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Klaus Theo Brenner.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: „Das Ganze ist ein einziges Schlamassel“

Der Architekturprofessor Klaus Theo Brenner beklagt fehlende städtebauliche Visionen für Potsdam und fordert einen unabhängigen Stadtbaurat

In Potsdam wird viel gebaut, die Stadt verändert ihr Erscheinungsbild. Glauben Sie, Herr Professor Brenner, dass diesem Prozess eine konkrete Vision zugrunde liegt?

Nein. Ich glaube, dass der große Mangel in der Stadtentwicklung Potsdams in den letzten zehn bis 15 Jahren war und ist, dass es keinen verantwortlichen Stadtbaurat gibt, der im Konzert der politischen und öffentlichen Meinungen die Meinung eines sattelfesten Fachmanns in Sachen Architektur und Städtebau vertritt. Das müsste jemand sein, der mittel- und langfristig versucht, mit kompetenten Partnern die wesentlichen Gestaltungsprinzipien der Stadt zu entwickeln und diese in die politische Diskussion einbringt.

Fehlt der Stadt ein Leitbild?

Ja. Es gibt kein Leitbild für die Stadt.

Der 1990er Beschluss zur vorsichtigen Rückkehr zum historischen Grundriss ist vielleicht so ein Leitbild zumindestens für die Innenstadt.

Das war eine richtige Entscheidung. Nur, immer wenn es ins Detail geht, und immer, wenn neue Argumente auftauchen, wird dieses Leitbild wieder infrage gestellt. Ein ganz empfindliches Zeichen des Scheiterns dieses Leitbilds ist der Bibliotheksbau, der heute, wie er so dasteht, ein Schuhkaufhaus sein könnte.

Darf ich raten: Liegt es an den riesigen Brandwänden, zum Beispiel?

Die Brandwände, ja, aber auch die Fassade. Das ist die modernistische Fassade eines großen Schuhkartons, die auch mit der historischen DDR-Fassade nichts mehr zu tun hat. Also wenn ich schon entscheiden würde, das historische Bibliotheksgebäude stehen zu lassen, dann würde ich natürlich auch um diese historische Fassade kämpfen und sie nicht durch eine Nullachtfünfzehn-Fassade austauschen.

Da bin ich jetzt der kleine Junge aus „Des Kaisers neue Kleider“, der sagt: Das Haus ist nackt und hat gar keine Fassade!

Eben! Es hat keine Fassade.

Wie könnte ein Stadtbaurat, von dem Sie sprachen, an die Verwaltung angebunden sein?

Ein Stadtbaurat wird eingesetzt durch die Politik. Diese Figur ist aber eben nicht alleine durch eine politische Verbindung stark, sondern einzig und allein durch ihr fachliches Können, das basiert auf architektonischer und städtebaulicher Kompetenz.

Ich muss einmal ganz böse fragen: Das ist aber keine Selbstbewerbung, die Sie da gerade einreichen?

Nein, das kann keine Selbstbewerbung sein, weil ich selber praktizierender Architekt bin und für so eine Rolle denkbar ungeeignet. Man muss allerdings dazu sagen, dass dieser Baurat in allen größeren Städten notwendig ist, und dass, wenn man sich in Deutschland umsieht, es natürlich viel zu wenig qualifizierte Stadtbauräte gibt, die diese Rolle mit der notwendigen Kompetenz, aber auch mit der notwendigen Durchsetzungsfähigkeit ausüben. Ein Stadtbaurat muss sehr gebildet sein in Sachen Architektur und Stadt, er muss aber auch ein ganz gewiefter politischer Charakter sein, der diese Dinge auch erfolgreich durchsetzen kann.

Warum kann Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp diese Rolle nicht einnehmen in seiner jetzigen Funktion?

Weil ihm die architektonische und städtebauliche Kompetenz fehlt.

Das will ich mal so stehen lassen

Es geht mir nicht um eine Infragestellung von Klipp als politische Figur, sondern dass außer Klipp noch jemand da sein muss, dessen Tagesgeschäft die architektonische Qualität ist und nichts anderes.

Sie sprachen vom Abkehren von der Leitlinie des historischen Stadtgrundrisses. Da fällt mir der Lustgarten ein, der nach Auffassung vieler Schaden nehmen wird durch den Flottenneubau.

Der Lustgarten ist als Ganzes ein Zeichen dieser mangelnden Perspektive, weil der Lustgarten in der heutigen Situation erst einmal grundsätzlich die Frage aufwirft, welche Funktion er heute noch hat. Der Lustgarten braucht ein klares Planungsziel. Und das muss weit über das hinausgehen, was wir bisher wissen. Es muss gegenüber vom Schloss einfach mehr passieren als nur leere Fläche – freilich ohne das Mercure-Hochhaus, wofür eine klare Abrissperspektive nötig ist. Die Kunsthallen-Idee, die war vielleicht zu persönlich gemeint, eine private Kunsthalle mit völlig ungesicherten Qualitätsinhalten. Aber solange wir von einer Diskussion in die andere purzeln, weil wir nicht genau wissen, wo es langgeht, schütten wir meist das Kind mit dem Bade aus. Aber die Idee, dort ein Kulturbauwerk zu machen, die ist natürlich nicht schlecht.

Immer wieder müssen in Potsdam Bürger eingreifen, weil sie das, was da geplant wird, gar nicht ertragen können.

Eine rechtzeitige Bürgerbeteiligung wird produktiv, wenn es jemanden gibt, der sie mit architektonischer Kompetenz organisiert. Das kann eben nur ein Stadtbaurat machen, der sich vor den Bürgern hinstellt mit einer ausgereiften Vision. Denn ohne Vision besteht die Gefahr, dass die Bürger immer gegen alles sind, was von oben kommt. Eine ausgereifte architektonische Vision für Potsdam in seiner Gänze ist Voraussetzung für eine glückliche demokratische Diskussion. Ansonsten wird daraus immer ein Stellungskampf. Ein Stellungskampf aber geht immer zulasten der städtischen Qualität aus.

Welche Rolle spielt diesbezüglich der Potsdamer Gestaltungsrat?

Der Gestaltungsrat hat weder die Kompetenz noch ist er dazu eingesetzt, diese Vision zu erzeugen.

Beim Brauhausberg hat die Stadt alle Möglichkeiten.

Die Wettbewerbe, die stattgefunden haben – Brauhausberg, Langer Stall, Bornstedter Feld –, setzen ein positives Zeichen, weil sie mit guten Architekten und einem guten Preisgericht besetzt waren. Die Frage ist: Was geschieht dann, wenn die Wettbewerbe entschieden sind? Wer baut, und wer entscheidet darüber, welche Qualität realisiert wird? Da bin ich bezogen auf die lokale Vergabepraxis an Grundstücken und dieser Selbstherrlichkeit, mit der die großen Investoren wie Pro Potsdam, Groth und Semmelhaack z.B. ihre Projekte durchsetzen, eher skeptisch.

Was sagen Sie zu dem städtebaulichen Wettbewerb am Brauhausberg? Ist der erste Preis eine gelungene Lösung?

Ich denke, dass es eine gute, logische Lösung ist. Die Verdichtung mit dem Schwimmbad nach unten zu setzen halte ich für richtig. Die Auflösung der Bebauung oben am Berg ist eigentlich ein klassisches städtebauliches Motiv.

Muss man etwas tun, um den Brauhausberg besser an die Stadt einzubinden?

Der Dreh- und Angelpunkt der Stadtarchitektur ist der öffentliche Raum. Die Straßen und Plätze müssen einfach in ihrer architektonischen Erscheinung perfekt sein. Potsdam hat das Problem, dass nach dem Krieg überall riesige Straßenschneisen realisiert wurden. Und natürlich ist gerade die Beziehung Lange Brücke-Bahnhof-Brauhausberg mit Speicherstadt eine große Herausforderung an den öffentlichen Raum. Das heißt, da müssen nicht nur Übergänge, sondern auch Zielorte geschaffen werden, wo die Leute vom Bahnhof aus auch gern hinstreben.

Wo sehen sie gravierende Planungsdefizite in Potsdam? Wo wirkt sich die angesprochene Visionslosigkeit konkret aus?

Die großen Bausünden in großem Maßstab passieren eher außerhalb. Der Hochschulstandort Golm ist für jeden, der auch nur ansatzweise etwas von der anglo-amerikanischen Campus-Universität begriffen hat, ein Horror. Wenn man da mit der S-Bahn landet, muss man erst einmal Kilometer über Parkplätze zu Fuß gehen, bis man zu irgendeinem Institut kommt. Und gerade dort zeigt sich, dass diese modernistischen Gestaltungsanstrengungen der Einzelarchitektur vollkommen sinnlos sind, weil die Gesamtanlage jede Form von städtebaulicher Identität vermissen lässt. Da hängt dann irgendwo ein neuer Block herum, der eine ist gewürfelt, der andere ist rot-gelb und der andere ist schwarz; jeder Architekt sucht so den grafischen Kick, und am Ende versandet da alles in einem Nichts von Parkplätzen und Straßen. Das ist ein Riesenproblem. Und ganz ähnlich ist es ja im Bornstedter Feld.

Hatte vor 15 Jahren niemand eine Vision vom Campus Golm?

Es gab keine Vision. Und es gab natürlich – wie immer – niemanden, der sich um dieses Thema kümmert, weil sich das ganz schön am Rande von allen Debatten, die in der Innenstadt gelaufen sind, verselbstständigt hat.

Da draußen muss das Land keine Stadt bauen.

Da draußen kann jeder machen, was er will. Es gibt niemanden in der Stadt, auch nicht in der Öffentlichkeit, den das interessiert. Und wenn es keinen Stadtbaurat gibt, für den natürlich eine Campus-Universität am Rande der Stadt, mit dieser Dimension, ein Eins-A-Thema wäre, dann wird dieses Thema einfach so laufen gelassen. Und das ist mit dem Bornstedter Feld dasselbe. Was hier um die Fachhochschule herum passiert, ist ja so, als hätte man den Zeilenbau gerade neu erfunden! Und der wird dann noch aufgehübscht durch völlig absurde grafische Design-Elemente. Das Ganze ist ein einziges Schlamassel.

Selbst bei Ihnen hier an der Fachhochschule in der Pappelallee fällt dem Laien auf, dass der zweite Bauabschnitt mit dem ersten nichts zu tun haben will.

Das Bornstedter Feld-Desaster hat natürlich auch seine Auswirkungen hier für den FH-Campus. Es entsteht keine Einheit. Diese zentrale Wiese, die wir hätten – apropos Campus-Universität –, die ist seit zwei Jahren Baustelle, und die Häuser haben überhaupt keinen Bezug zueinander. Im Grunde genommen ist das hier an der FH ein Symbol für die abstruse Entwicklung im Bornstedter Feld. Wenn wir hier Gäste haben, die unsere Hochschule besuchen, weil wir einer der Schwerpunkte der Stadtarchitektur in der deutschen Hochschullandschaft sind, trauen die ihren Augen nicht. Sie fragen: Wie kann so etwas passieren? So etwas kann passieren, wenn die Inhalte, die an der Hochschule vertreten werden, sich weder im engeren Kreis der Hochschule noch in der Stadt in irgendeiner Weise durchsetzen lassen – durch Gespräche, durch Kooperation.

Was wollen Sie persönlich?

Ich möchte immer richtig Stadt, und die Stadt so dicht wie möglich, aber dafür die freie Natur, ohne jede Beeinträchtigung. Und deswegen bin ich allergisch gegen jede Form von Siedlungsbau. Besonders gefährlich in diesem Sinne sind die Siedlungsprojekte über das Bornstedter Feld hinaus nach Norden: Rote Kaserne, Plattner-Gelände bis hoch zum Krampnitzsee. Die Stadt wuchert aus und die Natur ist tot. Keiner stellt das infrage.

Es hätte für Golm nach 1990 gleich entscheidender Weichenstellungen bedurft.

Ja, natürlich. Dieser Mangel an architektonisch städtebaulicher Kultur oder Vision ist inzwischen schon zehn bis 15 Jahre alt. Und die ersten Ergebnisse kann man jetzt besichtigen. Und es gibt noch einen anderen Bereich, der gerade am Absterben ist: der Bereich zwischen Bahnhof, Babelsberg und Theater. Dieses Dreieck mit dem dazwischenliegenden Wasser ist ja möglicherweise eine Kulturlandschaft erster Güte. Dieser Bereich müsste eigentlich sehr anspruchsvoll bebaut werden mit einer Park- und Wasserlage als Brücke zwischen Bahnhof und Babelsberg und als Gegenüber von Schloss und Freundschaftsinsel.

Sie bilden mit Ihrer „School of Architecture“ an der Fachhochschule einen Kompetenz-Cluster. Können Ihre Professoren sich ausreichend in die Stadtentwicklung einbringen?

Es gab immer Gesprächskontakte mit der Stadt seit unserem Masterplan von 1997. Mittel- und langfristig hat das aber nie wirklich gut funktioniert im Sinne einer etwas längerfristig angelegten Qualitätsdebatte, weil es keinen kompetenten Gesprächspartner bei der Stadt gibt und die letzten zehn Jahre auch nie gegeben hat.

Das Interview führte Guido Berg

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