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Zum elfen Mal lud die Babelsberger Filmproduktionsfirma Ufa Absolventen von Schauspielschulen zum Casting ein.

© Joachim Liebe

Ein Besuch beim großen Schauspieler-Casting in Babelsberg: „Schönheit zieht immer“

Am Samstag fand in Babelsberg ein Absolventen-Casting der Ufa für angehende Schauspieler statt. Ein Besuch.

Potsdam - Lea Ostrovskiy versucht es sich auf der blauen Couch bequem zu machen. Hinter ihrem Rücken liegt der Text, den sie in den letzten zwei Wochen gelernt hat. Die weiß gestrichenen Wände heben sich vom blauen Teppichboden ab. Vorhänge verstecken die Fenster.

Gegenüber der 22-Jährigen sitzen vier Menschen: Casting-Direktorin Nina Haun, ein Kameramann und zwei Mitarbeiterinnen der Babelsberger Filmproduktionsfirma Ufa. Ostrovskiy absolviert gerade ihr erstes großes TV-Casting. Sie studiert an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin – und möchte Schauspielerin werden, gerne beim Film. Am Samstag kam sie nach Babelsberg, um sich dort für potenzielle Rollen vorzustellen.

Insgesamt wurden bisher 1500 Schauspieler gecastet

Zum elften Mal lud die Ufa Absolventen von 19 deutschsprachigen Schauspielschulen zum Nachwuchs-Casting ein, initiiert wurde das Ganze vor zehn Jahren von Casting-Chefin Haun. In diesem Jahr kamen über 150 Absolventen an vier Tagen, 1500 Nachwuchs- Schauspieler wurden bisher insgesamt gecastet. Diese lernten ihr Handwerk an Schulen wie der „Ernst Busch“ – oder eben an der Filmuniversität „Konrad Wolf“, von der sechs Studenten zum Absolventen-Casting kamen. Ein Marathon auf der Suche nach neuen Gesichtern.

Eines dieser neuen Gesichter könnte Lea Ostrovskiy sein. Oder ihr Kommilitone Felix Mayr, 23. Der gebürtige Schweizer studiert zusammen mit Ostrovskiy. Sie kamen zusammen zum Casting, spielen hier einen Dialog vor. Die Skripte dafür wurden eigens von einer Autorin der Ufa geschrieben. Dadurch sollen die Schauspieler möglichst ohne Vorbild ins Casting kommen. Das funktioniert. „Um nicht zu verkrampft zu wirken, haben wir es mit dem Proben nicht übertrieben”, verrät Nachwuchs-Schauspieler Mayr. Bloß nicht zu gestellt wirken. Eine Königsdisziplin für Schauspieler. Dennoch ist eine gute Vorbereitung das A und O (siehe Kasten).

Es geht darum Kontraste darzustellen

Ostrovskiy und Mayr stellen sich erst einzeln vor. Sie kommt gebürtig aus Hamburg, er aus Zürich. Ihre Dialekte, ihr Alter, ihre Ausbildung. Alles wichtige Punkte. Zum Schluss geht es kurz um das Aussehen. Die Kandidaten zeigen sich von beiden Seiten im Profil. Anschließend geht es ans Spielen.

Die Vertrautheit kommt den Studienfreunden zugute. Sie haben keine Berührungsängste, albern herum. In der Casting-Situation stellen sie eine Szene dar, die ihre emotionale Bandbreite abfragt. Sie schauen fern, sitzen auf einer Couch. Ein Dialog. Wut, Scham, Verlangen, Belustigung. All diese Emotionen müssen sie in wenigen Minuten zeigen. Harmonie und Disharmonie. Kontraste. Darum geht es.

Beim zweiten Durchgang sind die Darsteller lockerer

Nach dem ersten Durchlauf gibt es Kritik von Ufa-Bereichschefin Haun. Immer freundlich, aber bestimmt. Beim zweiten Durchlauf wirken die Darsteller lockerer. Auch Haun wirkt begeistert. 20 Minuten dauert je ein Casting. Danach kommen die nächsten zwei Kandidaten.

Casting-Direktorin Haun, 47, besetzte unter anderem Filme wie „Toni Erdmann” oder „Ku’Damm 56”. „Schauspielnachwuchs ist sehr wichtig für uns. Durch dieses Casting sind wir sehr früh an neuen Talenten dran.” Immer wieder neue, frische Gesichter seien wichtig für den Film. Um das zu gewährleisten, achtet die Ufa auf unterschiedliche Charaktere. „Wir möchten hier keine Klischees bedienen“, sagt Haun. Viele Rollen seien für Männer geschrieben. „Diese kann man aber auch mit Frauen besetzen. Richter zum Beispiel.“ Was ihr wichtig ist? „Eigenes Aussehen, Charaktertypen, erzeugen Vertrauen beim Publikum. Ein Jürgen Vogel zum Beispiel“, sagt sie. In ihrem Büro blättert sie einen Katalog von Schauspieler-Setcards durch.

„Es gibt nichts Schlimmeres, als einen gestellten Dialekt“

Zu einigen Gesichtern erzählt sie Anekdoten, merkt sich kleinste Details. Zum Beispiel zu Max Bretschneider, der unter anderem in der Serie „Charité“ mitwirkte. „Max macht Kampfsport.“ Das sieht man an seinem muskulösen Körper. Hobbys sind wichtig. Auch die Herkunft, zumindest wenn es um Aussprache geht. „Es gibt nichts Schlimmeres, als einen gestellten Dialekt.“

Haun sagt auch: „Wir casten nur Menschen, die an einer Schauspielschule waren.“ Dort erlernen die Studenten aber vor allem die Techniken des Theaters. „Fernsehen wird kaum behandelt. Die Absolventen sind fit für die Theater-Welt, aber selten für den Film. Dafür gebe ich seit ein paar Jahren einen Workshop.” In diesem Workshop bereitet Nina Haun junge Schauspieler auf die Arbeit vor der Kamera vor. Dabei achtet sie auf Authentizität. Der Zuschauer merkt, wenn ein Schauspieler nicht in seine Rolle passt. Filme sind Projektionsflächen der Gesellschaft, erklärt Haun. Neben einem authentischen Auftreten gibt es andere wichtige Faktoren. „Schönheit zieht immer.“ Und auch gute Fotos seien der Eintritt in die Branche. Aber das ist nicht alles. Charaktertypen, besondere Gesichter, unterschiedliche Körpertypen, verschiedene Ethnien und Sexualitäten sind heute gefragt. Chancen für viele, die vor wenigen Jahren noch keinen Fuß in der Branche fassen konnten. Die Filmindustrie ist offener geworden, so der Eindruck.

Casting-Direktorin Haun stellt den Schauspielern auch private Fragen

Offenheit. Genau dieses Gefühl breitet sich im Casting-Raum aus. Nina Haun lacht immer wieder, stellt den Schauspielern private Fragen. „Was war dein schönstes Weihnachtsgeschenk? Kannst du die Frage in einem Dialekt beantworten?“ Mit solchen Herausforderungen möchte Haun einen kleinen Einblick in die Persönlichkeit des Darstellers bekommen. „Die Schauspieler sollen sich gut abgeholt und nicht wie Ware fühlen.“ Nur dann können sie auch gute Leistung bringen. Gerade wenn die Schauspieler neu im Geschäft sind. Nina Haun punktet mit Fingerspitzengefühl, weiß mit der Nervosität des Nachwuchses umzugehen. Sie sieht die Schauspieler nicht nur mit den Augen, sie versucht ein Gefühl einzufangen. „So besetzt man am besten Rollen.“

„Das lief doch gut“, sagt sie, nachdem Lea und Felix den Raum verlassen haben. Die Schauspielstudenten wirken ebenfalls erleichtert. Eine Probe auf das echte Leben eines Schauspielers. Hier ging es immerhin um keine konkrete Rolle. Das nimmt Druck raus. Dennoch aufgeregt gewesen? „Es ging. Macht man sowas drei-, viermal durch, ist es immer wieder dasselbe.“ Ob sie nun eine Rückmeldung bekommen, ist freilich ungewiss.

Sebastian Goddemeier

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