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"Die Nacht von Potsdam": 37 Minuten, um Potsdam in Trümmer zu legen

Am Freitag jährt sich die Zerstörung Potsdams durch einen britischen Luftangriff im Zweiten Weltkrieg zum 72. Mal. Bis heute ist das Stadtbild nachhaltig davon geprägt.

Potsdam - Man könnte es als Ironie des Schicksals betrachten, auch als eine Laune der Geschichte. Doch dafür ist die Sache eigentlich viel zu bitter: Morgen vor 72 Jahren, am 14. April 1945, dem Tag, an dem Potsdam durch einen britischen Luftangriff seine alte Schönheit verlor und 2000 Menschen in den Trümmern starben, da stand in der Garnisonkirche eine Veranstaltung auf dem Programm, deren Titel im Wesentlichen lautete: „Unser Sieg über das Böse.“

Zwölf Jahre zuvor hatte mit dem "Tag von Potsdam" das nationalsozialistische Unheil einen symbolischen Anfang genommen

Nachzulesen ist dies in dem kürzlich erschienenen Buch „Für Deutschtum und Vaterland“ des Berliner Journalisten Matthias Grünzig, in dem er die Geschichte der Garnisonkirche im 20. Jahrhundert beschreibt. Für eine mehrtägige Rüstzeit in dem Gotteshaus an der Breiten Straße hatte man damals sieben Bitten formuliert, über die gesprochen werden sollte. Am 14. April 1945 stand die siebente und letzte Bitte auf dem Programm. Es war jene, die den Sieg über das Böse propagierte. Gewiss, diese Bitte kann rein theologisch verstanden werden und muss nicht von Waffengewalt künden. Doch dass ausgerechnet in der Garnisonkirche am Tag der Zerstörung Potsdams vom Sieg über das Böse die Rede sein sollte, lässt erschaudern. Zwölf Jahre zuvor hatte an gleicher Stelle mit dem „Tag von Potsdam“ das nationalsozialistische Unheil symbolisch einen Anfang genommen.

Nun, am 14. April 1945, sollte also die „Nacht von Potsdam“ über die einstige Residenzstadt hereinbrechen. Den genauen Ablauf des britischen Fliegerangriffs, der den Codenamen „Crayfish“ (Flusskrebs) trug, hat der mittlerweile verstorbene Potsdamer Lokalhistoriker Hans-Werner Mihan minutiös rekonstruiert – nachzulesen in seinem erstmals 1997 erschienenen Buch „Die Nacht von Potsdam“. Demnach starteten am 14. April 1945 zwischen 17.45 Uhr und 19 Uhr von 25 Flugplätzen in Großbritannien aus 500 Lancaster und zwölf Mosquitos. Für drei Ablenkungsangriffe auf Cuxhaven, Wismar und Berlin stiegen weitere 100 Flugzeuge der Royal Air Force auf. Zusätzlich kamen 112 Maschinen für die Radarstörung und Überwachung der deutschen Nachtjagd-Flugplätze zum Einsatz. Insgesamt also waren 724 britische Flugzeuge an der Operation beteiligt.

Um 23.16 Uhr drehte der letzte Bomber ab

Um 22.15 Uhr wurde in Potsdam Luftalarm ausgelöst. Den endgültigen Befehl zum Abwurf der Markierungsbomben gab der Leiter des Einsatzes, Oberstleutnant Hugh Le Good, in seiner Lancaster um 22.39 Uhr. Eine Minute später begann das Bombardement. Lediglich weitere 37 Minuten benötigte die britische Luftwaffe, um Potsdam in Trümmer zu legen. 23.16 Uhr drehte der letzte Bomber ab.

Über den Zweck dieses Angriffs ist in der Vergangenheit kontrovers diskutiert worden. Und ganz verstummt ist die Debatte bis heute nicht: Hatte man Potsdam aus rein militärischen Gründen angegriffen – wie Mihan annahm – oder sollte mit dem Bombardement vielmehr der mit dem Namen dieser Stadt verbundene militaristische Ungeist quasi symbolisch beseitigt werden? Diese These von der geistesgeschichtlichen Motivation des Bombenangriffs vertritt der Publizist Jörg Friedrich in seinem 2002 erschienenen Buch „Der Brand“.

Warum wurde Potsdam im April 1945 noch bombardiert?

Für den Historiker Harald Potempa von dem in Potsdam ansässigen Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr ist die Frage nach dem Zweck des Angriffs vom 14. April 1945 zwar nicht absolut letztgültig zu beantworten, doch eine sehr deutliche Tendenz gibt es für ihn: Die britischen Akten legten zumindest nahe, so Potempa, dass der Fliegerangriff allein aus militärischen Gründen erfolgt sei. „Inwieweit da noch etwas anderes mitschwingt, ist reine Spekulation“, sagt der Militärhistoriker. Dass die Briten mit ihrem Luftangriff die Stadt Potsdam vor allem als einen für die Nazis symbolträchtigen Ort treffen wollten, könne man „aus den Akten nicht nachweisen.“ Es sei allerdings auch nicht auszuschließen.

Potempa verweist auf den Inhalt des britischen Angriffsbefehls, in dem es heißt, es seien Eisenbahnanlagen sowie Kasernen zu zerstören. Und tatsächlich wurde ja dann besonders das Gelände am Bahnhof bombardiert. Zwar trafen die Bomben auch südliche Teile der Innenstadt, doch man müsse, so Potempa, dabei berücksichtigen, dass die Zielgenauigkeit der Bomber von starken technischen Grenzen bestimmt war. Generell hätten die Briten mit ihren Luftangriffen auf deutsche Städte aber auch die Strategie verfolgt: „Wie erreiche ich einen Zustand, in dem die deutsche Moral zusammenbricht?“

Historiker gehen von 1593 Todesopfern aus

Welche Details zur Potsdamer Bombennacht Historiker zukünftig auch noch ans Licht bringen mögen – unbestritten ist die verheerende Wirkung des Angriffs auf die Stadt. Bis heute ist das Stadtbild davon nachhaltig geprägt. Nicht zu vergessen: die vielen Todesopfer. Historiker gehen von 1593 Opfern aus.

Exakt 200 Jahre, nachdem am 14. April 1745 der Grundstein für Potsdams berühmtestes Schloss gelegt wurde – jene Rokoko-Sommerresidenz Friedrichs II. auf dem Weinberg , die die Sorgenfreiheit, Sanssouci, im Namen trägt, ereilte Potsdam die womöglich sorgenreichste Nacht in seiner Geschichte. Der von Deutschen entfesselte Feuersturm war zurückgekehrt – an einen symbolkräftigen Ort.

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Leichen so klein wie Puppen: Luise Lunow, damals 13 Jahre, erinnert sich an das Inferno.

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