsdams Untergrund bebt

Nutznießer einer Bombensprengung: Geoforscher messen Erschütterung per Glasfasernetz – so sollen geothermische Quellen gefunden werden.

Potsdam - Am Mittwoch, 15. Juli 2020, soll in Potsdam wieder eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg unschädlich gemacht werden – per Entschärfung oder Sprengung. Sie liegt vermutlich im Aradosee in der Nähe des Hauptbahnhofs in der Teltower Vorstadt. Alle Details will das Rathaus erst am Montag bekanntgeben.

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Bereits war vor gut zwei Wochen bereits ein 250 Kilogramm schwerer Blindgänger im Wasser der Havel gefunden und kontrolliert gesprengt worden. Von den Sperrmaßnahmen waren 13.000 Menschen betroffen, auf der nahen Freundschaftsinsel gab es leichte Schäden. Doch der Wissenschaft brachte der große Knall neue Erkenntnisse.

Kabel in Bewegung. Einflüsse wie Wind und Fahrzeuge erzeugen Bewegungen, die sich in den Boden fortpflanzen und die Glasfaser zum Schwingen bringen.
Kabel in Bewegung. Einflüsse wie Wind und Fahrzeuge erzeugen Bewegungen, die sich in den Boden fortpflanzen und die Glasfaser zum Schwingen bringen.

© B. Schöbel, GFZ

Dies könnte auch am Mittwoch so sein, sollte die 250-Kilogramm-Bombe US-amerikanischer Bauart wieder gesprengt werden müssen. Bei der letzten Sprengung hat das Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ) die Erschütterungen des Untergrunds mithilfe des Glasfasernetzes gemessen. Ob das noch einmal möglich sein wird, entscheide sich erst Anfang der Woche, sagte Arbeitsgruppenleiter Thomas Reinsch den PNN. Beim letzten Mal habe die Einrichtung der Messstellen spontan geklappt.

Eine "sehr gute Signalquelle”

Seit April forscht das Team um Reinsch im Rahmen des Projekts „geoPuR“, das von der Investitionsbank des Landes Brandenburg gefördert wird. Ziel ist die Erstellung eines geologischen Modells des Potsdamer Untergrunds. Die Forscher messen dafür minimale Veränderungen der Glasfaserkabel, die etwa durch Autoverkehr oder Wind ausgelöst werden. Auch Erdbeben ließen sich so erkennen, sagt Reinsch. Die Explosion einer 250-Kilogramm-Bombe sei dafür eine „sehr gute Signalquelle”. Langfristig soll das Messverfahren unter anderem dabei helfen, geothermische Quellen zu finden, die für die Gewinnung von Erdwärme benötigt werden, sagt Reinsch. Mit dieser „Vorauserkundung” mittels Glasfasernetz würden die Forscher jene Stellen erkennen können, an denen sich Bohrungen lohnen könnten.

Das Forschungsprojekt wird auch von den Potsdamer Stadtwerken unterstützt. Langfristig planen die Stadtwerke, Erdwärme zur Energieversorgung zu nutzen, etwa beim großen Bauprojekt auf dem früheren Tramdepot in der Heinrich-Mann-Allee. Erdwärme gilt als nahezu unerschöpfliche Energiequelle, die auch für Klimaschutz und Luftreinhaltung große Potenziale bieten kann.

Erkenntnisse über Beschaffenheit geologischer Schichten

Für die jüngste Messung hat das GFZ 15 sogenannte Geophone auf dem Telegrafenberg und drei Geophone auf der Freundschaftsinsel in zehn, 50 und 100 Meter Entfernung vom Bombenfundort aufgestellt. Mehrere Schallmessgeräte befanden sich auf dem Telegrafenberg, in Potsdam-West und in unmittelbarer Fundortnähe, in der Helmholtz-Straße sowie in Berlin-Westend. Zudem wurden zwei Glasfaserleitungen des städtischen Telekommunikationsnetzes als Sensoren genutzt. Eine Messlinie verlief von der Posthofstraße zur Steinstraße entlang der Großbeerenstraße unterhalb der Havel in 75 Meter Entfernung von der Detonation, eine weitere in Richtung Potsdam West entlang der Zeppelinstraße.

Lange Leitung. Anhand einer Glasfaserleitung (grün) untersuchte das GFZ bei der Bombensprengung den Potsdamer Untergrund. Messpunkte waren das Brandenburger Tor (A), der Hauptbahnhof Potsdam (B), der Telegrafenberg (C) und der Filmpark Babelsberg (D). Die Farben oben links verdeutlichen die Stärke der Bodenbewegung.
Lange Leitung. Anhand einer Glasfaserleitung (grün) untersuchte das GFZ bei der Bombensprengung den Potsdamer Untergrund. Messpunkte waren das Brandenburger Tor (A), der Hauptbahnhof Potsdam (B), der Telegrafenberg (C) und der Filmpark Babelsberg (D). Die Farben oben links verdeutlichen die Stärke der Bodenbewegung.

© M. Lipus, GFZ

Das Verfahren, die Glasfaserkabel für die Erforschung des Untergrunds einzusetzen, könnte durchaus wegweisend sein „für die Erkundung und Überwachung im innerstädtischen Raum“, so das GFZ. Es sei „kostengünstig und schnell umsetzbar“. Die Glasfaserdaten bildeten Strukturen und Eigenschaften im Untergrund genauer ab als bei der Messung mit Geophonen. Die Potsdamer Geoforschern hatten erstmals 2015 eine derartige Messung auf Island durchgeführt. Mit den gewonnenen Daten können die Forscher Erkenntnisse über die Beschaffenheit geologischer Schichten in bis zu vier Kilometern Tiefe gewinnen.

Sprengung noch offen

Ob sie das Untergrund-Bild Potsdams am Mittwoch noch einmal mit einer großen Erschütterung erweitern können, ist noch offen. Ebenso, ob die entdeckte Bombe sich wirklich auf dem Boden des Aradosees in der Teltower Vorstadt befindet. Bereits im vergangenen Jahr hatten Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes des Landes das Gewässer abgesucht. Hintergrund sind geplante Maßnahmen zur Renaturalisierung des Baggersees. Der wurde vor etwa 250 Jahren angelegt, um Erde für die Begradigung der Nuthe zu gewinnen.

In den 1930er Jahren wurden in der Teltower Vorstadt Jagdflugzeuge für Hitlers Luftwaffe produziert. Die Arado Flugzeugwerke, nach denen der Aradosee benannt ist, unterhielten dort einen Zweigbetrieb. Deutsche Rüstungsbetriebe wurden von den Alliierten ab 1944 gezielt aus der Luft angegriffen.

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