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Leere vor der Notaufnahme des abgeriegelten Klinikums "Ernst von Bergmann" in Potsdam.

© Ottmar Winter

Corona-Affäre in Potsdam: Schubert: „Wir waren nicht ausreichend vorbereitet“

Nach dem Corona-Ausbruch will die CDU auch die Rolle des Rathauses klären. Wann das Bergmann-Klinikum wieder ans Netz geht, ist weiter offen. Das St. Josefs testet nun doch alle Mitarbeiter.

Potsdam - Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hat eine transparente Aufarbeitung des Corona-Virusausbruchs am Klinikum „Ernst von Bergmann“ angekündigt. Es gehe um Aufarbeitung nach hinten mit dem Blick nach vorn, welche Lehren und Konsequenzen zu ziehen seien, sagte Schubert am Mittwoch im Stadtparlament. Das sei auch die Forderung des Landes. Schubert sagte weiter, die Neuaufstellung des kommunalen Unternehmens werde die Stadt noch längere Zeit beschäftigen.

Auf Nachfrage von Andreas Menzel (Freie Wähler), inwiefern der jahrelange Sparkurs am Klinikum in die Aufarbeitung einbezogen werde, sagte Schubert, man werde in den kommenden Monaten die Frage stellen müssen, ob man ausreichend vorbereitet gewesen sei. „Und selbstkritisch werden wir sagen müssen: Wir waren es nicht.“ Das werde auch bei künftigen Haushaltsdebatten eine Rolle spielen. Schubert appellierte aber auch, die Krankenhausfinanzierung bundesweit zu reformieren. Seit Jahren hatte das Klinikum zusätzliche Investitionsmittel in Millionenhöhe gefordert.

Ex-Ministerin soll Untersuchungskommission leiten

Seit Mitte März häuften sich in dem städtischen Krankenhaus Corona-Infektionen. Die Klinik ist für die gesamte Region zuständig. Das Interventionsteam des Robert Koch-Instituts wurde eingeschaltet, es deckte Versäumnisse auf und gab Empfehlungen, darunter eine veränderte Aufstellung des Krisenstabs - Hygiene und Betriebsarzt waren nicht im Krisenstab vertreten. Am vergangenen Wochenende hatte die Geschäftsführung erstmals Fehler eingeräumt. Bisher starben 39 Covid-19-Patienten in der Klinik. Der Aufsichtsrat des Klinikums empfahl am Dienstag, beide Geschäftsführer zunächst zu beurlauben und eine externe Kommission zur Aufarbeitung der Krise einzusetzen.

Die Kommission soll von Ex-Landesgesundheitsministerin Anita Tack (Linke) geleitet werden. Die 69-Jährige soll nach dem Wunsch von Oberbürgermeister Schubert auch die Mitglieder für die Kommission auswählen. Da eine offizielle Entscheidung noch nicht vorliege, äußerte Tack, die ab 2009 fünf Jahre Ministerin war, sich am Mittwoch auf Anfrage zunächst nicht. Die frühere Landtagsabgeordnete aus Potsdam zählt zu den erfahrensten Politikerinnen ihrer Partei.

Die ehemalige Gesundheitsministerin Anita Tack (Die Linke).
Die ehemalige Gesundheitsministerin Anita Tack (Die Linke).

© Bernd Settnik/dpa

Neben der von Schubert vorgeschlagenen Untersuchungskommission fordert die CDU-Fraktion im Rathaus weitere Aufklärung – und zwar zur Rolle der Stadtverwaltung in der Corona-Affäre. Einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag stellte die CDU im Hauptausschuss. Demnach soll laut CDU eine weitere unabhängige Kommission die Frage beantworten, ob und inwieweit es auf Seiten der Stadt, die gleichzeitig Gesellschafterin des Klinikums und Fachaufsichtsbehörde ist, mögliche Verfehlungen gegeben hat. Für die Dauer der Untersuchung solle Bürgermeister Burkhard Exner (SPD) und nicht mehr Schubert die Rolle des Gesellschafters und der Aufsicht über das Gesundheitsamt übernehmen. So will die CDU vermeiden, dass Schubert sich selbst kontrollieren muss. Es soll unter anderem die Frage geklärt werden, warum auch nach früheren Meldeverstößen und Hygieneproblemen des Klinikums wiederholt die jetzt beurlaubte Geschäftsführung des Hauses entlastet wurde.

Über die Beurlaubung der Geschäftsführung und weitere Maßnahmen wollte der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung am Mittwochabend debattieren. Der Vorsitzende der Geschäftsführung Steffen Grebner wollte sich vor der Sitzung auf PNN-Anfrage nicht zum Votum des Aufsichtsrats äußern, der auf Vorschlag von Oberbürgermeister Schubert am Dienstag empfohlen hatte, die Geschäftsführung sofort zu beurlauben. 

Betriebsrat kritisiert Grebner - und stützt ihn

Der Betriebsrat des Klinikums sieht in einem Brief an die Potsdamer Stadtverordneten „eine Beurlaubung der gesamten Geschäftsführung kritisch“ und bat, dass zumindest Geschäftsführerin Dorothea Fischer ihre erst vor kurzem übernommene Position weiter ausübe. „Prinzipiell sind wir der Ansicht, dass in der Bewältigung der Krise die gesamte Geschäftsführung nicht beurlaubt oder ausgetauscht werden sollte“, so die Betriebsratsvorsitzende Sabine Bülth. „Was auch immer passiert ist, kann später aufgearbeitet werden.“ Mit dem langjährigen Chef Grebner geht Bülth dennoch hart ins Gericht, ohne seinen Namen zu nennen. Als Betriebsrat habe man sich „über Jahre hinweg wiederholt und vergebens wegen massiver Probleme mit der Führungs’kultur’ in unserem Unternehmen an Mitglieder des Aufsichtsrats, den Gesellschafter sowie Stadtverordnete gewandt“. Dabei sei es nicht nur um das Wohlbefinden der Arbeitnehmer gegangen, sondern auch um Sorgen um „die Auswirkungen auf die Qualität von Entscheidungsprozessen und deren entsprechenden Resultate“. Doch solche Warnungen seien lange ignoriert worden, auch vom Gesellschafter – also der Rathausspitze unter Mike Schubert und seinem Vorgänger Jann Jakobs (beide SPD). Mögliche Versäumnisse müssten untersucht werden, so der Betriebsrat.

Thomas Weinke (l.), Ärztlicher Direktor des Bergmann-Klinikums, und Steffen Grebner, Vorsitzender der Geschäftsführung.
Thomas Weinke (l.), Ärztlicher Direktor des Bergmann-Klinikums, und Steffen Grebner, Vorsitzender der Geschäftsführung.

© Andreas Klaer

Unterdessen ist weiterhin völlig unklar, wann das Bergmann-Klinikum wieder einen normalen Betrieb aufnehmen kann. Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte am Mittwoch, sie hoffe, dass bald wieder Corona-Patienten aufgenommen werden könnten. Das Klinikum müsse dem Gesundheitsamt bis Ende der Woche eine erste schriftliche Analyse des Ausbruchs liefern, so Nonnemacher. Wenn diese vorliege, wäre der Covid-Bereich in der Klinik der erste, in dem wieder Patienten aufgenommen werden könnten.

Seit drei Wochen ist das Klinikum nahezu abgeriegelt. Es dürfen außer Notfälle keine Patienten aufgenommen oder verlegt werden. Es liege noch kein konkreter Zeitplan für die Wiederaufnahme des Betriebs vor, teilte das Klinikum am Mittwoch auf PNN-Anfrage mit. Krisenstab und Klinikleitung erarbeiteten in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt ein „abgestimmtes Konzept“.

Dreiteilung des Klinikums läuft

Um das Klinikum wieder für Patienten öffnen zu können, muss das Krankenhaus in drei Bereiche aufgeteilt werden – weiß für coronafreie Stationen, grau für Verdachtsfälle und schwarz für coronainfzierte Patienten. Zwischen allen dreien darf es keine Berührungspunkte geben, damit sich das Coronavirus nicht verbreiten kann. Dass dies zeitnah möglich ist, hatte das Robert Koch-Institut nach dem Einsatz seines Interventionsteams im Klinikum am 3. April jedoch offenkundig bezweifelt. Das RKI hatte wie berichtet empfohlen zu überlegen, das Bergmann-Klinikum zum reinen Covid-Krankenhaus zu machen – das lehnten Land und Stadt jedoch ab. Man wolle die Dreiteilung versuchen, sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), das Bergmann werde als Schwerpunktkrankenhaus gebraucht.

Stand Mittwoch werden im Bergmann 54 Covid-Patienten behandelt, davon 43 auf der Covid-Normalstation und elf auf der Intensivstation. Zehn der elf müssen beatmet werden. Laut Klinikum sind fünf Personen aus der Covid-Normalstation als genesen entlassen werden, darunter zwei Frauen im Alter von 83 und 89 Jahren sowie drei Männer im Alter von 60, 64 und 73 Jahren. Seit den vergangenen 107 Stunden sei kein Patient mehr im Klinikum verstorben.

Was kostet der Leerstand im Klinikum?

Das 1100-Betten-Haus steht jedoch nahezu leer. Welche betriebswirtschaftlichen Auswirkungen das hat, könne derzeit nicht seriös beziffert werden, teilte das Klinikum auf PNN-Anfrage mit. Die Klinik sei aber „solide finanziert und war in den vergangenen Jahren strukturell profitabel“. Man tausche sich mit dem Beteiligungsmanagement der Stadt „zu den voraussichtlichen betriebswirtschaftlichen Effekten“ aus. Aus ethischen Gründen wolle das Klinikum aber „Covid-Patienten keine betriebswirtschaftlichen Verluste zuordnen“. Priorität habe die Gesundheit der Patienten und Mitarbeiter.

Am Standort Potsdam sind laut Klinikum derzeit 2290 Mitarbeiter im Einsatz, davon seien 438 Ärzte, 1069 Pflegekräfte und 62 Reinigungskräfte. Viele Mitarbeiter, die nicht für die Versorgung der Patienten gebraucht würden, seien im Abstrichmanagement sowie bei Hygiene und Sicherheit im Einsatz. Zudem würden sieben Mitarbeiter der Bergmann-Gruppe im St. Josefs-Krankenhaus aushelfen – dort werden zahlreiche Potsdamer behandelt, die sonst im Bergmann-Klinikum versorgt worden wären. Das RKI hatte jedoch festgestellt, dass Bergmann-Mitarbeiter kaum im St. Josefs aushelfen könnten, da Infektionen trotz Tests nicht ausgeschlossen werden könnten.

St. Josefs-Verbund testet jetzt doch alle Mitarbeiter

Unterdessen hatte sich die Situation im St. Josefs-Krankenhaus zugespitzt, zeitweise mussten alle Intensivbetten wegen Personalmangels abgemeldet werden. Diese Problematik hat sich durch Unterstützung mit Personal aus der Alexianer-Gruppe und von externen Dienstleistern etwas entspannt. Am Mittwoch wurden im St. Josefs laut Stadt 40 Covid-Patienten behandelt, davon einer unter Beatmung auf der Intensivstation. In den vergangenen 24 Stunden starben dort drei Menschen mit Corona-Infektion.

Die Zahl der infizierten Mitarbeiter steigt auch im St. Josefs-Krankenhaus. Es seien derzeit 49 von 550 Mitarbeitern infiziert, hieß es am Mittwoch auf PNN-Anfrage. Ein Sprecher des Krankenhauses bestätigte, dass ab nächster Woche alle Mitarbeiter im Verbund der Christlichen Kliniken in Potsdam - dazu gehören St. Josefs-Krankenhaus, Oberlinklinik und Evangelisches Zentrum für Altenmedizin (EZA) - in einer einmaligen Reihentestung auf Corona-Infektionen überprüft werden sollen. Zuerst hatte die Märkische Allgemeine berichtet. Bislang hatte das St. Josefs-Krankenhaus solche pro-forma-Abstriche abgelehnt. Nun gehe es darum, einen kompletten Überblick zu bekommen und eine Dunkelziffer auszuschließen, hieß es. Seit dem 16. April arbeiten alle Mitarbeiter im St. Josefs-Krankenhaus unter Vollschutz.  

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