zum Hauptinhalt

"Die Zornschaukel" - Buch eines Potsdamer Rechtsanwalts: Versöhnung statt Vergeltung

Der Potsdamer Rechtsanwalt Thorsten Purps hat ein Buch über die Ursprünge des Hasses in der Welt geschrieben. „Die Zornschaukel“ ist ein philosophischer Diskurs.

Seine Eltern hätten ihn damals vielleicht ins Kinderzimmer geschickt, als im Fernsehen der Film über das Pinochet-Regime in Chile lief. Aber die Großmutter ließ den Zwölfjährigen zuschauen. 1973 oder 1974 kann das gewesen sein. Thorsten Purps sah, wie Menschen verfolgt, verhaftet und gefoltert wurden. Und stellte sich zum ersten Mal in seinem Leben die Frage: Wie kann das sein? Warum machen Menschen so was?

„Das war ein Schlüsselerlebnis für mich“, sagt Thorsten Purps, 55 Jahre alt und seit 24 Jahren Rechtsanwalt in Potsdam. Die Themen Gerechtigkeit und Menschenrechte, Ethik und Moral gehören zwar zu seinem Berufsbild. Aber Purps beschäftigt sich auch darüber hinaus immer wieder mit den großen Fragen der Menschheit. Und seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA insbesondere mit der Frage aller Fragen: Woher kommt der Hass in der Welt? Und was kann man dagegen tun? Jetzt hat er dazu ein Buch geschrieben. „Die Zornschaukel. Ursprünge der enthemmten Gesellschaft“ ist in diesem Jahr im Potsdamer Wissenschaftsverlag Welttrends erschienen. Auf der Leipziger Buchmesse im März konnte Purps schon erstes Feedback sammeln: „Ausnahmslos positiv“, sagt der Autor.

Es ist kein einfaches Buch. Purps versucht, die großen Themenbrocken Zivilisationsgeschichte und Religion, Philosophie und die rasanten Entwicklungen unseres digitalen Zeitalters neu zu sortieren. Zusammenhänge aufzuzeigen, die erklären könnten, warum die Menschheit sich in einer brenzligen Situation – Purps nennt es „vor einer Leidensklippe“ – befindet. Ein ziemlich komplexes, ehrgeiziges Projekt. Man muss sich durch die dichte Sprache etwas durchbeißen. Wann, so fragt man sich als Leser, wann kommt die Antwort auf die Frage? Und kommt sie überhaupt? Die erlösende Weltformel?

Vielleicht braucht es gar keine erlösende Weltformel, sagt Purps. Denn erstens sei die Situation nicht so schlimm, dass die von vielen prophezeite Katastrophe um die Ecke lauert. „Wir haben schon so viel geschafft in dieser Welt“, sagt Purps. „Wann gab es jemals in der Geschichte so viel Kommunikation unter den Wortführern der großen Weltreligionen?“ Den Zentralräten der Juden, Christen und Muslime, denen Purps gern sein Buch empfehlen würde. Ebenfalls auf der Haben-Seite: Es gebe heute weniger Armut als noch vor einigen Jahrzehnten und die weltweite Bildungs-, Ernährungs- und Umweltsituation habe sich durchaus verbessert. Der Mensch neige allerdings dazu, das Negative mehr wahrzunehmen. Zweitens würde die Menschheit eine Katastrophe wie einen Weltkrieg nicht überleben. Mit der vom Philosophen Peter Sloterdijk diskutierten These, dass die Menschheit mal wieder eine Art reinigende Katastrophe brauche, kann Purps nicht mitgehen.

Und dennoch – oder gerade deshalb – liefert er am Ende eine kleine Weltformel. Weil die Menschen es selber in der Hand haben, wie es weitergehen soll. „Wir brauchen Versöhnung statt Vergeltung vor der Eskalation, Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln in Philosophie und Religion, mehr Bildung und eine Stärkung der Rolle der Frau“, sagt Purps. Schließlich sei die Menschheit in den Jahrtausenden, als es überwiegend matriarchalisch zuging, ganz gut zurechtgekommen.

Adressaten seiner Botschaft sind alle, die sich mit den aktuellen politischen Themen befassen. Und die Entscheidungsträger der Gesellschaft. „Das Buch muss kein Bestseller werden. Aber das Thema ist mir wichtig. Und vielleicht kann ich damit ein paar Türen öffnen.“

Es ist nicht sein erstes Buch. Nach einem Fachbuch und einem zur Bodenreform schrieb er vor zwei Jahren über seine Reise zum Finale der Fußball-WM in Brasilien – Purps kann auch entspannt. Sein nächstes Buch ist eine Gedichtsammlung. Humorig-Ernstes zu aktuellen Themen im menschlichen Miteinander.

Immer schon hat er gern geschrieben. Sich mit der Wirkung der Sprache, der Wörter beschäftigt. In der Schule in einer Kleinstadt im Münsterland war er Klassensprecher, später sogar Schulsprecher. Mit 15 Jahren habe er mit dem Begriff Soziale Gerechtigkeit etwas anfangen können. Er machte sein Abitur, begann in Münster ein Jurastudium, beteiligte sich an Anti-AKW-Demos in Brokdorf. „Ich konnte auch rebellisch sein.“ Aus der katholischen Kirche trat er aus, als die Missbrauchsfälle ans Licht kamen. Im selben Jahr übrigens, sagt Purps – ohne jedoch einen Zusammenhang heraufbeschwören zu wollen –, in dem er Mitglied im Fußballverein Borussia Dortmund wurde.

1992 kam das Angebot, in der Potsdamer Kanzlei Rinsche und Speckmann zu arbeiten. Die Situation nach der Wiedervereinigung, das Aufeinandertreffen zweier so unterschiedlicher Zivilgesellschaften, das reizte ihn. Dafür nahm er sogar das damals noch sehr baufällige Potsdam in Kauf. „Hier sah es furchterregend aus.“ Die ersten zwei Monate wohnte er zur Untermiete bei einer alten Dame in Babelsberg. Acht Quadratmeter mit Frühstück für mehr als 900 DM – ein Wucherpreis. Aber besser als Hotel. Einer seiner ersten Fälle: Ein Arbeitnehmer, dem aufgrund seiner verschwiegenen Tätigkeit für die Stasi gekündigt worden war. Nicht einfach für einen West-Import. „Ich wollte ein faires Verfahren – aber nicht zum Mittäter werden“, sagt der Anwalt.

Heute heißt die Kanzlei Streitbörger Speckmann, Purps beschäftigt sich überwiegend mit Erbrecht, Rückübertragungs- und Entschädigungsansprüchen. Dabei hat er Mandanten schon vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten, erfolgreich. Der Heißsporn aus dem Westen, der er anfangs bisweilen war, sei er wohl nicht mehr. „Ich glaube, man nimmt mich heute als sachlich-streitbaren Kämpfer wahr.“ Im Grunde sei er ein Romantiker. Der sich mit der „Zornschaukel“ auch etwas von der Seele schreiben wollte. Vielleicht wird er eines Tages einen philosophischen Salon in Potsdam gründen. „Das wäre doch eine gute Idee.“

Zur Startseite