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Innerhalb des Potsdamer Klinikums "Ernst von Bergmann" kam es zu einem Ausbruch des Coronavirus. 

© Tobias Schwarz/AFP

Update

Corona-Affäre: Leitung des Bergmann-Klinikums vor dem Aus?

Wegen des Covid-19-Ausbruchs am „Ernst von Bergmann“-Klinikum könnte die Geschäftsführung beurlaubt, wenn nicht sogar abberufen werden. Die Potsdamer Stadtpolitik findet klare Worte.

Potsdam - In der Potsdamer Corona-Affäre wird es eng für die Chefs des Klinikums „Ernst von Bergmann“. Nach PNN-Recherchen verdichten sich die Hinweise, wonach der Aufsichtsrat des kommunalen Krankenhauses mit rund 2300 Mitarbeitern am Dienstag (21.4.2020) mindestens eine Beurlaubung, vermutlich jedoch die Abberufung der Geschäftsführung empfiehlt. Die endgültige Entscheidung trifft als alleiniger Gesellschaftervertreter Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Nach dem Aufsichtsrat tagt am Mittwoch der Hauptausschuss, dort wird ein politisches Votum erwartet.
Die Potsdamer Stadtpolitik signalisiert bislang mehrheitlich, dass das Vertrauen in die Klinikleitung erschüttert sei: Im Bergmann-Klinikum hat es vor knapp vier Wochen einen schweren Corona-Ausbruch gegeben. In der Folge starben dort Dutzende Patienten. Erst einen Monat später hat die Geschäftsführung jetzt Fehler eingestanden. 

37 Patienten sind seit dem 26. März nach Corona-Infektion in der Klinik gestorben. Der erste verstarb auf der Geriatrie – erst nach seinem Tod wurde die Infektion erkannt. Die Station für Altersmedizin mit 88 Betten gilt als Epizentrum des Ausbruchs. Mehr als drei Viertel der dortigen Patienten sind nach PNN-Recherchen infiziert worden, mindestens jeder sechste der Patienten starb. Zudem haben sich mindestens 25 Mitarbeiter der Station angesteckt. Das Klinikum bestätigt diese Zahlen trotz mehrfacher Anfrage nicht. Am Sonntag wurde darauf verwiesen, dass das Klinikum sich aus rechtlichen Gründen in einem laufenden Verfahren nur sehr eingeschränkt äußern dürfe. Wie viele der bislang Verstorbenen wegen einer anderen medizinischen Behandlung ins Klinikum kamen und dort mit dem Coronavirus infiziert wurden, ist ebenso unbeantwortet. Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen die Klinik. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hatte angesichts der Berichterstattung in den lokalen Medien Strafanzeige wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung sowie des Verdachts von Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz gestellt.

Vor dem Hintergrund der Corona-Affäre muss Potsdam jetzt 60 Todesopfer der Corona-Pandemie beklagen. Das teilte die Stadtverwaltung am Sonntagabend mit. Mit 295 Infizierten pro 100 000 Einwohner bleibt Potsdam der Corona-Hotspot der Hauptstadtregion. Eine Ursache dafür ist der schwere Virusausbruch im Klinikum.

Strafanzeige und erstes Eingeständnis der Verantwortlichen

Das Klinikum hatte am Samstag erstmals Fehler und Versäumnisse im Umgang mit dem schweren Corona-Ausbruch im 1100-Betten-Krankenhaus eingestanden. In einer Pressemitteilung räumt das Klinikum ein, den Ausbruch zu spät erkannt und deshalb nicht adäquat reagiert zu haben. Der Vorsitzende der Geschäftsführung Steffen Grebner bedauert in der Erklärung die Fehler und verspricht Aufarbeitung und Konsequenzen. 

Nach PNN-Recherchen ist das Eingeständnis allerdings nicht freiwillig erfolgt. Bereits am Freitag war der Druck auf Grebner und die medizinische Geschäftsführerin Dorothea Fischer gewachsen. Bei einer ersten Sondersitzung des Aufsichtsrats sollen beide mit Daten zum Infektionsgeschehen im Klinikum konfrontiert worden sein, die Versäumnisse offenlegen. Es folgte am Samstag eine sechsstündige Sondersitzung des Hauptausschusses der Stadtverordnetenversammlung, bei der nicht-öffentlich beraten wurde.

Mitteilung des Klinikums während Sondersitzung verschickt

Während der Ausschuss noch tagte, verschickte das Klinikum seine Mitteilung: „Im Zeitraum vom 13. bis 26. März ist im Klinikum Ernst von Bergmann eine kritische Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht ausreichend erkannt worden“, heißt es darin. „Dabei sind tatsächlich nachgewiesene und registrierte Infektionen bei einzelnen Mitarbeitern nicht in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht und tiefgreifend analysiert worden.“ Dies betreffe insbesondere die Bereiche Nephrologie, Urologie, Geriatrie und Allgemeinchirurgie. Bei einem anderen Herangehen „hätten im Rückblick unter Umständen noch fundiertere Entscheidungen getroffen werden können“. Die Geschäftsführung bedauere dies sehr. Auf die Toten geht das Klinikum nicht ein. Es verweist jedoch darauf, dass die „betroffenen Mitarbeiter sich unmittelbar nach einem positiven Befund in häusliche Quarantäne begeben“ hätten, um „Patienten und Kollegen zu schützen“.

Vergangene Woche hatte das Klinikum erst nach Anordnungen sowie einer Zwangsgelddrohung der Stadt und einem Aufsichtsgespräch im Gesundheitsministerium Daten zu den Infektionen an das Gesundheitsamt übergeben. Diese Pflichtangaben nach Infektionsschutzgesetz sind laut Stadt jedoch unvollständig. Am Sonntag sicherte das Klinikum auf Anfrage zu, sich mit dem Gesundheitsamt abzustimmen, „wo ggf. noch Nachbesserungsbedarf bestehen könnte“. Das Amt verfüge über „umfassendere Daten“ , das Klinikum sei „dankbar“ für die Erkenntnisse aus den Analysen, die auch im Aufsichtsrat präsentiert worden seien.

Bergmann-Geschäftsführer Grebner wird in der Pressemitteilung so zitiert: „Wir stellen uns als Geschäftsführung unserer Verantwortung“, so der Manager. „Wir haben für das Misstrauen des Gesundheitsamtes und des Oberbürgermeisters absolut Verständnis – auch für Verfügungen und Anordnungen.“ Grebner verspricht: „Wir werden etwaige Versäumnisse – insbesondere im Zeitraum vom 13. bis 26. März – transparent aufarbeiten und aktiv informieren.“ Und weiter: „Soweit in Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, das Klinikum habe bewusst entscheidende Informationen zurückgehalten, so ist dies falsch.“

Eine "Farce" und "Schmierenkomödie"

Die Stadtpolitik kritisierte die Aussagen der Geschäftsführung mehrheitlich als unzureichend. Die Erklärung sei „eine Farce“, so der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Pete Heuer (SPD). Für die CDU-Fraktion ist „klar, es gab schwerwiegende Versäumnisse der Geschäftsführung“. Es sei richtig gewesen, die Sondersitzung zu fordern. Die Fraktion Die Andere bezeichnete Grebners Auftritt im Hauptausschuss als „Schmierenkomödie“. Er habe „keine einzige inhaltliche Frage“ wirklich beantwortet. „Stattdessen las Herr Grebner ein paar Sätze vor, dass es Fehler gegeben habe und dass ihm das leidtue.“ Wenige Minuten später sei der Text, den „Herr Grebner nicht-öffentlich vorgelesen hatte, dann im Gewande einer Pressemitteilung auf der Homepage des Klinikums“ erschienen. Ein Neuanfang im Klinikum sei „nur mit einer neuen Geschäftsführung möglich“. Notfalls werde man selbst im Hauptausschuss Antrag auf Abberufung stellen. SPD-Fraktionschef Daniel Keller sagte, man freue sich, „dass unser Druck für Aufklärung nun Wirkung zeigt“. Nun gehe es darum, das Klinikum so aufzustellen, „dass es der Krise Herr wird“.

Erinnerungen an Stadtwerke-Affäre

Geschäftsführer Grebner, der das Klinikum seit 2007 führt, vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf nach Potsdam gewechselt war und nach Angaben der Stadt aus 2014 seinerzeit ein Jahresgehalt von 220 000 Euro plus Boni von maximal 40 000 Euro bezog, hat jedoch auch Unterstützer. In der Ärzteschaft, aber auch im Aufsichtsrat.

Dort sitzt für die SPD der Unternehmensberater Torsten K. Bork. Dieser ist mit Grebner über den SC Potsdam verbunden: Bork ist Präsident des Sportvereins, Grebner 1. Sprecher des von Bork gegründeten „Sportförderkuratorium“ des Vereins. Diese Konstellation erinnert an die Verbindungen, die vor einigen Jahren im Zuge der Stadtwerke-Affäre um den schließlich zurückgetretenen damaligen Geschäftsführer des kommunalen Konzerns Peter Paffhausen offenbar wurden. Nach PNN-Informationen wollte die SPD-Fraktion Bork auch wegen des Interessenkonflikts bereits aus dem Aufsichtsrat abberufen, dies sei jedoch an terminlichen Fragen gescheitert. 

Wie weiter mit dem Klinik-Konzern?

Mit der Entscheidung über die Klinikum-Geschäftsführung verbindet sich die Frage, wie die Ernst von Bergmann gGmbH, zu der fünf Tochterunternehmen sowie Beteiligungen unter anderem an der Klinik Bad Belzig, der Lausitz-Klinik und dem Klinikum Westbrandenburg mit insgesamt rund 4500 Mitarbeitern gehören, weiter durch die Corona-Krise geführt wird. Dafür muss Oberbürgermeister Schubert als Gesellschafter Lösungen präsentieren. Dazu kommt, dass der Corona-Ausbruch am Potsdamer Klinikum noch immer nicht unter Kontrolle ist, weiterhin ein Aufnahme- und Verlegungsstopp besteht. Wie lange noch, ist völlig offen. 

Derzeit wird das Klinikum, das eigentlich eine halbe Million Menschen in der Region medizinisch versorgen soll, in einen coronafreien weißen, einen grauen Verdachtsbereich sowie einen schwarzen Bereich für Infizierte getrennt. Wann Patienten wieder ohne Sorge vor einer Coronainfektion zu normalen Behandlungen ins Potsdamer Klinikum gehen können, ist unklar. 

Risikozuschlag für Klinikpersonal?

Derzeit steigt die Zahl der infizierten Klinikummitarbeiter, die erst seit dem Corona-Ausbruch regelmäßig getestet werden, weiter an. Stand Samstag waren nach Angaben des Klinikums 198 von insgesamt 2300 Mitarbeitern infiziert, ein neuer Höchstwert. Nach PNN-Recherchen stecken sich auch zahlreiche Ärzte und das Pflegepersonal der Covid-Stationen mit dem Virus an. Dort ist der Einsatz extrem hart, und wer im „schwarzen“ Bereich arbeitet, kann nicht ohne weiteres in die coronafreie Zone zurückkehren. Eine Debatte, ob die risikoreichen Tätigkeiten an der Corona-Front besser entlohnt werden sollten, gibt es in Potsdam bislang nicht. Hier läuft allerdings die Initiative für die Rückkehr zum Tariflohn für die Klinikum-Beschäftigten weiter. In Berlin fordert eine Initiative aus den Klinikkonzernen Charité und Vivantes nun bessere Schutzausrüstung und 500 Euro Risikozuschlag pro Pandemiemonat für Krankenhausmitarbeiter.

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