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Bei einer Aktion der Arbeiterwohlfahrt wurde unter anderem auf Probleme von Hartz-IV-Empfängern hingewiesen.

© Ottmar Winter

Aktion in Potsdam: Warum standen da Möbel am Brandenburger Tor?

Mit einer ungewöhnlichen Aktion hat die Arbeiterwohlfahrt am Mittwoch auf Wohnungslosigkeit in Potsdam aufmerksam gemacht. 

Potsdam - Passanten bot sich am Mittwoch in der Innenstadt vor dem Brandenburger Tor ein ungewöhnlicher Anblick: Dort waren seit 10 Uhr Regale, Kartons, ein Couchtisch und ein Sessel aus einem schwedischen Möbelhaus aufgebaut. Die Sammlung von Einrichtungsgegenständen gehörte jedoch nicht zur einem Trödelmarkt, sondern zu einer Informations- und Protestveranstaltung der Arbeiterwohlfahrt (Awo) unter dem Titel „Albtraum Miete“. Sie war Teil einer bundesweiten Aktionswoche der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit.

Volle Notunterkünfte

Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes sei Wohnungslosigkeit auch in Potsdam ein wachsendes Problem, erklärt Aline Liebenow von der Potsdamer Awo. Besonders für Potsdamer mit niedrigem Einkommen, Langzeitarbeitslose und junge Menschen sei es immer schwerer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. „Die Notunterkünfte sind voll“, sagt sie. Insgesamt gibt es in Potsdam 247 Plätze für Obdachlose. 

Neben dem von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) betriebenen Obdachlosenwohnheim am Lerchensteig mit 95 Plätzen gibt es ein spezielles Angebot „Junge Wilde“ für jugendliche Obdachlose mit einer Kapazität von 24 Plätzen, ein Familienhaus mit 60 Plätzen, zahlreiche Notbetten sowie 22 sogenannte Gewährleistungswohnungen mit 53 Plätzen. Bei Letzteren handele es sich um Wohnungen, die die Stadt selbst anmietet, um wohnungslose Familien oder Einzelpersonen unterzubringen, um sie auf dem Weg zurück in eine eigene Wohnung zu unterstützen. Im Winter werden zusätzlich Notbetten in Pensionen angemietet.

Zahl von Couchhoppern ungewiss

„Das Problem geht aber darüber hinaus“, sagt Liebenow. Es gebe nämlich immer mehr verdeckte Obdachlosigkeit. Gemeint sind damit Menschen, die bei Freunden, Verwandten oder Bekannten unterschlüpfen, weil sie keine eigene Wohnung haben. Daraus folgen oft weitere Probleme: Oft gebe es keine Meldeadresse. „Das erschwert Anträge auf Sozialleistungen.“ Auch fehle oft das Einverständnis des Vermieters. „Die Couchhopper sind in einer Zwangslage“, sagt sie, mit allen damit verbundenen Risiken. Wie viele Betroffene es tatsächlich gibt, ist naturgemäß unklar, weil sie in keiner Statistik auftauchen.

Liebenow versucht am Mittwoch, in der prallen Sonne mit ihrem Team Passanten auf das Thema aufmerksam zu machen. Sie sollen Postkarten an den Brandenburger Landtag mit Forderungen zur Verbesserung der Situation unterschreiben. Neben mehr Fachkräften und einer besseren Finanzierung für die Sozialarbeit geht es dabei um mehr bezahlbaren Wohnraum und um die Anpassung der Angemessenheitsgrenze für Wohnkosten von Hartz-IV-Empfängern.

Letzteres soll die vom Awo-Team aufgebaute Wohnungseinrichtung verdeutlichen: Auf dem Pflaster sind die Umrisse des Wohnraums mit gelbem Klebeband markiert. Ein Teil der „Wohnung“ ist aber mit rotem Band abgeklebt. Das soll den Teil der Wohnung markieren, den das Jobcenter nicht bezahlen würde, weil er zu groß oder zu teuer wäre. Der Wäscheständer und das Bücherregal stehen sozusagen in der unangemessenen Zone. „Die Kosten für diese Fläche werden nicht übernommen“, erklärt Liebenow. In Potsdam liege das Maximum bei 412 Euro pro Person auf 50 Quadratmetern. Was darüber hinaus gehe, müsste der Hartz-IV-Empfänger von dem Geld bestreiten, das eigentlich für Lebensmittel bestimmt sei. „Da steigt das Verschuldungsrisiko.“ In der Folge drohe die Zwangsräumung. 

35 im Durchschnitt pro Person

Aus der Statistik der Potsdamer Arbeitsagentur lässt sich das Problem nicht nachvollziehen. Dort wurden im Januar 7191 Bedarfsgemeinschaften gezählt – also Haushalte mit einem oder mehreren Hartz-IV-Beziehern sowie Kindern. Nur bei vier davon waren die Kosten der Unterkunft nicht anerkannt. Im Durchschnitt betrug die Wohnfläche pro Person knapp 35 Quadratmeter, die monatlichen Kosten 319,42 Euro pro Person.  Potsdam versucht in Sachen Mietschulden und Zwangsräumungen ohnehin gegenzusteuern. Im Rathaus arbeitet seit mehreren Jahren die Arbeitsgruppe Wohnraumsicherung mit Schuldnerberatungen und dem Sozialmanagement der großen kommunalen und genossenschaftlichen Vermieter zusammen. In den vergangenen Jahren hat sich denn auch die Zahl der Zwangsräumungen zwischen 130 und 150 eingependelt. Im Jahr 2011 waren noch mehr als 300.

1000 Sozialwohnungen bis 2027

Doch ohne bezahlbaren Wohnraum, hilft auch Beratung nicht. Wegen des Auslaufens von Förderkrediten sank die Zahl der Sozialwohnungen von 14 394 im Jahr 2006 auf 5626 im Jahr 2016. Ende 2018 waren es dann 6173. Künftig soll es weiter aufwärts gehen: So errichtet die kommunale Wohnungsholding Pro Potsdam allein 1000 neue Sozialwohnungen bis zum Jahr 2027. Die ersten kommen in diesem Jahr auf den Markt – zum Beispiel im Bornstedter Feld und in der Waldstadt. Problematisch ist allerdings, dass nur ein Bruchteil der Sozialwohnungen frei sind. Dem gegenüber stehen aber 2246 Potsdamer, die im vergangene Jahr einen Wohnberechtigungsschein bekommen haben – also Anrecht auf eine Sozialwohnung hätten. 

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