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Die Linke zur Kommunalwahl 2019: „Sparen ist der falsche Ansatz“

Die Linke-Kreisvorsitzenden Kati Biesecke und Stefan Wollenberg sprechen im PNN-Interview über Parteiaustritte, schlimme Fehler, Bus- und Tramfahren zum Nulltarif und Südafrika.

Von Matthias Matern

Frau Biesecke, Herr Wollenberg, seit der Kommunalwahl 2003 gehen die Stimmenanteile Ihrer Partei in Potsdam kontinuierlich zurück. Von 33,8 Prozent auf zuletzt 25,3 Prozent. Fürchten Sie, dass sie diesmal gänzlich unter die Räder geraten?

Stefan Wollenberg: Natürlich hat sich das Kräfteverhältnis in der Stadt verändert. Ich bin mir aber sicher, dass wir insgesamt auf einem guten Weg sind und auch dieses Mal wieder ein gutes Ergebnis erzielen werden.

20 plus?

Stefan Wollenberg: 20 plus auf jeden Fall.

Was war der größte Fehler, den Ihre Fraktion in den vergangenen fünf Jahren gemacht hat?

Stefan Wollenberg: Ich glaube nicht, dass es den einen großen Fehler gibt. Politik ist immer ein Abwägungs- und Kompromissfindungsprozess. Richtig oder falsch gibt es meines Erachtens in der Politik nur sehr selten.

Also gibt es auch nicht den großen Erfolg, den Sie sich auf die Fahne schreiben könnten?

Stefan Wollenberg: Da würde ich schon einige sehen.

Zum Beispiel?

Stefan Wollenberg: Die Tatsache, dass wir die Finanzierung von längeren Betreuungszeiten im Kitabereich durchsetzen konnten und in der letzten Stadtverordnetenversammlung endlich die Rückzahlung der überzahlten Elternbeiträge beschlossen haben. Dass der Staudenhof nicht verkauft und dauerhaft in städtischer Hand entwickelt wird. Dass wir im Schulbereich auf dem Weg sind, gemäß dem Elternwunsch wieder auf die Gesamtschulen und auf Schulzentren zu setzen.

Welche Akzente wollen Sie künftig setzen?

Stefan Wollenberg: Potsdam ist eine attraktive Stadt und zieht demzufolge auch ein zahlungskräftiges Publikum an. Dies führt zu Verdrängungsprozessen. Da gilt es, entschieden gegenzusteuern. Deshalb ist für uns wichtig, dass Schluss ist mit dem Verkauf öffentlichen Eigentums. Im Gegenteil: wir müssen dahin kommen, dass die Stadt wieder Flächen zurückkauft. Der Wohnungsbau der städtischen Gesellschaften und Genossenschaften muss angekurbelt werden, um das Sozialgefüge zu erhalten. Außerdem muss die Entwicklung der sozialen und verkehrlichen Infrastrukturen besser mit dem Wohnungsbau Schritt halten. Da sind in den letzten 20 Jahren wirklich schlimme Fehler gemacht worden.

Zum Beispiel?

Stefan Wollenberg: Im Bornstedter Feld. Da hat man gebaut, gebaut und gebaut, ohne dabei an die Bedürfnisse der Bewohner zu denken. In den Planungen war ursprünglich mal die Rede von zwei Grundschulklassen und zwei weiterführenden Schulklassen. Inzwischen haben wir dort die dritte Grundschule gebaut und wollen nun die zweite weiterführende Schule bauen. Dass dies nun in Krampnitz anders läuft, ist auch ein Erfolg unseres hartnäckigen Wirkens.

Viele, gerade jüngere Mitglieder haben Ihrer Partei in den vergangenen Monaten den Rücken gekehrt, mal zu den Grünen, mal zur Wählergruppe Die Andere. Die punkten offenbar mit oftmals radikaleren Positionen. Wie sehr schwächt Sie das im Wahlkampf?

Stefan Wollenberg: Es gab einzelne Austritte. Von einer größeren Anzahl zu sprechen, weise ich entschieden zurück. Im Gegenteil, wir haben deutlich mehr Eintritte als Austritte. Es nützt überhaupt nichts, mit einer Radikalposition aufzutreten, mit der man politisch und moralisch vielleicht sehr sauber nach außen erscheint, am Ende aber nichts davon durchsetzt.

Wie wollen Sie die Jugend wieder für sich gewinnen?

Stefan Wollenberg: Mit unserer Präsenz bei der FH-Besetzung vor zwei Jahren beispielsweise haben wir ein starkes Signal gesetzt und gezeigt, dass wir unser jüngeres Klientel nicht vergessen haben. Wir haben zudem einen starken Jugendverband und sind auch bei den Studierenden stark präsent. Die Zusammenarbeit funktioniert gut.

Ihr Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg gilt als gesetzt - allerdings sollen gerade seine Kompromisse, etwa zur Mitte, bei einigen Genossen für Verdruss gesorgt haben. Wie lange wird Herr Scharfenberg die kommende Fraktion führen?

Stefan Wollenberg: Das wird die neue Fraktion entscheiden.

Er ist also doch nicht gesetzt?

Stefan Wollenberg: Es gibt keine gesetzten Positionen vor Wahlen. Das würde unserem demokratischen Verständnis widersprechen.

Gegenüber Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hat sich Oppositionschef Scharfenberg erkennbar zurückgehalten. Sie streben also ein rot-rotes Bündnis nach der Wahl an?

Stefan Wollenberg: Auf inhaltlicher Ebene haben wir – unabhängig von der früheren Rathauskooperation – an vielen Stellen gut zusammengearbeitet und auch linke Positionen durchsetzen können. Basis ist für mich immer die inhaltliche Übereinstimmung. In der Stadtverordnetenversammlung muss es aber immer möglich sein, entlang von Themen zu entscheiden und nicht in starren Bündnissen. Das unterscheidet die Kommunalpolitik von der Landes- und der Bundespolitik und das ist auch gut so.

Die Kreisvorsitzenden der Partei Die Linke, Stefan Wollenberg, Kati Biesecke.
Die Kreisvorsitzenden der Partei Die Linke, Stefan Wollenberg, Kati Biesecke.

© Ottmar Winter

Wie nah sind Sie sich mit den Grünen? In Berlin klappt das ja auch.

Stefan Wollenberg: Was Klimaschutz, Umwelt oder Verkehr angeht, gibt es da keine unüberwindbaren Differenzen. In der Frage der Gestaltung der Stadtmitte oder auch bei sozialen Themen gibt es dagegen Positionen, bei denen wir dezidiert auseinander liegen. Ich nehme aber auch wahr, dass eine jüngere Generation innerhalb der Grünen hier auch einen Wandel vollzieht.

Im Wahlkreis 1 tritt auch ihre Co-Landeschefin Anja Mayer an – und zwar auf Listenplatz 2. Wird Sie ihr Mandat annehmen können – oder es bald aus Zeitgründen wieder abgeben?

Kati Biesecke: Frau Mayer wäre nicht angetreten, wenn sie es sich nicht vorher gut überlegt und den zusätzlichen Arbeitsaufwand abgewogen hätte. Auch für Landespolitikerinnen ist eine kommunalpolitische Verankerung gut. Sie wird, wenn sie gewählt wird, ihr Mandat annehmen.

Im Vorfeld sorgte auch die Aufstellung von Ex-Linkekreischef Sascha Krämer für Irritationen, der aus seinem derzeitigen Wohnort Südafrika Wahlkampf machen will, eher er wieder nach Potsdam kommt. Wie schätzen Sie seine Chancen in dieser Konstellation ein?

Stefan Wollenberg: Das ist sicher keine optimale Lösung, aber Sascha Krämer wird ja in der Woche vor der Wahl nochmal nach Potsdam kommen, um hier Wahlkampf zu machen. Über die Jahre hat er sich in der Stadt mit seinem Engagement einen Namen gemacht. Auch während seines Aufenthalts in Südafrika hat er sich immer wieder eingebracht.

Zudem treten Sie wieder mit Kandidaten an, die nicht zu Ihrer Partei gehören - etwa Wiebke Kahl in Babelsberg, die im Kita-Elternbeirat die von der Stadt zu hoch angesetzten Kitabeiträge aufgedeckt hat. Wie konnten Sie sie auf ihre Kandidatenliste locken?

Stefan Wollenberg: Wir haben sie gefragt, ob sie sich das vorstellen kann. Dass sie dazu bereit war, freut uns natürlich sehr. Ich denke, dass wir gerade für das Thema Kita dadurch eine sehr kompetente Mitstreiterin gewonnen haben.

Frau Kahl fordert, dass die Elternbeiträge in Kitas nur noch durch die freien Träger selbst erhoben werden dürfen - was ja unterschiedliche Beiträge in der ganzen Stadt bedeuten würde. Sie wollen eine sozial gerechtere, also vergleichbare Gestaltung der Elternbeiträge. Wie passt das zusammen?

Stefan Wollenberg: Bei der Frage der Berechnung gibt es zwar unterschiedliche Positionen. Das halte ich aber nicht für ein großes Problem, weil wir uns grundsätzlich einig sind: Wir wollen zuerst eine gute Betreuungsqualität in den Kitas und zweitens perspektivisch eine grundsätzliche Beitragsfreiheit. Insofern geht es eher um den Weg dahin, als um eine abschließende Frage.

Kostenlose Kita, kein Verkauf mehr von kommunalen Grundstücken, dazu Tarifbezahlung im Klinikum "Ernst von Bergmann" und ein kostenloser Nahverkehr. Das wird teuer. Wo muss dafür gespart werden, was muss wegfallen?

Kati Biesecke: Sparen ist der falsche Ansatz, gerade in einer wachsenden Stadt wie Potsdam. Eine Möglichkeit ist, höhere Einnahmen zu generieren. Der kostenlose ÖPNV heißt ja nicht ohne Grund eigentlich fahrscheinloser ÖPNV. Natürlich wird ein öffentlicher Nahverkehr nie kostenlos sein. Aber man kann das zum Beispiel über Umlagesysteme finanzieren. Das Land hat zudem erhebliche Förderprogramme aufgelegt, die wir ebenfalls nutzen müssen. Und mindestens als Komponente gehört dazu, dass, wenn man keine Tickets mehr verkauft, auch keiner mehr kontrollieren muss. Am Ende kommt es darauf an, was steht unter dem Strich und wie kann man es finanzieren. Da haben wir noch kein fertiges Konzept.

Apropos Verkehr. Die neue Tramtrasse in den künftigen Stadtteil Krampnitz verzögert sich nun um einige Jahre. Dabei sollen die ersten Bewohner bereits 2021 dorthin ziehen. Ihr Bundestagsabgeordneter Norbert Müller fordert deshalb, dass in Neufahrland und Fahrland alle offenen Bebauungspläne auf Eis gelegt und die Planungen für Krampnitz  auf das ursprüngliche Maß reduziert werden. Teilen Sie diese Forderung?

Stefan Wollenberg: Ich glaube nicht, dass das zielführend ist. Man kann natürlich sagen, man versagt Baugenehmigungen und entwickelt kein neues Bauland mehr. Doch das führt nur dazu, dass die Preise im Bestand weiter in den Himmel steigen. Das kann auch niemand wollen. Man muss jetzt Druck machen, das Tramprojekt so zügig wie möglich voranzutreiben und sich für die Übergangszeit über Alternativen Gedanken zu machen.

Seit geraumer Zeit wird in Potsdam viel über die Sicherheit am Hauptbahnhof diskutiert. Die AfD hat gar eine Sicherheitszone gefordert. Die Linke hält sich dagegen bei dem Thema auffällig zurück. Sehen Sie keinen Handlungsbedarf?

Kati Biesecke: Der Hauptbahnhof liegt nicht in der Hand der Kommune, sondern bei Land und Bund. Die Bundespolizei ist vor Ort, läuft regelmäßig Streife. Es gibt zudem freie Träger, wie Chillout und andere, die versuchen, diejenigen aufzufangen, die sich dort tagtäglich aufhalten. Insofern wird da schon seitens der Kommune einiges gemacht. Das Thema wurde aber auch bedingt durch die AfD-Anträge in den letzten Wochen aufgebauscht. Da ging es immer wieder wild hin und her zwischen dem Hauptbahnhof und der Freundschaftsinsel.

... die ja auch benachbart sind.

Kati Biesecke: Unmittelbar. Was aber aus meiner Sicht nicht zielführend ist, ist eine umfangreichere Video-Überwachung oder gar Taschenkontrollen am Hauptbahnhof, wie von der AfD gefordert. Ich denke, man muss die Sozialarbeit vor Ort ausbauen. Es müssen alternative Möglichkeiten für selbstbestimmte Treffpunkte geschaffen werden – unter Einbeziehung der Ideen und Wünsche der jungen Leute.

Dabei hat doch gerade erst kürzlich eine Evaluation des Jugendamtes gezeigt, dass die Jugendclubs gar nicht so angenommen werden, wie man sich das so wünscht.

Kati Biesecke: Jugendtreffs muss es in einer wachsenden Stadt wie Potsdam in jedem Stadtteil geben. Das hat aber immer auch etwas von Kontrolle. Gerade die Zwölf- bis 18-Jährigen gehen ja häufig raus, um sich mal einer bestimmten Kontrolle zu entziehen. Man muss einfach mal die Jugendlichen fragen, was wollt ihr, was braucht ihr?

Das Thema Parkeintritt ist ein Dauerbrenner in Potsdam. In Ihrem Wahlprogramm heißt es, dass sich die Bewahrung des preußischen Erbes in die organische Entwicklung der modernen Stadt einordnen soll. Die Realität sind aber Interessenskonflikte wie bei der geplanten Wohnbebauung im Zentrum Ost. Wie wollen Sie der Schlösserstiftung die Zügel anziehen?

Stefan Wollenberg: Die Zügel anziehen im eigentlichen Sinne ist schwierig. Schon der Alte Fritz wollte, dass seine Parks von jedem Bürger kostenfrei und zu jeder Zeit betreten werden können. Und die Stiftung, die sich diesem Erbe verschrieben hat, sollte dieses Anliegen respektieren. Die Debatte über Bebauungen führen wir ja auch an anderen Stellen, etwa im Park Babelsberg zum Seesportklub. Parks sollten keine Museen sein. Insbesondere der Babelsberger Park ist ein Ort der Naherholung. Dass man dort für die Rekonstruktion eines Weges, um ihn an einer Stelle 20 Meter näher ans Wasser zu verlegen, Millionen investiert, um dann zwei traditionsreiche Einrichtungen zu verlegen, dafür habe ich wenig Verständnis. Es hat jetzt einen solchen Kompromiss gegeben und wir werden damit leben müssen, aber richtig finde ich das nicht.

Sehen Sie mit dem Wechsel an der Spitze der Stiftung jetzt eine Verbesserung im Verhältnis zur Stadt?

Stefan Wollenberg: Das Kernproblem ist, dass Potsdam trotz des hohen Anteils an den entsprechenden Liegenschaften nicht im Stiftungsrat vertreten ist.

Was sind Ihre Herzensprojekt für die nächsten fünf Jahre?

Kati Biesecke: Wir wollen den Ausverkauf öffentlichen Eigentums stoppen und dafür sorgen, dass wieder signifikant Wohnungsbau in öffentlicher Hand entsteht. Was mir besonders am Herzen liegt, ist, dass wir wieder kommunale Kitas bekommen. Und der kostenlose ÖPNV bis 18 Jahre.

Was wird es mit Ihnen auf keinen Fall in Potsdam geben?

Stefan Wollenberg: Weitere Verkäufe zu Höchstgeboten wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben. Und ich glaube, ich kann mich so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, eine Havelspange wird es mit uns auch nicht geben.

Kati Biesecke (33) ist seit 2017 Kreisvorsitzende der Linken in Potsdam. Die Erzieherin wohnt in Potsdam und kandidiert im Wahlkreis 6 ebenfalls erneut für das Stadtparlament.

Stefan Wollenberg (42) ist seit 2017 Kreisvorsitzender der Linken in Potsdam. Zudem ist er Landesgeschäftsführer der Partei. 2008 wurde er erstmals in das Stadtparlament gewählt.

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