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Drastische Worte. Ein Unbekannter hat auf ein Plakat der Veranstaltung geschrieben: „Juden??? Ich dachte die haben wir ausgerottet“. Das Institut der Universität Potsdam will sich von solch antisemitischer Hetze nicht beirren lassen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Antisemitische Hetze überschattet Festakt

Seit 20 Jahren gibt es die Jüdischen Studien an der Uni Potsdam. Ein Jubiläumsplakat wurde mit einer antijüdischen Schmähung beschrieben

Park Sanssouci - 20 Jahre Jüdische Studien an der Universität Potsdam sind eine Erfolgsgeschichte. Von einem Experiment hat sich das Fach mit rund 200 Studierenden heute zu einem weltweit bekannten Nukleus für Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Judentums in der Hauptstadtregion entwickelt. Das kann man feiern, was das Institut am Mittwoch auch tat. Wäre da nicht dieser Wermutstropfen: Professor Christoph Schulte, der vor 20 Jahren zusammen mit den Ideengebern Julius H. Schoeps und Karl Erich Grözinger das Fach entwickelt hat, rollte ein Plakat der Veranstaltung aus, das zuvor am Schwarzen Brett des Institutes gehangen hatte. Mit deutlichem Nachdruck hat jemand neben die Überschrift „Jüdische Studien für das 21. Jahrhundert“ geschrieben: „Juden??? Ich dachte die haben wir ausgerottet“.

In den Anfangstagen des damaligen Magisterstudiengangs hatten die Veranstaltungen noch unter Polizeischutz stattfinden müssen, 1994 wurden die Räume vor Tagungen sogar auf Bomben durchsucht. Das musste in den vergangenen Jahren nicht mehr sein. Dass es nun wieder eine offenkundig antisemitische Hetze gibt, hat Schulte sichtbar schockiert. „Das ist widerliches antisemitisches Geschreibsel“, sagt er. Doch ganz Wissenschaftler, der er ist, versucht er der Sache auch etwas Positives abzugewinnen: „Durch unser Auftreten hier an der Universität haben wir einen Antisemiten dazu provoziert, sich zu äußern.“ Schulte setzt auf die positive Grundstimmung an der Potsdamer Uni, an der heute Juden neben Christen, Muslimen und Atheisten ohne Konflikte studieren. „Wir werden uns nicht mehr verstecken“, sagte Schulte. Deswegen hat er den Vorfall auch öffentlich gemacht. Jahrelang habe man aus Angst vor Anschlägen kein Schild am Institut angebracht. „Diese Zeiten sind vorbei. Die Jüdischen Studien werden bleiben und blühen“, sagte Schulte. Strafanzeige wolle er nicht stellen. Für einen Antisemiten sei es schon die Höchststrafe, dass es die Jüdischen Studien überhaupt gibt.

Das bekritzelte Poster hängte Schulte im Tagungsraum neben den Ausgang zur Toilette. „Da gehört es auch hin“, sagte er. Dort könne sich der Antisemit es jeden Tag anschauen. Verharmlosen will der Religionswissenschaftler den „betrüblichen Vorfall“ aber nicht. Er passe in das Bild des aktuell in Europa wieder erstarkenden Antisemitismus. Erst jüngst hatte das Moses Mendelsohn Zentrum (MMZ), das als An-Institut der Uni die Jüdischen Studien flankiert, dies in einer europaweiten Studie belegt.

Der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom MMZ sagte, derartige antisemitische Schmierereien seien nichts Neues. Die MMZ-Studie habe auch ergeben, dass solche Delikte häufig auftreten, aber vermutlich seltener angezeigt werden. Der Studie zufolge seien zahlreiche Juden betroffen, viele würden aber glauben, dass eine Anzeige bei der Polizei nichts bewirken würde. „Ich würde es an die Polizei geben“, so Botsch. Der Polizei wurde der Vorfall erst durch die PNN bekannt: Ein Sprecher schickte am Nachmittag einen Einsatzwagen zum Campus am Neuen Palais. Man wolle dem Vorfall nachgehen, hieß es.

Im Vergleich zu den 1990er Jahren gebe es heute eine andere Bedrohungssituation, diese sei aber weiterhin massiv. „Das Bedrohungsgefühl ist in der Wahrnehmung vieler Juden in Deutschland und Europa ein drängendes und zunehmendes Problem“, sagte Botsch. Offen artikulierter Antisemitismus nehme wieder zu. Allerdings täusche der Eindruck, dass dies vor allem jugendlichen Migranten zuzuschreiben sei. Eine Studie habe auch gezeigt, dass der Begriff Jude auf ostdeutschen Fußballplätzen in den Kreisliegen als Schimpfwort benutzt wird.

Ebenso sei die Überraschung bei antisemitischen Ausfällen in „gebildeten Kontexten“ groß. Hier gebe es aber eine Fehleinschätzung. „Antisemitismus ist in allen sozialen Schichten vorhanden“, sagte Botsch. Er verwies auf eine weitere Studie von der TU Berlin, wonach der Anteil von Personen mit antisemitischen Einstellungen bei Menschen mit Studienabschluss hoch sei. Eine Auswertung judenfeindlicher Zuschriften an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die Botschafts Israels habe gezeigt, dass die Verfasser häufig einen hohen Bildungsgrad haben, es Doktoren, Ingenieure, Rechtsanwälte darunter gebe. „Der Vorstellung, dass die Universität, nur weil dort gebildete Leute sind, ein Raum ohne Antisemitismus ist, kann man nicht folgen“, sagte Botsch.

Auch an der Uni selbst hat man nun den Blick auf solche Entwicklungen gerichtet. Mit Spannung werden die Ergebnisse einer vom MMZ initiierten repräsentativen Umfrage unter Studierenden zu Vorurteilen gegenüber Muslimen und Juden sowie interkulturellen Wahrnehmungen erwartet, die in wenigen Wochen ausgewertet sein sollen. Eine ähnliche Umfrage in Osnabrück hatte unlängst eine starke Tendenz zu Vorurteilen ergeben.

Die Jüdischen Studien, die im Gegensatz zur 2013 an der Potsdamer Uni gegründeten Jüdischen Theologie das säkulare jüdische Leben im Fokus haben, waren in ihren Anfangstagen noch ein Nischenfach. Zumeist waren es nichtjüdische Deutsche die hier studierten. Heute ist das anders: Immer mehr Juden aus dem Ausland strömen in das Fach, sie suchen Identität und Information, in unmittelbarer Nähe zur weltweit am stärksten wachsenden jüdischen Gemeinde in Berlin. In Potsdam zieht sie ein mittlerweile weithin bekanntes Fach mit seiner breiten Aufstellung und prominenter wissenschaftlicher Exzellenz an. (mit axf, HK)

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