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Die Gartenseite der Villa Urbig am Griebnitzsee. Die Bepflanzung ist so wiederhergestellt, wie sie Erbauer und Architekt einst auch mit Hilfe von Staudengärtner Karl Foerster geplant und gestaltet hatten.

© Andreas Klaer

Die Geschichte der Villa Urbig in Potsdam: Berühmte Gäste und ein historischer Irrtum

Sie war Schauplatz der Potsdamer Konferenz, durch den Garten verlief später der Todesstreifen. Jetzt hat Hasso Plattner hier seinen Wohnsitz. Er ließ die Geschichte der "Churchill-Villa" erforschen.

Potsdam - Der zweifache Händedruck der „Großen Drei“. Es ist vielleicht das bekannteste Foto der Potsdamer Konferenz überhaupt, auf der die alliierten Siegermächte vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof das Ende des Zweiten Weltkrieges besiegelt und die Weichen für die Nachkriegsordnung in Deutschland und Europa gestellt hatten.

US-Präsident Harry S. Truman steht in der Mitte, reicht über Kreuz seine Hände, Winston Churchill an seiner rechten Seite die linke, dem sowjetischen Staatschef Josef Stalin zu seiner Linken die rechte Hand. Dieses Schwarz-Weiß-Foto im Großformat illustriert im Schloss Cecilienhof prompt den Eingang der Sonderausstellung „Potsdamer Konferenz 1945 – Die Neuordnung der Welt“, die noch bis Ende dieser Woche dort zu sehen ist. Und wer dazu ein Souvenir sucht, kann im Museumsshop einen Kaffeepott samt Händedruck-Foto erwerben, mit der Aufschrift „Cecilienhof Potsdam 1945“.

Das Foto des zweifachen Händedrucks von US-Präsident Harry S. Truman (Mitte) mit dem britischen Premier Winston Churchill (l.) und Josef Stalin (r.) vor der Villa Urbig ist das Symbolbild für die Potsdamer Konferenz. 
Das Foto des zweifachen Händedrucks von US-Präsident Harry S. Truman (Mitte) mit dem britischen Premier Winston Churchill (l.) und Josef Stalin (r.) vor der Villa Urbig ist das Symbolbild für die Potsdamer Konferenz. 

© AFP

Dabei ist die berühmte Aufnahme, die tausendfach gedruckt wurde, in Zeitungen, in Geschichtsbüchern, gar nicht am Schloss Cecilienhof entstanden. In Wirklichkeit wurde das Foto an der Babelsberger „Villa Urbig“ aufgenommen, in der Churchill während der Konferenz residierte. Seit 2009 gehört die Villa in der heutigen Virchowstraße 23 Hasso Plattner, dem kunstsinnigen Mäzen, einstigen SAP-Mitgründer und Milliardär, der sie als privaten Wohnsitz in Deutschland nutzt. Wenn fälschlicherweise Cecilienhof als Ort dieser Aufnahme angegeben wird, wie es oft geschieht, weist Plattner durchaus auch selbst darauf hin.

Hasso Plattner, SAP-Mitgründer, Mäzen und Wahl-Potsdamer, im Februar 2020 in seinem Museum Barberini in Potsdam.
Hasso Plattner, SAP-Mitgründer, Mäzen und Wahl-Potsdamer, im Februar 2020 in seinem Museum Barberini in Potsdam.

© Manfred Thomas

Kunsthistorikerin untersuchte Geschichte und Architektur

Natürlich korrekt finden sich die Hintergründe, wann und wo und wie das Foto entstand, in einer Broschüre zur Geschichte der „Villa Urbig“, die die Kunsthistorikerin Claudia Hain im Auftrag Plattners genauer untersucht hat, die Baugeschichte, die Familiengeschichte der Bewohner, wichtige historische Ereignisse. „Bislang liegt keine eigenständige Publikation zu dem Villenbau vor“, schreibt die Autorin in der Einleitung.

So finden sich in der 72-Seiten-Broschüre, die Hasso Plattner dieser Zeitung zur Verfügung stellte, viele kaum bekannte Informationen, Details, Hintergründe – und auch bisher unveröffentlichte Fotografien zur wechselvollen Geschichte dieser Villa, die der berühmte Architekt Mies van der Rohe 1915 bis 1917 im Auftrag des Bankiers Franz Urbig direkt am Ufer des Griebnitzsees errichtet hatte, im klassizistischen Stil.

Es ist eines der frühen Werke van der Rohes, der als einer der bekanntesten Architekten der Moderne gilt. Als Vorbilder sollen die Schlösser Paretz und Charlottenhof gedient haben. Im „Gesuch um Baugenehmigung“ für „ein Einfamilienhaus“ in der einstigen Luisenstraße 9, die damals zu Klein Glienicke gezählt wurde, das Architekt Ludwig Mies – die Erweiterung seines Namens verwendete er erst später – am 15. Juni 1915 „zur geneigten polizeilichen Prüfung“ einreichte, heißt es: „Ich bitte um baldmöglichste Erteilung eines Bauscheins und vorläufige Genehmigung zum Beginn der Ausschachtungsarbeiten.“ Die statische Berechnung werde er „in einigen Tagen nachreichen“. 

Im Jahr 1915 ließ Franz Urbig in Babelsberg am Griebnitzsee durch Ludwig Mies van der Rohe die Villa an der Ringstraße (heute: Virchowstraße 23) errichten. Im Vordergrund: ein Rasenmäh-Roboter mit Schaf.
Im Jahr 1915 ließ Franz Urbig in Babelsberg am Griebnitzsee durch Ludwig Mies van der Rohe die Villa an der Ringstraße (heute: Virchowstraße 23) errichten. Im Vordergrund: ein Rasenmäh-Roboter mit Schaf.

© Andreas Klaer

Während der Bauarbeiten wurde Mies an die Front beordert. In seiner Abwesenheit wurde das Speisezimmer allerdings nachträglich kurzerhand um ein kleines Fenster in Ostrichtung erweitert: „Die Eltern wollten Morgensonne beim Frühstück haben ... Herr Mies war damit gar nicht einverstanden, aber es war geschehen und später hat er die Idee wohl auch für gut gehalten“, wird Elisabeth Urbig, jüngste Tochter der Familie, zitiert.

Hausherr Urbig, der in Luckenwalde geboren wurde, aus einfachen Verhältnissen stammte, war zuletzt ein Mitbegründer der Deutschen Bank. Er hatte nach Stationen in Asien eine steile Bankenkarriere gemacht. Welche bedeutende Rolle er spielte, zeigt etwa dieser Umstand: „Seine Berufung zum Finanzsachverständigen bei der Vorbereitung des Versailler Vertrages 1919 spiegelte seine einflussreiche Position und die Anerkennung seiner fachlichen Kompetenz wider. Dennoch blieben seine Mahnungen bezüglich der dramatischen wirtschaftlichen Folgen der hohen Reparationszahlungen ungehört“, heißt es in der Broschüre. Als Mitglied des Verwaltungsrats der Deutschen Rentenbank sei er einer der Verantwortlichen gewesen, die mit der Einführung der Reichsmark die Inflation beendeten.

Urbig pendelte mit dem "Bankierszug" nach Berlin

Das neue Domizil am Griebnitzsee nutzte die Bankiersfamilie nach 1917 zunächst als Sommerresidenz, auch „Haus Seefried“ genannt, ehe sie 1920 aus Berlin ganz raus zog. Ab da pendelte Bankdirektor Urbig mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Berlin zur Arbeit, nämlich mit dem sogenannten „Bankierszug“, wie sich Familienmitglied Marie Louise Gericke erinnerte: „Es war ein Dampfzug, Potsdam – Potsdamer Platz, der extra in Babelsberg einen Zwischenstopp einlegte, um die Bankiers aufzunehmen.“ Erst im fortgeschrittenen Alter habe sich Urbig von seinem Chauffeur in die Stadt bringen lassen.

Nachdem er sich aus dem aktiven Management 1929 zurückzog, war Urbig noch bis 1942 Aufsichtsratschef der Deutschen Bank geblieben, ein Mann über 70, in den Jahren der NS-Diktatur. „Franz Urbig unterstützte jüdische Kollegen, Freunde und Verwandte“, schreibt Hain und zitiert Gericke, dass das Haus „als ,anti’ bekannt“ gewesen sei. Ein Hinweis, dass Urbig nach der NS-Machtergreifung an der Entfernung jüdischer Mitglieder des Vorstandes der Deutschen Bank und der Diskonto-Gesellschaft beteiligt gewesen wäre, worauf andere Quellen hindeuten, findet sich in der Broschüre nicht. Nach dem Tod von Urbig 1944, in den letzten Kriegsmonaten, waren Flüchtlinge in der großbürgerlichen Villa untergebracht. Bei einem der alliierten Luftangriffe auf Berlin und Potsdam hatte eine Brandbombe die Villa getroffen, ohne Schäden anzurichten.

Die private Gartenseite der "Villa Urbig" in der Gegenwart.
Die private Gartenseite der "Villa Urbig" in der Gegenwart.

© Andreas Klaer

Seit 26. April 1945 war die Villenkolonie Neubabelsberg von der Roten Armee besetzt. Zu diesem Zeitpunkt lebten in der Villa noch zwei Mitglieder der Familie, Elisabeth Urbig, die jüngste Tochter des Bankiers, und Marie Louise Gericke aus der Beziehung seiner älteren Tochter. Beide überlieferten, dass in der Nacht zum 30. Mai 1945 mehrere hohe russische Offiziere die Villa begutachtet hätten, auf der Suche nach „großen Räumen“, auch das Wort „Konferenz“ sei gefallen. Zwei Tage später wurden sie, vermutlich vom Stadtkommandanten Oberst S. Werin, begleitet von Dolmetschern und dem eingesetzten Oberbürgermeister Heinz Zahn der Stadt Potsdam, höflich darüber informiert, dass sie das Haus verlassen müssten, schreibt Hain. „Sie erhielten das Ehrenwort des Kommandanten, nach etwa acht Wochen zurückkehren zu dürfen.“

Heinz Rühmanns Kamera wurde im Komposthaufen versteckt

Wertsachen und Porzellan hätten die beiden Frauen ins Gärtnerhaus gebracht, es dann verbarrikadiert, Geld und Schmuck vergraben. Und dann folgt diese Passage: „Kurz zuvor war der Schauspieler Heinz Rühmann (1902-1994) erschienen und hatte darum gebeten, eine wertvolle Fernsehkamera zu verbergen. Sie wurde im Komposthaufen des Gartens versteckt.“

Als die beiden Frauen zwischendurch noch einmal heimlich zurückkamen, um Sachen zu holen, mit einem geborgten Boot über den Griebnitzsee gerudert, war demnach die Villa bereits weitgehend ausgeräumt. Für welchen Zweck sie beschlagnahmt wurde, hatte niemand gesagt. Das haben sie laut Broschüre erst später aus der Zeitung erfahren – anhand des Fotos mit den Staats- und Regierungschefs Truman, Churchill und Stalin „vor der Eingangstür der Villa Urbig“.

Vor dieser Tür der Villa Urbig standen die "Großen Drei" Churchill, Truman und Stalin (v.l.) am 25. Juli 1945. 
Vor dieser Tür der Villa Urbig standen die "Großen Drei" Churchill, Truman und Stalin (v.l.) am 25. Juli 1945. 

© Andreas Klaer

Der Fototermin hatte am 25. Juli 1945 dort stattgefunden, anlässlich der bevorstehenden Abreise von Churchill nach London, der zur Verkündigung der Ergebnisse der Unterhauswahlen in die Heimat musste. Bekanntlich kehrte er nicht mehr zur Potsdamer Konferenz zurück, seine konservative Partei hatte krachend verloren, so dass für Großbritannien sein Nachfolger Clement R. Attlee weiter verhandelte und in der Villa lebte. In dieser Zeit gehörte sie wie weite Teile Neubabelsbergs zu der extra für die Konferenz eingerichteten Sicherheitszone, eingeteilt in drei Sektoren. Zum Schloss Cecilienhof kamen die Delegationen über eine Pontonbrücke, die als Ersatz für die zerstörte Glienicker Brücke errichtet worden war.

Staatsbankett mit Royal-Airforce-Band in der Villa

Zwei Tage vor seinem Rückflug hatte Churchill in der Villa noch ein Staatsbankett gegeben, jeder der Drei war mal dran. Truman und Stalin hatten als Gastgeber die musikalische Umrahmung ihrer Empfänge eher besinnlich gehalten, mit Piano- und Geigenmusik. „Churchill übertrumpfte diese Aufgebote, in dem er die vollständige Royal-Airforce-Band den gesamten Abend und in voller Lautstärke spielen ließ“, zitiert Hain aus dem Buch „Meeting at Potsdam“ von Charles L. Mee aus dem Jahr 1975. Stalin sei mit diesem Geräuschpegel nicht sehr glücklich gewesen, sei dann selbst zum Dirigenten gegangen, habe auf das Wohl der Band getrunken und sich „ein paar ruhige Liebesmelodien“ erbeten.

In der Zeit von deutscher Teilung und Kaltem Krieg wurde die Villa seit den 1950er Jahren als Club-Gästehaus der „Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft ,Walter Ulbricht’ genutzt, worüber wenig bekannt ist. Möglicherweise diente sie auch als Sitz des Präsidenten und der Lehrerakademie jener Einrichtung“, so Hain.

Unmittelbar hinter der Villa war damals der Todesstreifen. Der Patrouillenweg der DDR-Grenztruppen am Ufer des Griebnitzsees verlief durch den früheren Garten der Villa, bei dessen Anlage sich die Bankiersfamilie einst auch vom Potsdamer Gärtner Karl Foerster hatte beraten lassen. Der erste Grenzzaun stand ein paar Meter hinter der Terrasse, die großen Bäume wurden gefällt. Der Uferweg, der nach 1989 auf dem einstigen Postenweg der DDR-Grenzer entstand, ist heute entlang der Wasserlinie für Spaziergänger vorbereitet – nur zugänglich ist er nicht, da andere Anrainer den Weg über ihre Grundstücke im Jahrzehnte währenden Konflikt mit der Stadt um den Uferweg gesperrt haben.

"Die freundliche und helle Atmosphäre konnte zurückgewonnen werden"

Die Erben Urbigs, die das Anwesen nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung zurückerhielten, nahmen die Wiederherstellung der Villa in Angriff, was nicht von Fortune begleitet war. Wegen unsachgemäßer Ausführungen 1992/1994, die laut Hain aber „zu erheblichen Schäden“ führten, mussten Sanierungen wiederholt werden. Hasso Plattner hat die Villa 2009 vom Potsdamer Bauunternehmer Theodor Semmelhaack gekauft, der sie 2005 von den Urbig-Nachfahren erworben hatte. Plattner nahm sich behutsam vieler Details an, ließ im Inneren ein neues Farbkonzept umsetzen, „das sich mit seiner zurückhaltenden Tongebung an der bauzeitlichen Gestaltung orientiert“, wie Hain schreibt. „Die freundliche und helle Atmosphäre des Hauses, die während der Zeit herrschte, in der die Familie Urbig in der Villa lebte, konnte dadurch zurückgewonnen werden.“

Wer durch die Tür tritt, kann dies genau so empfinden – in der Empfangshalle, dem Musikzimmer, dem Salon, dem Kamin- und dem Speisezimmer. Im Musikzimmer leuchten an den Wänden die „Panneaux“, große Wandgemälde des Malers Alfred Propp, die in satten Farben Landschaften zeigen, Berge, Wald, Seen. Plattner ließ sie reinigen und restaurieren, ebenso die Supraporten des Potsdamer Künstlers Fritz Rumpf über den drei Flügeltüren. Zu erkennen ist dort die Potsdamer Silhouette mit Nikolai- und Garnisonkirche.

Mies van der Rohes' Wille wurde umgesetzt - mehr als 100 Jahre später

In einem Detail setzte sich der neue Hausherr freilich über den Willen Urbigs hinweg, um mehr als hundert Jahre später doch noch den Willen Mies van der Rohes umzusetzen: „Das noch während der Bauzeit eingesetzte kleine Fenster im Speisezimmer wurde geschlossen. Es ist hinter einer Verkleidung noch vollständig erhalten und demzufolge nur temporär kaschiert“, heißt es in der Broschüre. „Somit ist gegenwärtig, erstmals seit der Erbauung des Hauses, der von Ludwig Mies van der Rohe geplante Zustand hergestellt worden.“

Besuch von Lady Mary Soames, Tochter von Winston Churchill, im Jahr 2006 an der Villa Urbig in Potsdam. 
Besuch von Lady Mary Soames, Tochter von Winston Churchill, im Jahr 2006 an der Villa Urbig in Potsdam. 

© Manfred Thomas

In Potsdam ist das Haus wegen seiner Rolle im Sommer 1945 vor allem als „Churchill-Villa“ bekannt. Im  Frühjahr 2006 besuchte die Tochter des früheren Premiers, Lady Mary Soames, die Villa, an die sie sich persönlich erinnern konnte. Soames hatte als junge Frau ihren Vater im Sommer 1945 als offizielle Teilnehmerin der Potsdamer Konferenz begleitet, dort selbst gewohnt. Bei dem Besuch im Jahr 2006 wurde eine kleine Gedenktafel zur Erinnerung an das historische Ereignis eingeweiht, die aber bald darauf wieder verschwand. Zwischenzeitlich war sie von Bediensteten im Keller der Villa gesichtet worden, doch dann hat sich die Spur verloren.

Die Ausstellung „Potsdamer Konferenz 1945 - Die Neuordnung der Welt“ ist noch bis zum 31. Oktober 2021 im Schloss Cecilienhof zu sehen, täglich außer montags 10 bis 17.30 Uhr.

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