zum Hauptinhalt
Während der Coronakrise steigen viele Menschen aufs Rad (Archivfoto).

© Sebastian Gabsch

Analyse eines Potsdamer Start-ups: In der Coronakrise wird mehr geradelt

Fahrradfreunde raten zu Ostern von Touren in der Gruppe ab und denken über die Zeit nach der Coronakrise nach. Analysen eines Potsdamer Start-ups zeigen, es wird mehr geradelt.

Potsdam - Wenn an Ostern die Sonne lacht, steigen normalerweise viele Potsdamer auf das Rad und fahren hinaus in die Natur. Doch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) rät in diesem Jahr aufgrund der Covid-19-Pandemie von gemeinsamen Radtouren und Ausflügen zu beliebten Zielen ab. Im Alltag steigen unterdessen immer mehr Menschen auf das Fahrrad als reguläres Verkehrsmittel um.

Das Problem bei gemeinsamen Ausflügen sind die Pausen

„Für Ostern kann ich nur empfehlen, die Massen zu meiden“, sagt Ulf Hildebrand vom ADFC Potsdam. Wer auf dem Fahrrad unterwegs sei, nehme zwar fast zwangsläufig den Mindestabstand ein und halte so die Ansteckungsgefahr gering. Doch wenn die Menschen in Gruppen unterwegs seien oder entlang der beliebten Routen Pausen machten, sei das eine unnötige Gefährdung für alle Beteiligten.

Wer an Ostern mit dem Rad fahren möchte, solle daher möglichst im Voraus planen und Rücksicht nehmen, empfiehlt Hildebrand. Das heißt: Nicht an Tagen fahren, an denen viele Menschen unterwegs sind. Und Strecken meiden, die auch bei Spaziergängern beliebt sind. „Romantische Wege wie den zur Pfaueninsel überlässt man jetzt lieber den Fußgängern.“ Stattdessen seien ruhige Straßen abseits der üblichen Pfade besonders gut zum Radfahren geeignet. „Und vielleicht entdeckt man dabei ja sogar Neues“, sagt Hildebrand.

Fahrradwerkstätten haben geöffnet, verkaufen dürfen sie aber nicht

Wer sein Fahrrad jetzt aus dem Keller holt, bringt es womöglich zuerst zur Reparatur. Die Fahrradwerkstätten in der Landeshauptstadt haben geöffnet. Die Nachfrage sei hoch, bestätigen mehrere Unternehmen. Allerdings dürfen nur Reparaturen durchgeführt werden, der Verkauf im Laden ist untersagt. „Das ist eine Wettbewerbsverzerrung“, sagt Detlef Gottschling, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam. In Berlin hätten auch die Fahrradläden weiterhin geöffnet. Viele Kunden würden jetzt über die Landesgrenze fahren, um dort einzukaufen. Die Verordnungen beider Bundesländer sollten angeglichen werden, fordert die Kammer.

In der Krise wird mehr geradelt

Die Geschäfte des Leihfahrrad-Anbieters Nextbike laufen in der Krise ebenfalls weiter. „Die Verleihzahlen in Potsdam befinden sich im März auf Vorjahresniveau“, teilt Unternehmenssprecherin Mareike Rauchhaus mit. „Die Auslastung wäre sicherlich noch höher, wenn es nicht die derzeitigen öffentlichen Beschränkungen gäbe“, vermutet sie.

„Seit Beginn der Krise fahren mehr Menschen mit dem Rad als vorher“, sagt Fabien Sauthier vom Potsdamer Start-up Motiontag. Das auf Verkehrsbeobachtung spezialisierte Unternehmen hat Bewegungsdaten deutschlandweit ausgewertet und das Verhalten vor und während der Pandemie verglichen. „An Wochenenden hat sich die Zahl der durchschnittlich mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer sogar verdoppelt“, sagt Sauthier. Allerdings ist die Mobilität insgesamt stark gebremst. Am stärksten verliert laut Motiontag der öffentliche Nahverkehr, dessen Gesamtanteil um 60 Prozent gesunken ist. Die Menschen würden insgesamt kürzere Strecken zurücklegen. Und was die Reisezeit angeht, so habe die Analyse festgestellt, dass die Menschen in der Krise vor allem mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs seien. Die Dauer von Radfahrten sei um 37 Prozent gestiegen, die von Autofahrten jedoch um 30 Prozent zurückgegangen.

Rathaus zurückhaltender bei der Bewertung

„Jetzt beginnt die Fahrradsaison. Es wird interessant sein, zu schauen, ob dieses Verhalten Bestand hat“, sagt Sauthier. Persönlich glaube er, dass die Veränderung von Dauer sein könnte. „Die Leute sehen, dass man nicht immer das Auto nehmen muss.“ Er räumt jedoch ein, dass die Erhebung nicht repräsentativ ist. Die Daten stammten von nur etwa 2000 Motiontag-Usern deutschlandweit.

Das Rathaus ist naturgemäß zurückhaltender, was Schlussfolgerungen angeht. „Es kann zwar festgestellt werden, dass aufgrund der bestehenden Einschränkungen das Verkehrsaufkommen insgesamt abgenommen hat“, sagt Stadtplaner Norman Niehoff. „Inwiefern hier eine Veränderung des Nutzungsverhaltens der verschiedenen Verkehrsmittel eingetreten ist, kann jedoch nicht beurteilt werden. Daten einzelner Verkehrsteilnehmer seien nicht aussagekräftig genug.

Menschen ändern durch Einschnitte ihre Gewohnheiten

Für genaue Untersuchungsergebnisse sei es noch zu früh, sagt auch Dirk von Schneidemesser, Mobilitätsforscher am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). „Ich kann mir vorstellen, dass auch nach der Aufhebung der Einschränkungen mehr Menschen Rad fahren könnten“, sagt er. Studien zeigten, dass Menschen durch Einschnitte im Alltag auch ihre Gewohnheiten ändern würden. Zum Beispiel würde sich auch das Verkehrsverhalten nach einem Umzug, Jobwechsel oder der Geburt eines Kindes ändern. Ähnlich sei es bei Krisen wie der aktuellen Pandemie, dann sei jedoch eine größere Gruppe betroffen.

„Die Menschen merken zum Beispiel, dass es nicht länger dauert, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, weil sie keinen Parkplatz suchen müssen”, sagt von Schneidemesser. Oder sie würden entdecken, dass Radfahren einfach Spaß mache. „Erfahrung ist der beste Verkäufer.“ Im Arbeitsleben setze sich womöglich die Erkenntnis durch, dass Meetings und Konferenzen auch virtuell stattfinden können, ganz ohne Dienstreise. Busse und Bahnen würden aber nach der Krise wieder an Bedeutung gewinnen, prognostiziert der Forscher. „Der öffentliche Nahverkehr ist das Rückgrat der Mobilität in Großstädten. Auf dem Land sieht es natürlich anders aus.“ Hier seien die Menschen auf das Auto angewiesen, das werde auch nach der Pandemie so sein.

Nachhaltigkeitsforscher begrüßt temporäre Radwege

Temporäre Radwege wie sie aktuell in Berlin verlegt werden, um sicheren Radverkehr zu ermöglichen, hält von Schneidemesser für einen Fortschritt. „Da sieht man, wie schnell und unbürokratisch es funktionieren kann”, sagt er. Nach der Pandemie könne die Entwicklung jedoch auch wieder in eine andere Richtung gehen: „Viele Akteure in Politik, Verwaltung und Wirtschaft werden alles dafür tun, dass die Wirtschaft schnell wieder brummt.“ Dann könnte es sein, dass weniger auf Nachhaltigkeit geachtet wird, vermutet von Schneidemesser.

"Potsdam autofrei" fordert Tempo 30 und mehr Platz fürs Rad

Das befürchten auch die Fahrradfreunde der Initiative „Potsdam autofrei“. Aktivist Jan Kuppert sagt: „Das größere Problem ist der Klimawandel.“ Es dürfe nach der Krise kein Zurück zum vorherigen Status quo geben. Im Gegenteil sei jetzt ein geeigneter Moment, althergebrachte Konzepte zu hinterfragen. „Wer mit dem Fahrrad fährt, kann im Kleinen etwas Gutes tun.“ Das sollte seiner Ansicht nach auch politisch gefördert werden.

Und natürlich legt die Initiative gleich konkrete Forderungen vor: „Wie lange soll der Luisenplatz noch als Parkplatz genutzt werden?”, fragt Kuppert. Die Stadtverwaltung sollte nach „alternativen Lösungen“ suchen. Momentan dürfen dort Mitarbeiter des nahen St. Josefs-Krankenhaus parken. Kuppert fordert zudem Tempolimits in der Krise. „Tempo 30 in der gesamten Stadt würde die Zahl der Unfälle reduzieren, und so das Gesundheitssystem entlasten.“ Anstatt Unfallopfer zu behandeln, könnten die Ärzte dann Coronapatienten heilen, sagt Kuppert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false