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Seid behütet. Ein Weihnachtsstern leuchtet in der Kuppel der Nikolaikirche, davor einer der vier Turmengel, der seine Hand segnend über die Stadt hält.

© Ottmar Winter

Corona und Weihnachten: „Zuhören, so lange man es aushält“

Friedliches Fest? In vielen Familien nicht einfach, wenn es um Corona und Impfen geht. Was Potsdamer Experten für die Festtage raten.

Von Carsten Holm

Vielen Potsdamerinnen und Potsdamern steht wohl kein unbeschwertes Weihnachtsfest bevor: Die Pandemie hat die Menschen fest im Griff und macht auch vor Weihnachten nicht Halt. Familien fürchten Streit, vor allem zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern. „Die Stimmung in der Stadt ist gedrückter als vor einem Jahr“, sagt Anne Kosmehl von der Telefonseelsorge der Hoffbauer-Stiftung, „im Sommer haben alle einmal aufgeatmet, und jetzt geht es wieder los.“

Rund 15 000 Anrufer haben in diesem Jahr Hilfe bei der Seelsorge gesucht, deren 125 Mitarbeitende rund um die Uhr unter 0800-1110111 und -222 erreichbar sind. Die meisten Anrufer seien zwischen 30 und 60 Jahre alt, die Gespräche dauerten zumeist etwa 20 Minuten. Das Thema Corona „schwingt immer mit“.

Wegen Corona geraten Verwandte aneinander

Stritt man sich früher über den Zeitpunkt der Bescherung, könnte es nun vor allem um den Impfstatus gehen. Das Virus bestimmt die Diskussionen: Sind alle zweimal geimpft, wer ist schon geboostert? Lädt man Ungeimpfte aus oder nicht? Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage für die Kaufmännische Krankenkasse in Hannover (KKH) sind 71 Prozent der Bundesbürger wegen Corona schon einmal mit Verwandten und Bekannten aneinander geraten. Bei 85 Prozent ging es um die Impfpflicht und um Impfverweigerer.

Auseinandersetzung, die Familien zerreißt

„Ich höre von manchen, dass diese Auseinandersetzung Familien zerreißt“, sagt Matthias Mieke, Pfarrer der Potsdamer Nikolaikirche. Er appelliert, „dem anderen zuzuhören, so lange man es aushält, die Frage nach den Ängsten des Gegenübers zu stellen, und Impfgegnern vom eigenen Vertrauen in die Wissenschaft zu erzählen“. Es bringe nichts, jemanden überzeugen zu wollen, der sich seine Meinung bei Telegram und Facebook bilde: „Die Ansteckungsgefahr ist real und nicht wegzudenken.“

Ihm hätten manche berichtet, vor der Impfung mehr Angst zu haben als vor einer Covid-Erkrankung. Das sei, so Mieke, „schwer auszuhalten, wenn man sich um andere sorgt“.

Pfarrer Matthias Mieke.
Pfarrer Matthias Mieke.

© Andreas Klaer

Sorgen um den Frieden zum Fest macht sich auch Janek Buchheim, Mitarbeiter des in Potsdam residierenden brandenburgischen Demos-Instituts für Gemeinwesenberatung. Es hilft Angehörigen und Freunden von Menschen, die Verschwörungstheorien anheimgefallen sind. „Diejenigen, die das glauben, sind sich sicher, zu den wenigen zu gehören, die das erkannt haben“, sagte er als Berater des Angebots „Mitmensch“ den PNN. Mindestens zweimal täglich wendeten sich Ratsuchende an das Institut.

All die kruden Theorien, die im Internet verbreitet würden – vom Verlust der Fruchtbarkeit bei Frauen durch Impfungen bis zur staatlich geplanten Dezimierung der Bevölkerung – „all das hören wir in unseren Beratungen“, sagte er. Vor Weihnachten werde manchem klar, dass er diesen Verwandten nicht aus dem Weg gehen könne.

"Stimmung so explosiv wie nie zuvor"

„Vor diesem Weihnachtsfest ist die Stimmung in vielen Familien so explosiv wie nie zuvor“, warnt Buchheim, „nach zwei Glas Rotwein kann die Lage schnell eskalieren.“ Es sei wichtig zu vereinbaren, diese strittigen Themen zu meiden: „Man löst Probleme wie die Frage, ob Impfungen unfruchtbar machen, nicht am Weihnachtstisch.“ Auch sollten Diskussionen, wie viele Menschen bei Impfungen verstorben seien, „auf keinen Fall im Beisein von Kindern geführt werden. Das verunsichert sie sehr.“

Potsdams AWO-Chefin Angela Schweers spricht von einem „herausfordernden Weihnachtsfest in einer total veränderten Welt“. Wichtig sei beim Thema Corona, die Diskussionskultur zu verbessern: „Man ist etwa beim Impfen nur noch dafür oder dagegen.“ Und wenn ein Bekannter sich als Impfgegner entpuppen sollte? „Ich bin immer für den Dialog“, sagt Schweers, „ich lasse keine Risse zu.“

Ängste von Menschen nehmen zu

Menschen mit psychischen Vorerkrankungen, sagt Carsten Adam, Psychiater und Arbeitsgruppenleiter beim Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamts, hätten es in dieser Zeit besonders schwer: „Ängste nehmen zu, und die psychiatrische Versorgung ist erschwert. Patienten mit wahnhaften Erkrankungen und vor allem Ungeimpfte erleben jetzt Verstärkungen ihrer Symptome.“ Es sei vorgekommen, dass eine Patientin die Therapeuten lautstark beschimpft habe: „Ihr seid Nazis und macht Menschenversuche.“ Wie geht man damit um? „Gelassen“, sagt Adam, „wir sehen ja die psychische Erkrankung dahinter.“

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). 

© Ottmar Winter

Gleichzeitig spitzt sich ausgerechnet vor dem Festtagen in Potsdam die offene Auseinandersetzung zu zwischen Menschen, die Corona leugnen und das Impfen ablehnen, und jener Mehrheit, die die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterstützt und für das Impfen eintritt. Am Donnerstagnachmittag riefen rund 20 Gruppen aus der Potsdamer Stadtgesellschaft, viele von ihnen links, für den Montag nach Weihnachten zu Kundgebungen gegen für den selben Tag geplanten Corona-Protest von Impfgegnern auf. Den Aufruf unterstützt den Angaben nach auch das städtische Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“.

Regeln seien "keine Kann- oder Möchtegern-Vorschriften"

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) kündigte an, hart gegen Demonstranten vorzugehen, die sich nicht an Maskenpflicht und Abstandsgebot hielten. „Wir werden mit Unterstützung der Polizei die Vorschriften der Eindämmungsverordnung umsetzen“, teilte Schubert mit. Jede Feststellung werde geahndet, es würden Geldbußen verhängt. In Potsdam würden Regelbrüche nicht geduldet: „Regeln sind keine Kann- oder Möchtegern-Vorschriften, an die sich nur die halten müssen, die es gerne wollen“, sagte er. „Wenn wir zulassen, dass sich jeder die Regeln so macht wie er selbst will, scheitert nicht nur die Bekämpfung der Pandemie, sondern unser Rechtsstaat und der Zusammenhalt werden infrage gestellt.“ Auch unter manchem Weihnachtsbaum.

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