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In Theresienstadt gestorben. Der Potsdamer Anwalt Gustav Herzfeld.

© privat

Ausstellung im Landgericht: Wie jüdische Juristen aus Potsdam in der NS-Zeit verfolgt wurden

Eine Schau im Landgericht informiert über das Schicksal von jüdischen Juristen in Potsdam zur NS-Zeit. Auch ein Stadtplan wurde erarbeitet

Potsdam - 9. November 1938, Reichspogromnacht: In Potsdam wird der ehemalige Richter Fritz Hirschfeld von den Nazis verhaftet. Noch wenige Jahre zuvor war er ein angesehener Bürger der Stadt, sechs Jahre lang war er Vorsitzender des Amtsgerichtes Potsdam. Doch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war der jüdischstämmige Hirschfeld ins Visier der Behörden geraten, auch ein Übertritt zum Katholizismus änderte daran nichts. Seine Freilassung erfolgte nur unter der Bedingung, dass er das Land verließ. Da die Nazis nur Hirschfeld, nicht aber sein Vermögen vertreiben wollten, erlegten sie ihm eine „Reichsfluchtsteuer“ in Höhe von 35 000 Reichsmark auf; zuvor hatte er bereits 38 000 Reichsmark „Sühneleistung“ und „Vermögensabgabe“ zahlen müssen – eine Sonderabgabe, die der NS-Apparat wegen der angeblich „feindlichen Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“ von Juden einforderte. 1939 floh Hirschfeld in die Niederlande, seine krebskranke Frau blieb bis zu ihrem Tod 1941 in Potsdam.

An Hirschfeld und viele andere Richter und Rechtsanwälte, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert und umgebracht wurden, erinnert derzeit die Ausstellung „Verfolgte jüdische Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam“ im Erdgeschoss des Landgerichtes Potsdam. Bei der Eröffnung im April, bei der auch Brandenburgs Justizminister Stefan Ludwig (Linkspartei) zugegen war, wurden die Namen aller 32 jüdischen Juristen verlesen, die im Landgerichtsbezirk Potsdam (zu dem auch Potsdam-Mittelmark, das Havelland und Teltow-Fläming gehören) tätig gewesen waren.

Landgericht hat Stadtplan mit den Kanzleien der verfolgten Juristen erstellt

Zudem wurde der Besprechungsraum des Landgerichts Potsdam nach Fritz Hirschfeld benannt. „So bleibt der Name hier im Haus präsent und ist uns täglich Mahnung und Warnung“, sagte Ellen Chwolik-Lanfermann. Die Präsidentin des Landgerichtes hat die Ausstellung, die noch bis zum 5. Juli zu sehen sein wird, maßgeblich initiiert. Erarbeitet wurde sie bereits 2002 vom ehemaligen Landgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Wende und der Potsdamer Juristischen Gesellschaft. Die Schau ist eine Herzensangelegenheit für Chwolik-Lanfermann: „Gerade angesichts aktueller Ereignisse und vieler antisemitischer Vorfälle ist es besonders wichtig, dafür zu sensibilisieren, wie dünn der Firniss der Zivilisation ist.“

Zusätzlich hat das Landgericht einen Stadtplan erstellt, auf dem zu sehen ist, wo sich die Standorte der Kanzleien der verfolgten Juristen befanden, von denen 16 in Potsdam tätig gewesen waren. Chwolik-Lanfermann empfiehlt die Karte ausdrücklich für Stadtrundgänge: „Ich selbst habe seitdem einen anderen Blick auf die Stadt.“

Fritz Hirschfelds Büro befand sich im Amtsgericht am Nauener Tor, gewohnt hat er in der Griebnitzseestraße 8 im heutigen Klein Glienicke. Nachdem er seinen Arbeitsplatz, seine Heimat und seine Familie verlassen musste, suchte er im niederländischen Sluis Zuflucht. Sein Plan, nach Brasilien auszuwandern, scheiterte: Nachdem Deutschland 1940 die Niederlanden besetzt hatte, wurde Hirschfeld erst in das Konzentrationslager Westerbork verschleppt, dann nach Theresienstadt, 1944 deportierte man ihn nach Auschwitz. Dort verlieren sich seine Spuren.

„Wir haben keine Kenntnis, dass es irgendeinen lauten Protest gab“

Hirschfelds Schicksal steht exemplarisch für die Schicksale vieler anderer Juristen, die in Potsdam ebenso wie in ganz Deutschland aufgrund ihrer Abstammung verfolgt worden waren. Doch die Anfeindungen begannen schon früher, so Chwolik-Lanfermann: „Schon im Kaiserreich hatten es Juden schwer im Staatsdienst, auch wenn sie getauft waren. Antisemitismus war weit verbreitet. Daher sind viele jüdische Juristen Anwälte geworden, weil es schwierig war, Richter zu werden.“

Dies galt auch für das konservative Potsdam: Anfang der 1930er Jahre waren hier 27 Prozent der Juristen in der Stadt jüdischer Herkunft, in Berlin dagegen rund 50 Prozent. Nach der Machtübernahme der NSDAP versuchten die Nazis mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ alle „nicht-arischen“ Staatsdiener aus den Behörden zu entfernen. Es gab jedoch eine Ausnahme für Beamte, die als hochdekorierte Soldaten im Ersten Weltkrieg für das deutsche Reich gekämpft hatten: „Die Nazis hatten nicht damit gerechnet, dass dies auf so viele Juristen jüdischer Herkunft in Potsdam zutraf“, sagte Chwolik-Lanfermann. So verblieben einige – auch Hirschfeld – zunächst im Dienst. Kampagnen und Boykott-Aufrufe gegen jüdische Anwälte trieben deren Kanzleien jedoch an den Rand des Ruins: Am ersten April 1933 blockierten SA- und SS-Männer etwa die Kanzlei des Rechtsanwaltes Sally Cohn in Brandenburg an der Havel, um dessen Mandanten am Eintritt zu hindern. „Der Direktor des Amtsgerichtes Brandenburg erteilte ihm sogar Hausverbot“, sagte Chwolik-Lanfermann.

Doch wie haben die nicht-jüdischen Juristen in Potsdam auf diese Vorgänge und Vertreibungen ihrer Kollegen reagiert? „Leider haben viele von ihnen gerne die freigewordenen Kanzleien übernommen“, sagte Chwolik-Lanfermann. „Wir haben keine Kenntnis, dass es irgendeinen lauten Protest gab.“ Eine gesonderte Aufarbeitung der Kollaboration und Mittäterschaft Potsdamer Juristen in der NS-Zeit gibt es bislang noch nicht.

13 Juristen schafften es ins Exil

Von den 32 verfolgten Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam flohen 13 ins Exil, einer davon kehrte später nach Deutschland zurück. Mindestens fünf von ihnen starben in Konzentrationslagern. Zu einigen der Verfolgten existieren nur lückenhafte Lebensdaten. Sechs überlebten die NS-Zeit in Deutschland. Zu letzteren gehörte Ernst Stargardt, Staatsanwalt am Landgericht Potsdam, der in der Luisenstraße 15, der heutigen Zeppelinstraße, wohnte. Dank der „Mischehe“ mit einer „arischen“ Frau blieb er von der Deportation verschont, nach 1945 stieg er als Mitglied der CDU sogar zum Justizminister in Brandenburg auf. Ende der 1940er Jahre geriet er jedoch zunehmend unter Druck der SED und flüchtete 1950 aus der DDR.

Zu denen, die die NS-Zeit nicht überlebten, gehört Gustav Herzfeld: Der Potsdamer Rechtsanwalt wohnte in der Potsdamer Straße 26, wo heute zum Gedenken auch ein Stolperstein im Gehweg an ihn erinnert. Seine Kanzlei befand sich in der Lindenstraße 13. 1938 wurde er mit einem Berufsverbot belegt und war in der Stadt zunehmend isoliert. 1942 musste der 80-Jährige in das jüdische Altersheim in der Babelsberger Straße 1 umziehen, in der Öffentlichkeit hatte er den Judenstern zu tragen. Mit einem Suizid wollte er der Deportation nach Theresienstadt entgehen, dieser schlug jedoch fehl. Nachdem er im St. Josefs-Krankenhaus gesund gepflegt wurde, wurde er am vierten Oktober 1942 nach Theresienstadt verschleppt. Hier starb Herzfeld nur wenige Wochen später am 27. Oktober.

Eine ausführliche Dokumentation aller Schicksale und der damaligen Situation in Potsdam befindet sich in dem (vergriffenen) Buch „Für ihn brach die Welt, wie er sie kannte, zusammen – Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam“, das 2003 von Hans Bergemann und Simone Ladwig-Winters herausgegeben wurde.

Die Ausstellung ist bis 5. Juli im Landgericht Potsdam, Jägerallee 10-12, zu sehen.

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