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Beobachter des Klimawandels: Die Vermessung des Eises

Wilfried Korth fährt seit 15 Jahren nach Grönland. Der Vermessungsexperte hat das Eisschild schon mehrfach auf Skiern gequert – und kann dabei dem Klimawandel buchstäblich zusehen. Bald geht es wieder los.

Potsdam - Am Montag in einer Woche startet der Flug. Von Berlin-Tegel in die isländische Hauptstadt Reykjavík, von dort weiter nach Kulusuk an der Ostküste Grönlands. Dann sind es nochmal etwa 30 Kilometer mit dem Boot nach Tasiilaq. Das ist der größte Ort an der grönländischen Ostküste. Gerade einmal 2093 Einwohner zählt er – etwa fünfmal so viele wie der Potsdamer Ortsteil Grube. Dort wiederum bereitet Wilfried Korth momentan seine nächste Expedition ins grönländische Eis vor.

Fünf Mal schon war der 58-jährige Potsdamer auf der Eiskappe der größten Insel der Welt, kürzere Aufenthalte und Urlaube nicht eingerechnet. Mit einem Team von drei bis sechs Männern querte er den Südteil Grönlands auf einer historischen Route – derjenigen, auf der dem Schweizer Arktisforscher Alfred de Quervain 1912 die erste Querung des Inlandeises gelang. 700 Kilometer in sieben Wochen auf Skiern, die Ausrüstung ziehen Korth und seine Begleiter dabei auf Schlitten selbst, übernachtet wird im Zelt. Die Idee: Ohne aufwendige Technik wie Raupenschlepper oder Helikopter eine wissenschaftliche Expedition durchzuführen, die einen Beitrag zur Klimafolgenforschung leisten soll.

GPS-basiertes Messgerät in Laptopformat

Konkret misst Korth, der an der Beuth Hochschule für Technik Berlin Professor für Vermessungskunde ist, mit seinem Mitstreitern die Höhe der Eisdecke, um daraus Rückschlüsse auf die Änderung der Eismasse ziehen zu können. Das kann man seit vielen Jahren zwar auch per Satellit machen, erklärt er. Mit seiner „Bodentruppe“ geht es aber genauer: Während bei der Höhenmessung per Satellit mit einem Fehler von bis zu fünf Metern gerechnet werden müsse, gehe es bei der Messung am Boden höchstens um Zentimeter. „Wir liefern einen hochgenauen Vergleichsdatensatz“, sagt Korth, der in diesem Jahr für die Bildungsarbeit seines Vereins Iceploration rund um die Arktis und den Klimawandel mit dem Potsdamer Klimapreis ausgezeichnet wurde.

Ein auf GPS beruhendes Messgerät in Laptopgröße, eine Antenne und ein Solarmodul sind alles, was er für die Vermessung des Eises benötigt. Neu ist diesmal ein selbst entwickelter Eisbohrer. Denn die Forscher wollen auch die Dichte des Eises messen – und so prüfen, ob die festgestellten Höhenveränderungen auf eine Verdichtung des Eises zurückzuführen sind. Zum Beispiel, wenn Schichten von verharschtem Schnee erst geschmolzen und dann wieder gefroren sind.

Klimawandel auf Grönland: „Da wachsen die Berge praktisch aus dem Eis“

Wie das Eisschild abschmilzt, dabei kann Korth bei seinen Touren buchstäblich zusehen. Vor allem an den Randregionen an der Küste ändere sich die Oberfläche sehr stark: „Da wachsen die Berge praktisch aus dem Eis.“ Fünf bis zehn Meter Höhe pro Jahr verliere das Eis dort, in zehn Jahren sind also 50 Meter freigelegt. Aber auch auf dem Eisschild selbst – Korth war bis in 2600 Metern Höhe unterwegs – seien die Veränderungen spürbar. „Die Oberfläche ist extrem rauer geworden.“ Durch häufige Tau- und Frierprozesse entstehen kräftige Buckel und Wasserrinnen, die die Fortbewegung schwieriger machen.

Wer beim „ewigen Eis“ bitterkalte Temperaturen erwartet, der täuscht sich. In den Sommermonaten herrschen an der grönländischen Küste um die fünf Grad Celsius. Etwas kühler ist es auf dem Eis, sagt Korth: „Wir hoffen auf Frost.“ Denn auf angetautem Eis laufe es sich nicht nur schlechter, die Sache wird auch gefährlicher. „Spalten im Eis zum Beispiel sind nur zu betreten, wenn sie durchgefroren sind.“ Im Zweifel kann das kilometerlange Umwege bedeuten. Aber selbst mit Frost wird den Forschern beim Laufen mit den mit gut 100 Kilogramm bepackten Schlitten – allein für die Verpflegung mit Müsli, speziellem Milchpulver und Trockengerichten muss mit einem Kilogramm pro Tag gerechnet werden – durchaus warm: „Wir sind schon in Unterwäsche gelaufen“, erzählt Korth.

Hohe Kosten für die Anreise - und für die Krankenversicherung

Sein Faible für die Polarregionen entwickelte Wilfried Korth schon vor mehr als 30 Jahren. „Ich war einer der letzten DDR-Bürger, die 1988 in der Antarktis waren“, sagt er. Nach dem Studium der Vermessungstechnik fand er 1985 am damaligen Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam, dem Vorgänger des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ), eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter. In dem Institut wurde auch die Antarktisforschung der DDR koordiniert. Als Ende 1988 für den geplanten Ausbau der 1976 eröffneten Georg-Forster-Station in der Antarktis ein Vermessungstechniker gesucht wurde, kündigte Korth seine Stelle und schlug zu. Als er zurückkam, war in den Wende-Wirren an eine Wiedereinstellung zwar nicht zu denken, das Schicksal führte ihn aber an die Technische Universität in Dresden, wo er in Wieland Adler einen guten Freund und den Initiator für die Grönland-Expeditionen kennenlernte.

Lange habe er dessen Idee einer Querung des Eises zu Fuß für unrealistisch gehalten, erzählt Korth: „Ich bin in Magdeburg im Flachland großgeworden, ich konnte nicht mal Ski fahren!“ Mehrere Besuche in Grönland später wagte er 2002 mit Adler und zwei weiteren Mitstreitern die erste Expedition, damals mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Es folgten weitere Eistouren in den Jahren 2006, 2010, 2012 und zuletzt 2015. Die Finanzierungsfrage stellt sich nach wie vor. Teuer ist nicht nur die Anreise, sondern auch die spezielle Krankenversicherung, die für ein solches Unterfangen nötig ist. Trotz Projektförderung und Sponsoren für die Ausstattung bleibt für die Teilnehmer diesmal ein Eigenanteil von rund 2000 Euro.

Fast wie der Arktispionier Alfred de Quervain vor 100 Jahren

Dabei geht es aktuell nicht um eine komplette Querung, die ist erst für 2019 wieder geplant. Korth ist mit zwei weiteren Mitstreitern jetzt nur für drei Wochen unterwegs, um genaue Messungen in der Küstenregion vorzunehmen. Auch der mithilfe eines Feinmechanikers selbst entwickelte Eisbohrer soll vor Ort getestet werden. Wenn das Wetter stimmt, wollen die Forscher 50 bis 60 Kilometer weit aufs Eis gehen – auf Skiern und mit Schlitten. Fast wie der Arktispionier Alfred de Quervain vor 100 Jahren.

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