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30 Jahre Mauerfall: Gedenkfeier auf Glienicker Brücke überzeugt nicht

Mehr als 1000 Besucher trafen sich am Sonntag auf Potsdams berühmtestem Symbol der deutschen Teilung. Für viele ein emotionaler Moment, auch wenn einige vom Programm enttäuscht waren.

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Potsdam - Die Glienicker Brücke überqueren? Am Sonntagabend unmöglich. Doch die Mauer ist daran nicht mehr schuld. Es sind die vielen, vielen Menschen, die gekommen sind, um die Öffnung der Glienicker Brücke vor genau 30 Jahren zu feiern. Um 17.30 Uhr, als die offizielle Veranstaltung beginnen soll, ist das symbolträchtige Bauwerk längst voller Besucher, es gibt kaum mehr ein Durchkommen. Und wer nicht schon früh da war, kann den Gänsehaut-Moment nur erahnen: In der Mitte der Brücke singen 250 Kinder aus Potsdam und Berlin unter dem klaren Nachthimmel, an dem der fast volle Mond prangt, die „Ode an die Freude“ – „alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“. Dazu sind die charakteristischen Bögen der Brücke in wechselnden Farben erleuchtet. Während zu Beginn des Gesangs noch ein in künstlichen Nebel gemaltes, rotes Kreuz in der Luft die Brücke zu teilen scheint, blättert es sich während des Liedes auf zu einem weißen, geöffneten Fächer.

Doch dass neben dem Chorgesang, der ohne Mikro weiter hinten auf der Brücke kaum zu hören war, keine Redebeiträge geplant waren, enttäuschte so manchen der mehr als 1000 Besucher. Die Veranstaltung auf der Glienicker Brücke sei schwach gewesen, sagt Michael Mickeleit hinterher. Er ist mit seiner Frau Angela heute hierher gekommen. Beide hätten sich ein paar Worte von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) zum historischen Moment um 18 Uhr gewünscht.

„Wie, und dat war’s jetzt?“, kommentiert ein Besucher trocken. Nach dem Chorgesang beginnt ein wildes Gedränge in beide Richtungen, begleitet von Scherzen. „Ach komm, du willst doch nur das Begrüßungsgeld holen“, sagt ein Mann zu einer vorbei drängenden Frau. „So, jetzt suchen wir einen Wessi, geben ihm die Hand und dann können wir nach Hause“, kommentiert ein anderer.

Auch aus Rathauskreisen war am Abend leise Kritik an der Zweiteilung der Veranstaltung zu vernehmen. Denn Woidkes Ansprache hat am späten Nachmittag bei einer Gedenkveranstaltung in der Nikolaikirche stattgefunden. Ebenfalls voll besetzt, doch in weiten Teilen wohl nicht mit jenen Menschen, die sich abends auf der Brücke drängten.

Dort geht es kaum vor noch zurück. Das Interesse der Potsdamer ist riesig. Ein Vater erklärt seinem etwa sechsjährigen Sohn, dass hier früher die Grenzer standen, während nebenan gescherzt wird: „Holst du nochmal vier Glühwein?“ Auf dem Vorplatz auf der Potsdamer Seite der Brücke werden auch Currywurst und Bier verkauft, während die Besucher immer weiter zur Mitte strömen. Doch einige scheinen etwas planlos. „Passiert hier noch irgendwas?“, fragt eine Besucherin. „Gibt es außer den Videos noch mehr Programm?“, ein anderer Besucher. Viele sind in der Erwartung einer größeren Show gekommen, dann bleiben sie skeptisch zurück.

"Ein so gutes Gefühl"

Doch nicht alle sehen die Feierlichkeiten auf der Brücke negativ. Bei vielen weckt das Gebäude die Erinnerungen an damals. Nancy aus Potsdam ist mit ihrer Schwester auf der Glienicker Brücke und hat Wunderkerzen angezündet. Eine ganz persönliche, kleine Feier. „Der 9. und 10. November sind für mich immer sehr emotional“, erzählt die 39-Jährige. Denn früher hat sie mit ihrer Familie in Klein Glienicke gewohnt, die Brücke immer im Blick, ein Leben mit der Mauer und den Grenzsoldaten. „Hier heute zu stehen und so von einer Seite zur anderen zu wechseln ist ein so gutes Gefühl“, sagt sie. Die Feier heute hat ihr gut gefallen, vor allem, weil viele Potsdamer symbolisch den Gang nach Berlin und umgekehrt gemacht haben – „und weil man heute einfach so mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen ist und Geschichten ausgetauscht hat“.

Auch bei Marianne Fichtner kommen die Emotionen hoch. „Wir sind am 11. November zum ersten Mal rüber gegangen, mit der ganzen Familie“, erinnert sie sich. Nur den fünfjährigen Sohn mussten sie überreden, er hatte Angst vor den Grenzern, weil er diese wenige Wochen zuvor beim Radfahren mit ihren Gewehren gesehen hatte. Das Gefühl damals, beim Weg über die Brücke, „das war Wahnsinn“, sagt Fichtner. Mit Bussen der BVG ging es dann nach Charlottenburg. Der Sohn bekam einen Walkman vom Begrüßungsgeld, die Tochter suchte sich einen Plüschpinguin aus. „Den haben wir heute noch zu Hause“, sagt Fichtner. „Und jetzt ist er schon 30 Jahre alt.“

"Eine magische Stimmung"

Auch für die Potsdamerin Hannelore Lambrecht wird die Glienicker Brücke immer ein besonderer Ort ist bleiben. „Ich liebe diese Brücke. Noch heute, wenn wir nach Berlin fahren, sage ich zu meinem Mann: Ach fahr doch über die Glienicker Brücke.“ Damals, am 10. November ’89 reihte sich das Paar mit seinem Lada in die endlose Autoschlange ein und fuhr gen Westen. Bis zum Ku’damm. „Dort sind wir bis 4 Uhr früh geblieben, es war eine magische Stimmung“, sagt sie.

Die Glienicker Brücke steht wie kein anderes Potsdamer Bauwerk für den lange versperrten Weg von Ost nach West – und am 10. November 1989 für die Öffnung der Grenze. „Für Potsdamer war es immer ein Traum, über diese Brücke zu gehen“, sagte auch die Leiterin der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße, Uta Gerlant, am frühen Nachmittag bei einer Gedenkveranstaltung vor etwa 200 Teilnehmern an der Statue Nike, auf der Potsdamer Seite der Brücke. Gerlant selbst durfte die Brücke erst um Weihnachten 1989 wieder überqueren. Nach der Hochzeit mit ihrem West-Berliner Freund durfte sie ausreisen. Doch nach dem Fall der Mauer bekam sie kein Visum für die DDR. Ihre Freunde und Angehörige aus Potsdam konnten sie nach dem Fall der Mauer besuchen, aber sie konnte die Besuche erst Monate später erwidern.

Auch Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) erzählte, was ihm im Gedächtnis geblieben ist. „Ich selbst werde den Augenblick, als ich, 16-jährig, am 10. November 1989 über die Glienicker Brücke Richtung Berlin ging, niemals vergessen“, sagte Schubert bei der Veranstaltung am frühen Nachmittag. „Eine endlos erscheinende Autokolonne bewegte sich gen Westen. Menschen fielen sich spontan in die Arme. Tränen flossen.“ Er erinnert sich auch an das Licht: „Seltsamerweise war das ein Weg von hell nach dunkel“, so Schubert. Denn die Grenzschutzanlagen in Potsdam waren stets erleuchtet, auf der Berliner Seite war es dunkel.

Ein Punkt ist Gisela Rüdiger, ehemalige Leiterin der Außenstelle Potsdam der Stasiunterlagenbehörde, aus heutiger Sicht besonders wichtig: „Ja, die DDR war ein Unrechtsstaat, daran gibt es für mich keine Zweifel.“ Damit wendet sie sich gegen Brandenburgs Noch-Justizminister Stefan Ludwig (Linke), der diese Woche für einen Eklat gesorgt hatte: Eine gemeinsame Erklärung der Länderminister zum 9. November, in dem die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet wird, trug er nicht mit. Wer daran Zweifel habe, so Rüdiger, solle sich mit den früheren Häftlingen der Lindenstraße unterhalten.

Über den Tag, als die Mauer fiel, sagt Rüdiger: „Das fühlte sich völlig unwirklich an.“ Ihr Mann habe ihr Bescheid gesagt, man könne jetzt in den Westen fahren. „Nur an Fahren war nicht zu denken“, sagt sie lachend, ihr Mann sei angetrunken vom Nachbarn nach Hause gekommen. Am nächsten Tag fuhren sie dann tatsächlich über die Brücke. „Auf unseren Karten war West-Berlin ein weißer Fleck.“ Das Rathaus fanden sie deshalb nicht. Wo sie hielten, weiß sie nicht mehr, aber eine Berlinerin mit einer Flasche Sekt habe gleich mit ihr angestoßen.

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