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Klassiker der Ostmoderne. Die Schwimmhalle am Brauhausberg ist eine von vier baugleichen Typs, die es in der DDR gab. Der Prototyp in Dresden steht unter Denkmalschutz, die Potsdamer Halle ist die einzige, die abgerissen werden soll. Christian Keller plädiert für einen differenzierten Umgang mit DDR-Bauten.

© Andreas Klaer

Architektur und Stadtentwicklung: „Große Gefahr, dass Unschönes entsteht“

Christian Keller, der Präsident der Brandenburgischen Architektenkammer, spricht im PNN-Interview über Potsdamer Streitlust, den Druck auf dem Wohnungsmarkt, den Gestaltungsrat und den Umgang mit der Ostmoderne.

Herr Keller, in Potsdam wird viel gestritten über Architektur. Woran liegt das?

Da gibt es sicher mehrere Gründe. Einer ist, dass es hier ein relativ starkes bürgerliches Selbstbewusstsein gibt. Und das andere ist, dass es auch die Offenheit der Medien gibt. Ich habe den Eindruck, dass dadurch, dass mehrere Tageszeitungen vor Ort sind, diese Themen einfach behandelt werden – durchaus kritisch behandelt werden. Und das ist auch gut so. Und dass über Architektur gestritten wird, das ist auch gut. Streit ist ein wesentliches Mittel in einer lebendigen Demokratie, um die gebaute Umwelt mitzugestalten.

Sie sind jetzt seit fast einem Jahr Präsident der Brandenburgischen Architektenkammer – streiten die Potsdamer denn wirklich mehr als anderswo?

Ja, für Brandenburg nimmt Potsdam eine Sonderstellung ein. Ich komme ja aus einer anderen Region...

... der Lausitz.

Da ist das nicht ganz so ausgeprägt. Das sehen wir auch manchmal mit einer Träne im Auge. Das fängt an mit ganz einfachen Dingen: Wenn über Architektur berichtet wird, dann wird einfach vergessen: Wer hat’s denn eigentlich gebaut? Das ist so, als würde man sich ein Konzert anhören und nicht verraten, wer das Stück geschrieben hat. Das zeigt sich aber auch in der Qualität der Auseinandersetzung: Da wird schnell mit geschmäcklerischen Bewertungen umhergeworfen und gar nicht gefragt: Ist das Gebäude denn tatsächlich gut oder sinnvoll? Eine gepflegte Streitkultur kann durchaus etwas Bereicherndes sein.

Es gibt aber auch das Gegenteil, wie bei der Synagoge in Potsdam: Da hat der Streit das Projekt über Jahre blockiert.

Da lagen die Gründe eher darin, dass die Ziele nicht ausreichend bekannt waren. Die jüdische Gemeinschaft konnte sich, nachdem der Architektenwettbewerb gelaufen ist, nicht einigen über die Nutzung. Da ist so ein Kind eigentlich in den Brunnen gefallen. Und deswegen ist es natürlich an der Stelle auch gut, wenn weitergestritten wird. Daraus muss man aber auch lernen: Bevor die Aufgabenstellung nicht klar ist, brauchen wir keinen Architekturwettbewerb.

Ist eine Stadt wie Potsdam, wo der Druck auf dem Wohnungsmarkt groß ist und man Immobilien für viel Geld verkaufen kann, besonders anfällig für schlechtere Qualität in der Architektur?

Ja. Das betrifft nicht nur Potsdam, sondern auch Berlin und das ganze Berliner Umland. Dadurch, dass der Bedarf hier so hoch ist, ist auch die Gefahr groß, dass hier Unschönes entsteht, bei dem man sich in zehn Jahren schon einig sein wird: Das ist so schrecklich, das müssen wir wieder zurückbauen.

Sehen Sie dafür Beispiele in Potsdam?

Dafür kenne ich mich nicht gut genug aus. Sicherlich wird es die Beispiele aber geben. Wenn es die Gesellschaft zulässt, dass das Bauen vorrangig als Gewinnanlage genutzt wird, wird das auch wahrgenommen.

Es gibt in Potsdam den Gestaltungsrat, der Investoren im Hinblick auf die städtebauliche und architektonische Qualität ihrer Planungen beraten soll. Die Sitzungen finden aber seit 2017 weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Da sehe ich sowohl Licht als auch Schatten. Als Architekt muss man in einem solchen Gremium seinen Entwurf vorstellen und verteidigen – und dann im schlimmsten Fall sogar ändern, und das ohne weitere Vergütung. Das ist die Schattenseite. Die Lichtseite kann aber auch die sein, dass ein Projekt dadurch in der Öffentlichkeit ganz anders wirken kann. Und da sind wir an einem Schlüsselpunkt: Meines Erachtens kann es nicht sein, dass ein Gestaltungsrat nicht öffentlich ist.

Warum?

Wenn ein Gestaltungsrat einen Sinn haben soll, dann kann es eigentlich nur der sein, dass er den Diskurs gerade in der Öffentlichkeit befördert. Diese Dinge unter Verschluss zu halten, im stillen Kämmerlein, halte ich für eine ganz große Fehlentscheidung. Dann ist es im Grunde eine Art Verschönerungsverein, wo jeder seine Meinung irgendwie mit hineinbringen kann. Wenn ein Gestaltungsrat nicht in der Öffentlichkeit tagt, ist das ein gutes Anzeichen dafür, dass irgendetwas falsch läuft.

Klare Worte.

Mal ganz abgesehen davon, dass Potsdam einen Gestaltungsrat hat, bei dem die Präsenz der Architektenkammer nicht gefragt ist.

Nicht?

Nein. Wir haben der Stadt unsere Hilfe mehrfach angeboten. Das ist nicht gewollt. Warum, weiß ich nicht.

In Potsdam gibt es eine rege Debatte um das architektonische Erbe der DDR, insbesondere in der Innenstadt. Kritiker sprechen von einem regelrechten Kahlschlag. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Ich würde nicht so weit gehen, da einen expliziten Willen zu unterstellen. Das würde ja bedeuten, dass jemand diese Macht auf sich vereinen würde – und diese Person sehe ich nicht, wir sind eine demokratische Gesellschaft. Nichtsdestotrotz ist es eine Frage des Bewusstseins, wie man mit diesen Gebäuden und dieser Zeitschicht umgeht. Ich glaube, es ist ein Fehler, die Hinterlassenschaften der DDR so ohne Notwendigkeit und ohne ein Überlegen zu entsorgen.

Warum?

Diese Bauten sind Zeitdokumente. Viele Menschen, die hier leben, verbinden viel mit ihnen. Darüber hinaus sind sie auch kleine technische Archive, von denen man durchaus noch lernen kann – was zum Beispiel Effizienz angeht, was serielles Bauen angeht. Das sind große Themen gerade vor dem Hintergrund der Wohnungsbaufrage. Jetzt werden diese Bauten also entsorgt. Und es kommt etwas Neues dahin. Ob das gut ist oder nicht, ist gar nicht die Frage.

Sondern?

Es ist eine Frage der Kultur: Wie gehen wir mit unserer Vergangenheit um? Natürlich muss man nicht jeden Plattenbau erhalten, aber man sollte gerade bei so exponierten Bauten wie dem Fachhochschul-Gebäude oder dem alten Schwimmbad und dem Terrassenrestaurant Minsk bewusst damit umgehen. Man sollte den Diskurs nicht scheuen und nach Lösungen suchen, die es uns möglich machen, diesen Reichtum, den wir geerbt haben, auch in die Zukunft zu bringen. Das, was gerade in Potsdam passiert, ist, dass wir uns unsere eigene Vergangenheit aufbauen. Zumindest in den Fassaden.

Den historisierenden.

Ja. Ob das der Landtag ist oder das Barberini: Das sind alles Zweitaufführungen von Bauwerken, die vermeintlich einmal so gewesen sind. Dass die auch städtebauliche Qualitäten, architektonische Qualitäten haben können, ist unbestritten. Ich glaube aber, dass es nicht ausreichend Bewusstsein dafür gibt, dass das, was tatsächlich alt ist, was tatsächlich dort steht, natürlich einen Wert darstellt. Man sollte vielleicht mehr darüber nachdenken, dass die Vergangenheit ein fernes Land ist, welches unwiederbringlich verloren geht, wenn wir es wegreißen.

Muss sich das denn widersprechen: historische Fassaden und zeitgenössisches Bauen?

Nein, eigentlich gibt es überhaupt keinen Widerspruch. Das zeitgenössische Bauen muss es geben, und das hat es auch immer gegeben. Es hat immer auch das Ändern von Gebäuden gegeben, das Weiterentwickeln. Deswegen ist es so spannend, ein sehr altes Gebäude zu betreten. Da steckt unheimlich viel drin, weil Generationen diese Gebäude immer wieder angenommen haben, aber auch ein Stück weit verändert haben. So ein Gebäude wächst von seinen Zeitschichten wie eine Zwiebel, es wird immer größer. Häufig kranken wir daran, dass wir uns aus dieser Abfolge der Geschichte eine Schicht heraussuchen und sie überstrapazieren. Zum Beispiel: Nur die Zeit Friedrichs II. ist interessant, weil man damit eben humanitäre Größe verbindet oder staatliche Größe oder andere Dinge. Das sind spannende Aspekte, aber danach ist doch noch viel mehr passiert. Und gerade Zeiten, die nicht so gut waren, sind umso mehr erinnernswert. Das zeigt sich bei der Debatte um die Berliner Mauer.

Von der fast nichts mehr erhalten ist.

Da ist leider vieles verloren gegangen. Das Spannende ist ja: Die Mauer ist inzwischen in der Wahrnehmung der Weltgemeinschaft nicht mehr das trennende Element, sondern das Element, was überwunden wurde. Das ist für uns als Gesellschaft jetzt unglaublich positiv besetzt. Das ist sicher schwer nachzuvollziehen für jemanden, der lange Zeit unter der Trennung gelitten hat.

Ist der Bewusstseinswandel eine Generationenfrage?

Man sollte einfach vorsichtiger sein und dem zeitgenössischen Bauen den Raum einräumen, den es verdient. Kein Mensch schickt heute eine Depesche oder ein Telegramm, weil es ja Smartphones gibt. Warum tun wir so, als würden wir in Häusern aus dem 18. Jahrhundert leben?

Potsdam wächst immer weiter. Muss angesichts des Zuzugs über das Bauen in die Höhe nachgedacht werden?

Potsdam ist eine Kulturlandschaft, mit all den Sichtachsen und Parks. Das ist ein Wert, der ist unbezahlbar. Das durch hohe Bauten zu zerstören, wäre fatal. Wenn wir verantwortlich mit der Vergangenheit umgehen wollen, dann kann man an so einer Stelle eben auch nicht sagen: Das ist jetzt egal, weil wir Wohnungen brauchen. Dann müssen wir andere Wege finden.

Welche?

Wenn man in die Höhe nicht wachsen kann, ist die städtische Verdichtung das beste Mittel oder eine städtische Erweiterung, wie in Krampnitz. Aber dort ein reines Wohngebiet zu planen, wäre auch ein großer Fehler. Wenn die Stadt wächst, dann muss sie in allen Teilen wachsen. Dort muss das Gewerbe seinen Ort haben, der Einzelhandel und natürlich auch die öffentlichen Institutionen. Große monostrukturierte, monofunktionale Gebiete auszuweisen – das ist ein Weg, der in Zukunft nicht mehr haltbar ist.

Das Gespräch führte Jana Haase

Christian Keller, Jahrgang 1971, arbeitete bis 2003 am Lehrstuhl Denkmalpflege der BTU Cottbus. Er leitet ein Architekturbüro in Cottbus. Seit April 2017 ist er Präsident der Architektenkammer.

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