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Architektur und Astronomie: Es gibt keine Zufälle

Der Potsdamer Maler Olaf Thiede hat ein Buch zur Brandenburger Baukultur geschrieben. Über die Geheimnisse von großen Potsdamer Bauwerken.

Potsdam - Den Grundriss des Stadtschlosses kann Olaf Thiede aus dem Kopf zeichnen. Und braucht dazu nur wenige Sekunden. „Wenn wir den Querflügel dritteln, ergibt jedes Drittel exakt die Größe des Grundrisses der drei benachbarten Kirchen, die alte Nikolai, die Garnison und die Heilig-Geist. Die doppelte Länge ergibt die Höhe ihrer Kirchtürme.“ Und weiter malt er, Linien, Quadrate, Dreiecke, schlägt halbe Kreise, zeichnet Winkel ein, so leichthändig, als würde der Stift von selbst übers Papier flitzen. Dann schaut er auf das mysteriöse geometrische Netz, das das Papier und somit Potsdams Innenstadt überzieht, dann auf seinen Zuhörer. „Das kann doch kein Zufall sein“, sagt Thiede.

Der Potsdamer Maler und Buchautor sitzt in seinem Atelier, ein romantisches Gartenhaus in der Babelsberger Tuchmacherstraße. Früher, sagt Thiede, hielten die Leute hier Kühe und Schweine in ihren Gärten. Bis man die riesigen Grundstücke teilte. Mit Stadtgeschichte kennt er sich aus. Gerade wird in der Druckerei Rüss sein neues Buch produziert, der Doppelband „Zeichen in der Landschaft. Von Kirchen, Klöstern und Wegen übers Land / Von Schlössern, Windmühlen und Zitadellen“. 500 Seiten über „Landmarken, Sichtachsen und Sonnenzeichen“. Auf dem Titel scheint die Sonne waagerecht durch einen Turm des Belvedere auf dem Pfingstberg. Zufall?

Natürlich nicht, sagt Thiede. Um zu erklären, muss Thiede weit ausholen und zunächst auf die versteckten mathematischen, geometrischen, astronomischen und historischen Zusammenhänge hinweisen, die sich in der Architektur dieser Stadt widerspiegeln. Die sich im ganzen Land Brandenburg und weiter weg finden. Man muss sich auf ein neues Sehen einlassen. Erst sehen, dann Fragen stellen. Dann vielleicht verstehen. Und dann wieder sehen. Aber anders.

„Nennen Sie das bloß nicht esoterisch“, bittet Olaf Thiede. Ihm geht es um die Kultur- und Architekturgeschichte, entstanden in Jahrhunderten, Jahrtausenden, und um das, was davon heute sichtbar übrig ist. Was man aber in der Schule leider nicht mehr lernt. Darüber hat Thiede immer wieder geschrieben, insgesamt elf Bücher publiziert. Kleine Auflagen, finanziert aus eigener Kraft, mit Hilfe von Freunden und Sponsoren.

„Gesamtkunstwerk Potsdam“ war das Einsteigerbüchlein zur Potsdamer Architektur. Hier erklärte er, wie früher mit den drei geometrischen Grundformen – Quadrat, Dreieck, Kreis – gestaltet wurde. „Die Formen finden sich in jedem barocken Giebel“, sagt er. In modernen Entwürfen sei davon noch das Quadrat übrig – langweilig. Er echauffiert sich: „Welcher Architekt kann denn noch erklären, was der goldene Schnitt ist?“

Für das neue Buch, in dem es um Landmarken wie Kirchtürme, Gutshäuser, Schlösser und Gärten und die Ausrichtung der alten Landstraßen geht, ist Thiede mit dem Rad durchs Land gefahren. Das habe in etwa die Geschwindigkeit eines Pferdes und erlaube eine authentische Annäherung. Er wollte erleben, wie es sich angefühlt haben könnte, als Gesandter durch das leere, dunkle Land zu reiten, um im Auftrag einer Äbtissin ein Bistum zu gründen. Weil die Menschen Orientierung brauchten, sei eine Großraumplanung entstanden. Das Buch will erklären, warum eine Burg, ein Bistum, eine Kirche genau hier und nicht zwei Meter weiter steht. Warum manche Fenster und Türen scheinbar wahllos und unsymmetrisch angeordnet sind, sich komische Gestaltungselemente finden, die heute willkürlich wirken.

Schon in den vergangenen drei Jahren hat sich der Maler, der er ja auch und vielleicht vornehmlich ist – ein Experte für das Abbilden dieser sanften bis wilden brandenburgischen Stimmungen –, intensiv mit dem Land beschäftigt. Im Vorfeld der Bundesgartenschau hat er sich die Havel von der Quelle bis zur Mündung angeschaut und gemalt. Er scheint in Brandenburg jede Krume zu kennen. Dabei wollte er nie in der Erde wühlen und habe sich gegen ein Archäologiestudium entschieden.

Thiede, geboren 1957, wurde stattdessen Gebrauchsgrafiker. Bevor er nach der Wende freischaffend malte und publizierte, arbeitete er einige Jahre sogar im Interhotel, wie das Mercure damals hieß. Er entwarf Werbung und Speisekarten, ohne Rechner, Kopierer und Internet. „Ich schaute abends im Westfernsehen Werbespots, um Ideen zu holen“, sagt er. Wenn man ihn zur Zukunft des Hotels fragt, sagt er deutlich, dass es da nicht hingehört. Von der Wasserseite her sehe es noch ganz gut aus. Wie es von der Stadtmitte her wirke, darüber habe man sich wohl keine Gedanken gemacht. „Sieht aus wie ein starres Brett.“ Er wünsche sich, dass die Potsdamer Bauherren sich den Blick für das große Ganze bewahren. Dass nicht jeder nur sein eigenes Projekt durchboxt. Dass man im Zusammenhang baut. Auch dazu soll sein Buch anregen – den Blick öffnen über Zeit und Generationen hinaus. Ein Prinzip, das auch Potsdams Könige verinnerlicht hatten.

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