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Auf dem Regiobus-Gelände in Babelsberg steht eines der Mikrodepots, über die das Team um Jan Erdweg Biokisten in Potsdam ausfährt.

© Andreas Klaer

Bioprodukte für Potsdam: Lieferkette ohne Stau und Abgas

Das Ökonetzwerk Grüne Stadtlogistik bringt Bioprodukte umweltfreundlich mit dem E-Lastenrad zum Kunden. In Babelsberg steht eines der 16 Mini-Verteilzentren.

Von Matthias Matern

Potsdam - Für ein Öko-Netzwerk ist Organisationsgeschick gefragt – und Muskelkraft. Denn während Carina Heinz mit der neuen Fahrerin noch schnell die Details für ihre nächste Tour abspricht, packt ausnahmsweise auch Jan Erdweg mit an und stapelt die gepackten Lebensmittelkisten in den Transportraum des Lastenfahrrades: Brot, Milch, Butter, Obst – alles in Bioqualität und aus der Region, von der Landkorb GmbH & Co. KG aus Teminitztal im Landkreis Ostprignitz-Ruppin.

Morgens zwischen vier und sechs Uhr hat der Bio-Lebensmittelanbieter aus der Nähe von Fehrbellin die bestellten Waren nach Babelsberg gefahren und in den beiden Blechcontainern auf dem dortigen Betriebshof der Regiobus Potsdam Mittelmark GmbH verstaut. Dort haben die Fahrer der Cargo Velo Deutschland die Kisten abgeholt und verteilen sie termingerecht ohne lange Lagerung an den Kunden. Alles gesteuert durch die App, die sich Jan Erdweg und sein Kompagnon Olaf Lehnigk haben entwickeln lassen.

Digitale Plattform verknüpft Teilnehmer des Netzwerks

„Grüne Stadtlogistik“ auf der sogenannten letzten Meile, also der finalen Etappe zum Endkunden, ist die Geschäftsidee ihrer 2019 gegründeten Zukunfsangelegenheiten GmbH. „Unser Ziel ist es Städte vom Lärm, den Staus und Emission zu befreien“, erklärt Erdweg. Geprägt ist das Konzept vom Netzwerkgedanken. Erzeuger und Lieferdienste arbeiten reibungslos zusammen, wenn der eine ausfällt, springt der andere Verteilservice ein. Kernstück ist die App. 

Auch eine Handy-App kommt zum Einsatz.
Auch eine Handy-App kommt zum Einsatz.

© Andreas Klaer

Die digitale Plattform verknüpft die Teilnehmer des Netzwerks. Lieferdaten werden per Upload oder Schnittstelle direkt ins System geladen und automatisiert auf die Radlogistiker und Fahrzeuge verteilt. Kurz vor der Anlieferung erhält der Verbraucher eine E-Mail mit der genauen Lieferzeit. Ebenfalls Teil des Konzepts sind die sogenannten Mikrohubs, die Erdweg und Lehnigk eingerichtet haben. Etwas grobschlächtige Metallcontainer wie man sie aus großen Häfen kennt, teilweise mit Kühlung. Insgesamt 16 solche Hubs gibt es bereits, 15 in Berlin. Der in Potsdam ist der einzige in Brandenburg.

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Dabei ist die Zukunfsangelegenheiten GmbH streng genommen einen brandenburgische Firma. Die Entwicklung der App wurde von der Investitionsbank Brandenburg (ILB) gefördert. Der Firmensitz ist Wustermark im Havelland. Wieso Wustermark? Keiner der beiden kommt von da oder Ähnliches. „Einen besonderen Grund gibt es eigentlich nicht. Olaf Lehnigk hat da eine Beteiligung am Hafen. Deshalb ist da unser Büro“, erklärt Erdweg wenig spektakulär.

Erstaunlich ist dagegen, was alles in so ein E-Lastenfahrrad passt. „Zugelassen ist es für 250 Kilogramm“, sagt Carina Heinz. „Wir laden aber meist nur so 200 Kilogramm. Wegen des Materials und den Kopfsteinpflasterstraßen“, schiebt sie hinterher, während ein zweites E-Lastenrad über die kleine Wiese zu den Containern schaukelt.

Zwei E-Lastenräder und ein Streetscooter in Potsdam im Einsatz

Carina Heinz ist Projektentwicklerin bei Cargo Velo. Das Unternehmen wurde ebenfalls 2019 gegründet. Firmensitz ist Düsseldorf. Ausgeliefert wird bundesweit an fünf Standorten. „In Potsdam haben wir zwei E-Lastenräder im Einsatz – und einen Streetscooter, wie ihn die Post benutzt“, berichtet Heinz. Denn für Anlieferungen außerhalb von Babelsberg und der Innenstadt seien die E-Lastenräder einfach ungeeignet. Dabei sei das Fahren wegen der Unterstützung durch den E-Motor gar nicht das Problem, verrät die junge Fahrerin, bevor sie sich wieder auf den Weg machen muss zu ihrer zweiten Tour an diesem Tag. „Viel anstrengender ist es, die vielen Kisten die Treppen raufzutragen“, sagt sie noch schnell und grinst. Elf Kunden hat sie heute schon beliefert.

Für das Verteilen der Produkte werden Lastenräder genutzt.
Für das Verteilen der Produkte werden Lastenräder genutzt.

© Andreas Klaer

Die Idee für das klimaneutrale Liefernetzwerk auf der letzten Meile ist originellerweise einem Entrepreneurship-Projekt der Deutschen Bahn zu verdanken, also einem Logistikriesen, der mit den letzten Kilometern bis zum Endkunden sonst eher wenig am Hut hat. In dem Fall hat sich die Bahn allerdings der Frage gestellt, wie man Waren möglichst umweltfreundlich ans Ziel bringt. Und Jan Erdweg und Olaf Lehnigk haben mitgegrübelt. Zu dieser Zeit hatte sich jedoch gerade der Bundesrechnungshof der Bahn angenommen und plötzlich lagen die Prioritäten woanders. „Uns wurde nahegelegt, uns doch selbstständig zu machen“, erinnert sich Erdweg.

Heute, drei Jahre später, können die beiden Gründer zufrieden sein. „Wir schreiben schwarze Zahlen“, sagt Erdweg. Große finanzielle Risiken birgt ihr Konzept ohnehin nicht. Das Unternehmen beschäftigt einen festen Mitarbeiter und drei Werksstudenten. Horrende Miete für ein schickes Büro in der Potsdamer City oder in Berlin-Mitte fällt auch nicht an. Lediglich für die Abstellflächen ihrer besagten Hubs müssen sie bezahlen. Im Fall der Regiobus Potsdam Mittelmark GmbH sei die Miete aber äußerst moderat, sagt der 48-jährige Unternehmer.

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Dank der Vermittlung durch den regionalen Bio-Verband, der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau (FÖL), gehören drei der größten Anbieter und Lieferservices für regionale Bio-Produkte zum Netzwerk. Neben Waren der Landkorb GmbH & Co. KG werden auch Produkte aus dem Ökodorf Brodowin und der Märkischen Kiste über die Hubs von Erdweg und Lehnigk verteilt. Mehr als 150 000 Lieferungen werden dem Unternehmen zufolge inzwischen pro Jahr so emissionsfrei ausgeliefert. An jeder Transaktion verdienen die Netzwerkschmiede ihren Anteil. Außerdem vermittelt die Zukunfsangelegenheiten GmbH Werbeflächen auf nachhaltigen Transportmitteln. Auch auf den beiden Potsdamer Lastenrädern prangt breit die Werbung der Landkorb GmbH & Co. KG.

Auch Bars und Kneipen könnten demnächst beliefert werden

Für die Zukunft haben sich Erdweg und Lehnigk zunächst erstmal vorgenommen, die Auslastung der Hubs über den gesamten Tag zu verbessern. Wenn die letzten Gemüsekisten am Nachmittag ausgefahren sind, könnten zum Beispiel Waren für Bars, Kneipen und Restaurants die zeitliche Lücke bis zum frühen Morgen füllen. Eine Expansion in andere Metropolenräume dagegen spiele noch keine Rolle, so Erdweg. „Wir bekommen zwar immer wieder Anfragen, wollen aber erstmal Brandenburg-Berlin richtig machen.“ Und das scheint schwierig genug. Denn freie Flächen, selbst für die relativ kleinen Container, sind Mangelware. „In Potsdam haben wir mehr als ein Jahr gesucht, trotz Hilfe der Stadt und der ILB“, berichtet der Gründer. „Schon lange suchen wir auch was in Berlin-Mitte.“

In wenigen Tagen soll in Zehlendorf ein neues Hub eingerichtet werden. Wer Tipps für freie Flächen hat, ist bei Erdweg und Lehnigk willkommen. Ein entsprechender Aufruf findet sich auch auf ihrer Internetseite. „Wir haben sogar schon auf diesem Weg Hinweise bekommen. Geklappt hat es dadurch aber bislang noch nicht“, räumt Erdweg ein und schmunzelt.

www.grünestadtlogistik.de

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