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Einige Händler in der Brandenburger Straße beschweren sich darüber, dass die Holzbuden zu dicht an den Schaufenstern standen.

© Manfred Thomas

Blauer Lichterglanz in Potsdam: Neuer Streit um den Weihnachtsmarkt

Für die Innenstadt-Händler geht das Konzept nicht auf: Sie klagen über Umsatzeinbußen wegen des Weihnachtsmarktes in der Brandenburger Straße. Andere sehen die Situation gelassener.

Potsdam - Wenn es um das Gute, Wahre und Schöne geht, hat der Potsdamer Buchhändler Carsten Wist eine fein entwickelte Sensorik: „Das ästhetische Konzept des Weihnachtsmarktes an der Brandenburger Straße ist entsetzlich“, sagt Wist. „Es gibt hier keine weihnachtliche Atmosphäre, es geht nur ums Saufen und Fressen“. Wist stört sich an der Budenstadt nicht etwa, weil die rund 150 Verkaufsstände, die vor und nach Weihnachten 35 Tage lang das Bild der Innenstadt prägten, ihm sein Weihnachtsgeschäft vermasselt hätten. „Wir hatten nicht wegen, sondern trotz des Weihnachtsmarkts wie immer gute Umsätze“, erzählt Wist. „Aber der war eine schwer auszuhaltende Belästigung.“ Gerade als Stadt des Weltkulturerbes habe Potsdam „einen besseren Markt verdient“.

Die meisten Standbetreiber verließen Potsdam wie berichtet zufrieden. Doch kaum haben sie ihre Buden abgebaut, ist ein neuer Streit um den Weihnachtsmarkt im Zentrum entbrannt. Das Konzept, die wichtigste Einkaufsstraße der Stadt wochenlang mit einem Saum von Bratwurst-, Glühwein-, Süßigkeiten- und Kunsthandwerkständen – je nach Geschmack – zu schmücken oder zu verschandeln, scheint umstrittener zu sein denn je.

Suppe, Brühe oder altes Fett im Fußabtreter

Losgetreten hat die nachweihnachtliche Debatte Boutique-Betreiberin Simone Möller. Der Dezember sei für sie wegen des Marktes „mit der schlechteste Monat“ gewesen, der Umsatz um mehr als ein Drittel zurückgegangen: „Man könnte Betriebsferien machen.“ In einem Brandbrief an Freunde und Kunden beschrieb sie den Ekel, den sie morgens überwinden musste: Besucher hätten „Suppe, Brühe oder altes Fett vor meinem Geschäft in den Fußabtreter gegossen“. Sie musste fünf Wochen „beschmierte Schaufensterscheiben säubern, Glühweinbecher, Paprikastreifen und Mutzen von den Fensterbänken entfernen“. Sie empörte sich über „Fett, Essensreste, Dreck und Zigarettenkippen“ in einer „mit Bretterverschlägen zugestellten historischen Einkaufsstraße“.

Möller macht deutlich: Die Stadt habe geeignete Bereiche und Plätze für den Weihnachtsmarkt: den Luisenplatz etwa oder den Bassinplatz. Wenn es aber das Konzept der Stadt sei, „Billigtourismus mit herangekarrten Reisebussen“ zu fördern, „dann wird diese unschöne Entwicklung voranschreiten“.

Einige glauben, dass sich der Markt eher positiv auf die Umsätze auswirkt

Die ortsansässigen Ladeninhaber sind geteilter Meinung: Manche, wie Julia Chevallerie vom neuen Café „Miss Green Bean“ nahe der St. Peter und Paul-Kirche, sind „fassungslos“ darüber, dass die Budenbesitzer ihre Häuschen so nah an den Schaufenstern aufbauen durften, dass vielerorts der Blick in die Auslagen verstellt wurde. Mit Folgen: „Der Umsatz brach weg, ich hatte pro Tag 200 bis 400 Euro weniger Einnahmen.“ Zudem hätten die Besucher Abfall zwischen die Buden geworfen und die Sitzkissen vor ihrem Café mit Senf und Ketchup beschmutzt.

Einige Kollegen machten andere Erfahrungen. So hatte Jeanine Köppen, Geschäftsführerin des WMF-Shops, „keine Einbußen, aber wir waren auch nicht so zugebaut“. Uhrmachermeister Andreas Braune glaubt sogar, „dass sich der Markt eher positiv auf die Umsätze der meisten auswirkt“.

Nicht appetitlich ist, was Alexander Hollenberg, Betriebsleiter des Cafés „Extrablatt“, während des Marktes beobachtet hat: „Etliche gingen zum Pinkeln in den Gang neben unserem Café, andere luden da Müll ab. Ich war froh, als es vorbei war.“ Auch Inke Falkenhain, Inhaberin der Hunde-Fachgeschäfts „Dog´s Company“ klagt: „Zum ersten Mal seit drei Jahren habe ich im sonst florierenden Weihnachtsgeschäft ein Minus gemacht“.

Je nach Uhrzeit sehe man Mängel, gibt der Betreiber zu

Keine Alternative sieht Johannes Haerkötter, Niederlassungsleiter von Fielmann, zum Markt an der Brandenburger Straße: „Man hat 20 Jahre nach anderen Standorten gesucht: Luisenplatz, Bassinplatz und an der Hegelallee. Alles zu klein für eine Budenstadt und so viele Besucher.“ Er störe sich auch nicht am Konzept: „Wenn es stimmt, dass dieser Markt 300.000 Besucher hat: Kommen die, um etwas zu sehen, was sie nicht mögen?“

Einige der Kritikpunkte sind auch Eberhard Heieck, Chef der Cottbusser Coex-Veranstaltungs-GmbH und Betreiber des Marktes, zu Ohren gekommen. „Man sieht natürlich Mängel, wenn man die Brandenburger Straße zu bestimmten Uhrzeiten betritt und die Reinigungskräfte noch nicht ihre Arbeit getan haben“, sagte er, als die PNN ihn im Urlaub auf Mauritius erreichten. Bis auf die Mützen- und Schalhändler, die wegen der milden Temperaturen weniger als erhofft verkauften, seien die Standbesitzer zufrieden gewesen, Vor dem nächsten Markt werde er „mehr Werbung für die Stände am Riesenrad betreiben“.

Diesen Monat folgt noch eine offizielle Bilanz

Heieck hat mit der AG Innenstadt einen Vertrag über die Nutzung der Brandenburger Straße geschlossen. Dem Vernehmen nach zahlen die Händler mit weniger umsatzstarken Ständen wie Verkäufer von Kunsthandwerk einen Tagessatz von unter 100 Euro. Wer etwa Glühwein oder Grillwürste, die Renner des Markts, anbietet, muss mit dem Zwei- bis dreifachen rechnen.

Die Stadt profitiert davon mit einer Sondernutzungsgebühr für die städtischen Flächen. Noch im Januar will die Potsdam Marketing und Service GmbH (PMSG), eine Tochtergesellschaft der Landeshauptstadt, mit allen Beteiligten eine Bilanz des Weihnachtsmarktes ziehen. Die Marketingexperten wollen prüfen, wie der Markt in diesem Jahr verbessert werden kann.

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Hintergrund

Der Weihnachtsmarkt in der Brandenburger Straße kommt in einem Ranking des Familienratgebers „StadtLandTour“ nur auf den fünften von acht Plätzen in der Landeshauptstadt und ihrer Umgebung. Für das im brandenburgischen Wildau (Landkreis Dahme-Spreewald) herausgegebene Internetmagazin (www.stadtlandtour.de) ist die Budenstadt „der kommerzielle unter den Weihnachtsmärkten“. Auf Platz eins steht „der herzenswarme“ böhmische Weihnachtsmarkt in Babelsberg, auf Platz zwei folgt der „familienfreundliche“ Sinterklaas im holländischen Viertel. Als drittschönsten bewerten die Autoren den „astronomischen“ polnischen Sternenmarkt vor dem „romantischen“ auf dem Krongut Bornstedt (Platz vier). Die weiteren Bewertungen: Der „abgeschiedene“ Adventszauber auf Hermannswerder (Rang 6), „der königliche“ am Belvedere am Pfingstberg (7) und der kunsthandwerkliche Weihnachtsmarkt in Beelitz (8).

Carsten Holm

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