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Ausstellung im Belvedere auf dem Potsdamer Pfingstberg zur Geschichte des Hauses zwischen 1945 und 1994.

© Andreas Klaer

Ausstellung im Belvedere: Lebenserinnerungen vom Pfingstberg

Wie war es mit den Sowjets Wand an Wand zu leben? Was erlebten die Menschen in der Nauener Vorstand, die geblieben waren? Zeitzeugen haben ihre sehr persönlichen Geschichten in Videos erzählt. 

Potsdam - Spielen im Belvedere auf dem Pfingstberg? „Das war von den Eltern dringend verboten“, sagt Stefan Schalinski, Jahrgang 1965, der als Kind und Jugendlicher im Pfarrhaus in der Großen Weinmeisterstraße lebte. Wer hier aufwuchs, stromerte meistens dennoch in den Ruinen umher und kletterte auch hinein. Irgendeine Lücke fand sich immer in dem ansonsten zugemauerten, langsam verfallenden Gebäude. Drinnen war es durchaus gefährlich: Auf schmalen Treppenwangen balancierten sie neben eingestürzten Treppenstufen und zerfressenen Balken Meter für Meter in die Höhe, zuletzt bis auf den Turm. Oben dann: welche Sicht! Auch auf die Grenzanlagen. „Deshalb sollte ja keiner da hoch“, so Schalinski.

Erinnerungen zwischen Gartenlaube und Russenmagazin

Diese und andere Erinnerungen haben Schalinski und weitere Zeitzeugen für die neue Sonderausstellung im Belvedere erzählt: „Zwischen Gartenlaube und Russenmagazin. Alltag am Potsdamer Pfingstberg 1945 – 1994“. Sie will einen Blick auf die Jahrzehnte werfen, in denen hier alles andere als Tourismus im glanzvollen Weltkulturerbe mit gepflegten Parklandschaften und Villen herrschte. Denn im Sommer 1945 errichteten die russischen Besatzer zwischen Pfingstberg und Neuem Garten ihr Militärstädtchen mit KGB-Gefängnis und Spionagezentrale. 16 Hektar, mehrere Straßenzüge mit etwa 100 Gebäuden, prächtige Villen oder Bürgerhäuser, deren Bewohner vertrieben wurden, verschwanden hinter Bretterzaun und Schlagbäumen, bis zum Abzug der Sowjets 1994. Wie lebte es sich unter diesen Umständen? Was erlebten die Menschen, die geblieben waren, bleiben durften?

Auf Infotafeln wird über die Geschichte des Ortes zwischen 1945 und 1994 berichtet. 
Auf Infotafeln wird über die Geschichte des Ortes zwischen 1945 und 1994 berichtet. 

© Andreas Klaer

Nach einem Aufruf in der Presse meldeten sich viele Zeitzeugen, die ihre Erinnerungen für diese Ausstellung auf Video erzählten. Diese 54 Filmsequenzen sind das Herz der Ausstellung. Der Besucher nimmt in einer der drei Medienstationen Platz. Vor ihm an der Wand befindet sich ein herkömmliches Klingelschildpanel mit den Namen der Sprecher. 

Die Anwohner hörten furchtbare Schreie und Hurra-Rufe

Aufs Klingeln erscheinen auf dem Bildschirm unter anderem René und Mario Kade, heute Betreiber der Gaststätte am Pfingstberg, die hier aufwuchsen. Sie erinnern sich unter anderem an russische Lieder und Hurra-Rufe, die vom Appellplatz zu hören waren. Ursula Demitter, die mit ihrer Tochter neben dem Gefängnis wohnte, erinnert sich an furchtbare Schreie, die sie manchmal nachts hörten. Horant Krüger, geboren 1938, spricht über das Kriegsende, das er in Potsdam erlebte, sowie die erste Zeit mit den Besatzern. Zwei Zimmer ihrer Wohnung in der Persiusstraße mussten sie an Offiziere abtreten. „Die kannten keine Betten, die schliefen auf dem Kachelofen und lagerten zum Entsetzen meiner Mutter Trockenfleisch in der Mahagonikommode“, erinnert er sich. Und sie rätselten, wozu das Wasserkloset da war. Zum Füße oder Kartoffeln Waschen? Als Junge machte er sich bald nützlich, half den Soldaten beim Bau des Bretterzauns und bekam ein Brett und Nägel geschenkt, eine sehr wertvolle Sache. Daraus bauten sie zu Hause einen Kaninchenstall, natürlich für Kaninchen zum Essen.

Im Sommer 1945 errichteten die russischen Besatzer zwischen Pfingstberg und Neuem Garten ihr Militärstädtchen.
Im Sommer 1945 errichteten die russischen Besatzer zwischen Pfingstberg und Neuem Garten ihr Militärstädtchen.

© Andreas Klaer

Die sehr persönlichen Geschichten gehen durch alle Jahrzehnte, von der großen Not der Nachkriegszeit bis zum Alltag mit der Mauer. Mit Feiern im Jugendklub und Nachtwachen im Schrebergarten, damit Soldaten auf Ausgang nicht die Kirschen vom Baum klauten, mit Sondereinkäufen im Magazin, dem russischen Lebensmittelladen, und mit heimlichem Schwimmen in der verlassenen Badeanstalt am Jungfernsee. Auch das war eigentlich „dringend verboten“. 

Die Videos werden ergänzt mit Fototafeln und Text. Hier wird der historische Kontext übersichtlich erläutert aber auch ein kleines Einmaleins des DDR-Alltags angeboten. Das ist besonders für Besucher, die die DDR nicht kannten, hilfreich. Unterhaltsam ist es allemal. 

Förderverein Pfingstberg hofft auf regen Andrang, um Corona-Minus zu mildern

Die Ausstellung im Belvedere passt inhaltlich wunderbar zur Sonderausstellung im Schloss Cecilienhof, die sich dem 75. Jahrestag der Potsdamer Konferenz der Siegermächte widmet. Ohne diese hätte es auch die besondere Situation der Nauener Vorstadt nicht gegeben. 

Die Zeitzeugenberichte illustrieren, wie sich das, was Stalin, Truman, Churchill und später Attlee wenige Hundert Meter entfernt beschlossen, auch auf das tägliche Leben in der Nachbarschaft auswirkte.

Der Förderverein Pfingstberg in Potsdam hofft jetzt auf viele Besucher, um die Einnahmeausfälle aufgrund der wochenlangen Schließung wenigstens ein wenig aufzufangen. Auch Veranstaltungen wie Frühlingsfest und Sommertheater mussten abgesagt werden. Bis zum 6. Juli dieses Jahres wurden lediglich 7652 Besucher gezählt. 2019 und 2018 waren es da bereits etwa 21 000. „Helfen würden uns zurzeit ganz besonders institutionelle oder private Fördermitgliedschaften“, heißt es vom Förderverein. Durch Corona-Soforthilfen konnten laufende Kosten gedeckt werden, Mitarbeiter gingen vorübergehend in Kurzzeit. Jetzt soll sich alles langsam normalisieren, auch Hochzeiten können wieder im Belvedere stattfinden. In Schloss und Innenhof muss man keinen Mundschutz tragen, nur in den Räumen der Ausstellung.

Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr, der Eintritt in Belvedere und Ausstellung kostest 6 Euro, ermäßigt 4,50 Euro.

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