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Ungeeignet. Armlehnen verhindern, dass sich jemand auf die Bank legen kann.

© PRIVAT

"Anti-Obdachlosen-Bänke" in Potsdam: Kritik an der Deutschen Bahn

Das Design der neuen Bänke an drei Potsdamer Bahnhöfen sei menschenfeindlich, heißt es. Die Deutsche Bahn wehrt sich gegen den Vorwurf.

Potsdam - Wer kürzlich am Bahnhof Golm auf den Zug gewartet hat, dem sind möglicherweise eine Reihe von neuen Sitzbänken auf dem Bahnsteig aufgefallen: Helles Holz, große Lehnflächen, in der Mitte eine Armlehne oder ein Holzblock. Auf den ersten Blick sehen die Bänke wesentlich bequemer aus, als die meisten Stahlgitter-Sitze, auf denen man sich auf Bahnhöfen oft niederlassen muss. Doch die Sache hat einen Haken: Durch die Armlehne wird es Obdachlosen unmöglich gemacht, sich auf die Bänke zu legen.

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Dies kritisiert die Potsdamerin Marlen Rave als „Anti-Obdachlosen-Architektur“: „Diese menschenfeindliche Architektur verdrängt Menschen aus dem öffentlichen Raum, statt ihnen zu helfen“, sagt die 26-Jährige, die an der Universität Potsdam Politik und Wirtschaft studiert. Gerade angesichts von Wohnungsnot und hohen Mieten werde ein Problem verdrängt, anstatt es zu lösen, so Rave: „Außerdem wird so der öffentliche Raum auch für andere Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Senioren, Behinderte, Schwangere und erschöpfte Arbeitende feindlicher.“

Armlehnen als Abstandshalter für Fremde

Die Deutsche Bahn widerspricht: „Das Design richtet sich nicht gegen Wohnungslose, sondern soll Reisenden die Nutzung der Bank zweckbestimmt als Sitzmöbel ermöglichen“, sagt ein Bahn-Sprecher auf Nachfrage der PNN. Die Bänke vom Typ „Calidum“ wurden von der Firma Erlau nach Vorgaben des niederländischen Designbüros Blom & Moors gebaut. Die Deutsche Bahn hatte sie im Rahmen des Programms „Kundenzufriedenheit vor Ort“ angeschafft und an drei Potsdamer Bahnhöfen installiert: Sieben am Bahnhof Golm, vier am Bahnhof Sanssouci, und eine am Bahnhof Charlottenhof.

„Komfort, Nutzungsfreundlichkeit und Nachhaltigkeit stehen bei der Deutschen Bahn im Fokus. Deshalb ist die Wahl auf diese Bänke gefallen“, so der Bahnsprecher. „Da Menschen erfahrungsgemäß – und nicht nur unter Pandemiebedingungen – ungern neben Fremden sitzen, ermöglicht die Armlehne Platznehmen in angenehmem Abstand.“ Dies entspreche dem Standard für Wartemöbel und sei so auch an Orten wie Flughäfen zu finden. Die Möbel seien nach Erfahrung der Deutschen Bahn auch von Menschen mit Mobilitäteinschränkungen nutzbar.

Defensive Architektur soll auch Drogenabhängige vergraulen

Doch ob beabsichtigt oder nicht: Faktisch verhindern die Armlehnen, dass sich Menschen auf die Bänke legen können. Das Phänomen der sogenannten „Defensiven Architektur“ oder auch „Feindlichen Architektur“ ist seit den 80er Jahren bekannt: Gemeint sind damit nicht nur Sitzelemente, auf denen es Abtrennungen, Dornen oder Unebenheiten gibt, so dass niemand darauf schlafen kann, sondern auch andere Elemente, um einen Ort für Obdachlose, Drogenabhängige oder Jugendliche ungemütlich zu machen, etwa der Einsatz von blauem Licht oder Ultraschall.
So hatte die Deutsche Bahn im Jahr 2018 angekündigt, am Berliner Bahnhof Hermannstraße atonale Musik zu spielen, um Obdachlose zu vertreiben. Nach Protesten hatte die Bahn ihre Pläne zurückgezogen.

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