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André Tomczak vom Potsdamer Bündnis "Stadtmitte für alle": Der Überzeugungstäter

André Tomczak ist zum Gesicht der FH-Abrissgegner und des Rechenzentrums geworden. Was treibt den Kunsthistoriker an?

Von Valerie Barsig

Nach einer Stunde Interview muss er lachen. Das erste Mal. Und auch nur kurz. Bei der Frage, was ihn denn aus der Fassung bringe, kommt er kurz durch, der echte André Tomczak. Er ist da: hinter den ganzen Argumenten für und gegen die neue Potsdamer Mitte, den Argumenten für oder wider des Abrisses der umstrittenen Fachhochschule. Dann fängt er sich wieder. Der Abbau der FH-Sternfassade und die Nachricht über die Abgabe der Sterne an Potsdamer Bürger, das habe ihn aus der Fassung gebracht – schon wieder ist er drin, im Thema, weg vom Privaten.

Tomczak, der Sprecher des Bündnisses „Stadtmitte für alle“, lebt seit 2009 in Potsdam. Dass er nicht Ur-Potsdamer sei, das ist ein Vorwurf, den er oft zu hören bekommt. „Da muss man grundsätzlich die Frage stellen, ob sich erst von der Länge einer Wohndauer ein Mitspracherecht ableitet“, sagt er. Er wählt seine Worte mit Bedacht und bleibt ruhig – fast immer. Tomczak ist keiner, der laut spricht, aber einer, der laut werden möchte. Jedenfalls dann, wenn es um den öffentlichen Raum in der Stadt geht.

Tomczak arbeitet als Stadtführer und Doktorand in Berlin

Heute arbeitet Tomczak als freiberuflicher Stadtführer und Doktorand am Center for Metropolitan Studies in Berlin. 1984 wurde er in Annaberg Buchholz geboren. Rund 20 500 Menschen leben in der sächsischen Stadt im Erzgebirge. „Die Stadt meiner Kindheit und Jugend ist allerdings Chemnitz“, erzählt er. Auch in Berlin hat er gelebt und studiert – beide Städte seien geprägt von Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau.

2009 kam Tomczak zum Studieren nach Potsdam, seitdem ist er geblieben. Seit 2014 wohnt er in der Heidesiedlung in Babelsberg. Um sie wurde lange gerungen: Die Mieter hatten sich gegen den Verkauf ihrer Wohnungen durch die Pro Potsdam erfolgreich gewehrt. Die kommunale Bauholding wollte den größten Teil der Wohnungen verkaufen, um damit die Sanierung und den Neubau anderer Wohnungen finanzieren zu können. „Das war aber, bevor ich dort gewohnt habe“, sagt Tomczak. „Jetzt ist die Stadt stolz darauf und sieht die Heidesiedlung als Vorbild“, schiebt er hinterher.

Der permanente Widerspruch ist bei ihm fast ein Automatismus

Da ist er wieder: der permanente, ruhig vorgetragene Widerspruch. Der kommt bei Tomczak fast wie ein Automatismus. Vielleicht liegt das an seinem Studium in Kunstgeschichte, Stadt- und Regionalplanung und Architektur- und Planungssoziologie. Seine Doktorarbeit schreibt er – na klar – über die „städtebauliche Entwicklung von Potsdams historischem Zentrum von 1960 bis in die Gegenwart“. Tomczak hat sich sozusagen über die Bücher reingearbeitet in die Potsdamer Mitte.

Aber was treibt einen Mann wie Tomczak an? Es ist tiefe Überzeugung. „Es ist doch die demokratische Pflicht, sich zu engagieren, wenn man sieht, dass große Fehler begangen werden“, sagt er. Denn dass Fehler gemacht werden, dessen ist er sich sicher. Er sieht sie in der Rekonstruktion in der Potsdamer Stadtmitte – bewertet das allerdings auch differenziert. Die Wiedererrichtung der Schlossfassaden war Thema seiner Magisterarbeit. Dass nun der Landtag im Gebäude sitzt, sei sinnvoll, sagt Tomczak. „Aber jetzt schießt die Rekonstruktion weit übers Ziel hinaus.“ Einen wirklichen Schlüsselmoment für sein Engagement habe es nicht gegeben, eher eine Schlüsseldiskussion: die um die Garnisonkirche. „Besonders bei Facebook wurden intensive Debatten über die Potsdamer Innenstadt geführt. Das wollte ich aus dem Digitalen ins Reale holen“, sagt er.

Das machte er dann erstmals 2014, gemeinsam mit einigen Mitstreitern. Die Initiative „Kulturlobby“ entsteht, die als größten Erfolg die Öffnung des dem Abriss geweihten Rechenzentrums für Kreative verbuchen kann. Tomczak wird zu einem der Sprecher des Netzwerks. Es folgen 2015 „Potsdamer Mitte neu denken“ und in diesem Jahr „Stadtmitte für alle“.

Tomczak geht es um den Kern der Diskussion

Im Rechenzentrum fühlt sich Tomczak zu Hause. Er kennt beinahe jeden dort, der ihm über den Weg läuft und bewegt sich durch die Flure, als gehörten sie zu seiner Wohnung. Ja, ihm sei klar, dass die Diskussion um die FH spät komme. „Aber sie muss nachgeholt werden.“ Davon ist er überzeugt. Ein „zu spät“ gibt es für Tomczak nicht. Ihm geht es um den Kern der Diskussion: Wem gehört die Stadt? Auch die Frage, warum das Bündnis „Potsdamer Mitte neu denken“ das Bürgerbegehren 2016 nicht wasserdicht formulierte, bringt ihn nicht aus der Ruhe. „Wir wollten damit nicht eine konkrete Entwicklung durchsetzen, sondern neue Grundsätze für die weitere Entwicklung formulieren.“ Um die präzise Fragestellung, an der das Bürgerbegehren schließlich scheiterte, sei es gar nicht so sehr gegangen. Ob dann der konkrete Protest gegen den Abriss der FH gar nicht so wichtig ist wie die Diskussion, die jetzt im Gange ist? Auf diese Frage antwortet Tomczak nicht. Er betont: Wenn die FH fällt, dann folgen auch Staudenhof und Rechenzentrum. Letzteres soll nach jetzigem Stand bis 2023 bleiben, für den Staudenhof gilt ein Moratorium bis 2022.

Seinen Standpunkt machte Tomczak unlängst auch beim MAZ-Talk im Bildungsforum klar. Dort sitzt er Bürgermeister Burkhard Exner (SPD), Grünen-Mitglied Saskia Hüneke und FH-Architekturprofessor Ludger Brands gegenüber – allesamt Abrissbefürworter. Tomczak kritisiert die „Asymmetrie am Tisch“ und dass er nur ein Viertel der Redezeit bekäme. Trotzdem versucht er seine Argumente ruhig vorzutragen. Doch dann ist er da, der kurze Moment, in dem Tomczak seine Fassung verliert. Als Bürgermeister Exner davon spricht, dass die FH abends schlicht toter Raum gewesen sei, spricht Tomczak von einer „glatten Lüge“. Auch das Bürgerbegehren sei nur mit „juristischen Winkelzügen“ abgeschmettert worden. Dann wird er aus dem Publikum beschimpft. Bürgerbegehren, die seien doch ohnehin suspekt. Tomczak hebt beide Fäuste in die Luft, wie ein Marathonläufer, der endlich am Ende der Strecke angekommen ist. Auch, wenn er nicht als Sieger ins Ziel einläuft.

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