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Buhrufe beim Osterkonzert der Kammerakademie Potsdam: „Es ist unsere Aufgabe, mit Erwartungen zu spielen“

Potsdams Kammerakademie wurde beim Osterkonzert ausgebuht. Warum, erklärt KAP-Chef Hollensteiner im PNN-Interview.

Herr Hollensteiner, beim Osterkonzert der Kammerakademie im Nikolaisaal kam es zu einem für Potsdam eher ungewöhnlichen Vorfall: Es gab laute Buhrufe, einige Zuhörer forderten Schauspieler auf, die Bühne zu verlassen, andere verließen aus Protest selbst den Saal. Sie störte, dass zu „Stabat mater“, wo es um die Kreuzigung Jesu und den Schmerz seiner Mutter geht, sehr dominant ein schauspielerndes Paar auf der Bühne stand. Was ist da passiert?

Es ist ganz normal, dass auch mal etwas schiefgeht. Wir haben mit einer gewissen Erwartungshaltung gebrochen, das ist klar. Das ist aber auch unsere Aufgabe: Die Erwartungen weiterzuführen, zu enttäuschen und auch zu erfüllen. Mit einer Reaktion rechnen wir bei jedem Projekt.

Ja, Ablehnung gehört zu Kunst und Kultur dazu. Doch war das Verhalten des Publikums Ihrer Ansicht nach so in Ordnung?

Das will ich nicht kommentieren. Aber ich will lieber eine Reaktion als gar keine Reaktion. Wir wollen auch neue Dinge ausprobieren und keinen Stillstand. Ich will, dass das Publikum nachdenkt. Kunst will doch im besten Sinne Gedankenprozesse auslösen. Dazu darf es auch mal kontemplative Konzerte geben. Aber Kunst sollte auch herausfordern und zum Mitdenken anregen. Und wenn die Kunst das tut, haben wir vieles richtig gemacht.

Hatte es mit der Erwartungshaltung zu tun, dass Zuschauer die Inszenierung abgelehnt haben – und lieber ein klassisches Osterkonzert wollten?

Das mag sein. Wir haben aber schon im Titel „Stabat mater theatral“ kenntlich gemacht, dass hier eine Inszenierung stattfinden wird. Und das auch dementsprechend in der Werbung deutlich gemacht. Es gab im Programm der Osterfestkonzerte auch die Möglichkeit, in ein klassisches Konzert zu gehen.

Wie kam es zu der Idee, „Stabat mater“ modern zu inszenieren?

Es gibt die Tradition, dass wir ein Kulturprogramm zu den Feiertagen anbieten. Beim Osterkonzert wollten wir dieses Jahr am Anlass und am Tag nahe dranbleiben und das auch inhaltlich bedienen. Daher kam die Idee, „Stabat mater“ zu machen. Weil wir aber nicht in einer Kirche spielen, wollten wir es anders machen – vom Orchesterrepertoire der ersten Hälfte des Konzerts bis hin zur Inszenierungsidee von Lydia Steier. Wir wollten die Themen auf die heutige Zeit übertragen: Kommunikation, Trauer, Hoffnung. Wir wollten eine Brücke zwischen Tradition und Moderne schlagen und „Stabat mater“ so aufführen, wie man es in einem weltlichen Konzertsaal tun kann.

Vor allem die Übertragung der Schauspieler auf eine große Leinwand und ihre Position mitten auf der Bühne empfanden einige als störend. Absicht?

Es gehörte zu der Idee dazu, die Schauspieler so zu inszenieren. Wir wollten eine Art zweite Ebene anbieten mit der Position, dem Licht und dem Videokonzept. Wir haben mit Lydia Steier einer erfahrenden Regisseurin die Inszenierung in die Hände gegeben.

Wie sind die Schauspieler mit dem Protest umgegangen?

Das ist schwierig zu sagen. Denn sie haben auf der Bühne eine andere Sicht auf das Konzert und werden es anders wahrgenommen haben. Und es haben viele Leute versucht, die Buhrufer zu hindern, sind aufgestanden und haben laut „Bravo, Bravo“ gerufen. Wir ringen in der Kammerakademie immer lange mit unseren Entscheidungen. Wenn wir aber eine getroffen haben, stehen wir auch dazu, das gebietet die Verantwortung. Auch wenn es bei dem Konzert einige eventuell spontane, undurchdachte Reaktionen aus dem Publikum gab.

Einige Gäste meinten, es sei vielleicht für die Potsdamer zu aufregend gewesen. Verträgt das Publikum in der Landeshauptstadt moderne Inszenierungen nicht?

Man sollte sein Publikum grundsätzlich niemals unterschätzen. Wir haben viele Erfahrungen mit internationalem Publikum gemacht und es als offen, interessiert und intelligent erlebt. Das Potsdamer Publikum ist nicht anders. Wir haben auch anspruchsvolle Darbietungen, wie etwa bei der Winteroper, die gut ankommen. Ich habe Respekt vor dem Potsdamer Publikum, das ich für wahnsinnig offen halte.

Ziehen Sie als Verantwortliche Rückschlüsse für künftige Inszenierungen?

Wir haben die Aufgabe, mit Erwartungen zu spielen und nicht einfach zu repetieren. Dazu gehört aber auch ein ständiges Lernen. Es wird sicherlich von uns reflektiert werden, darf uns aber nicht davon abhalten, weiterhin Risiken einzugehen. Wir versuchen immer, die Historie der Musikgeschichte ins Heute zu bringen – das ist der Geist der Kammerakademie Potsdam. Unser Weg ist es, eine Brücke zwischen der Tradition und der Moderne zu bauen. Auch dieses Konzert ist ein Geländer auf dieser Brücke.

Das Interview führte Sarah Stoffers

ZUR PERSON: Alexander Hollensteiner, Jahrgang 1977, studierte unter anderem Musikwissenschaft und Kulturmanagement. Seit 2014 ist er Geschäftsführer der Kammerakademie Potsdam.

Sarah Stoffers

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