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Das Ehepaar Thomas und Dorota Zimdars (l. und r.) mit Viiktoria Nevhad und deren Sohn Dania.

© Andreas Klaer

Wie Ukrainer und Kleinmachnower zusammenleben: „Ich kann anfangen, zu atmen“

Viele Kleinmachnower haben Ukrainer aufgenommen. Nicht immer läuft es so gut wie bei Familie Zimdars.

Kleinmachnow - Am Osterstrauch im Wohnzimmer baumeln fein-säuberlich verzierte Eier. „Die hat Viiktoria für uns gemacht“, sagt Dorota Zimdars. Es sei ein traditionell ukrainischer Stil, der sich Petrykiwka-Malerei nenne. „Es ist eine so schöne Geste.“ Viiktoria lacht. Die beiden Frauen sitzen eng nebeneinander auf der Couch im Wohnzimmer des Haues von Dorota und ihrem Mann Thomas Zimdars. 

Man könnte meinen, sie kennen sich schon eine Ewigkeit, so vertraut wirken sie miteinander. Dabei ist Viiktoria Nevhad gemeinsam mit ihrem Sohn Dania erst seit fünf Wochen bei den Zimdars’ in Kleinmachnow. Viiktoria und Dania sind aus der Ukraine geflohen, einige Wochen, nachdem der Krieg ausbrach.

Jetzt wohnt Dania im ehemaligen Kinderzimmer in der oberen Etage des Hauses – Zimdars Kinder sind bereits ausgezogen. Viiktoria schläft im Gästezimmer unten. Gemeinsam mit den Zimdars’ teilen sie sich Küche, Wohnzimmer und Bad. Am Badezimmerspiegel kleben kleine Zettel. Viiktoria hat sie angebracht. „Die Seife“, „Der Spiegel“, „Das Waschbecken“, steht darauf geschrieben. Darunter hat sie aufgeschrieben, wie das Wort auf Ukrainisch ausgesprochen wird.

„Wir sagen jetzt einfach mal ’Ja’“

Als die Zimdars angefragt worden seien, ob sie Ukrainer aufnehmen wollten, habe Dorota zu ihrem Mann gesagt: „Wir sagen jetzt einfach mal ’Ja’“. Für sie sei klar gewesen, dass sie jemanden aufnehmen wollten, sagt sie. „Aber wir wollten nicht einfach zum Bahnhof fahren.“

Der Kontakt kam über Viiktorias Schwägerin, die bei einer Familie in Stahnsdorf untergekommen ist, zustande. Kurze Zeit später waren Viiktoria und Dania da. „Wir waren sehr aufgeregt“, sagt Dorota Zimdars. „Wir wussten ja nicht, was auf uns zukommt.“

Viiktoria erinnert sich an ihre ersten Tage in Deutschland: „Ich war nicht entspannt.“ Die Geschehnisse in der Heimat hätten sie zu sehr besorgt. Als sie auf die Zimdars’ traf, sei für sie aber gleich klar gewesen: „Das sind nette Leute. Wir haben es gefühlt, wir passen zusammen.“ Dorota Zimdars nickt.

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Nach und nach habe die Anspannung bei Viiktoria nachgelassen. „Ich kann anfangen, zu atmen und darüber nachzudenken, was ich tun kann, auch über die Zukunft.“ Ein Teil ihrer Familie sei in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geblieben. Zu ihnen halte sie ständigen Kontakt. „Ich danke Gott für diese Situation, in der wir sind. Es ist der beste Platz für uns, für mich und meinen Sohn. Es ist ein sicherer Platz. Hier können wir erst einmal zur Ruhe kommen.“ In der Ukraine sei immer Alarm gewesen. „Du bist immer im Stress.“ Alle Freunde, die Kinder hätten, seien geflohen. Die Freunde, ohne Kinder, blieben, um in der Armee zu kämpfen oder sich als Helfer zu engagieren.

Über Polen nach Potsdam

Gemeinsam mit Sohn Dania flieht Viiktoria nach Polen. Dort kommen sie in der Wohnung einer Bekannten unter. Aber in dem ukrainischen Nachbarland, das Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer seit Kriegsbeginn aufgenommen hat, gebe es keine Perspektive. „Wir konnten keine Arbeit finden, keine Wohnung. Es sind zu viele dort.“ Dorota Zimdars stammt selbst aus Polen, sie hat dadurch noch einmal einen besonderen Bezug zur Situation dort. Was in der Ukraine geschehe, mache sie unglaublich traurig. Vor allem, dass man nichts tun könne. Ihr steigen Tränen in die Augen.

Dabei tun die Zimdars eine ganze Menge. Sie haben Platz geschaffen in ihrem Haus, in ihrem Alltag, sind zusammengerückt. „Wir haben jetzt eine Art WG“, sagt Dorota Zimdars lachend. „Aber mit viel Freiraum.“ Abends, wenn sie von ihrem Job aus der Buchhandlung nach Hause komme, koche sie einfach etwas mehr, falls die beiden neuen Mitbewohner mitessen wollen. Oder Viiktoria hat etwas gekocht. „Was war das, was du letztens zubereitet hast?“, fragt sie Viiktoria. „Das schmeckte köstlich!“ 

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Ehemann Thomas Zimdars sitzt abends gerne bei einem Glas Wein mit Viiktoria zusammen. Dann unterhielten sie sich über dies und das auf Englisch, bis Dorota Zimdars nach Hause komme. „Das ist gut für meine Englischkenntnisse. Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut klappt“, sagt er. „Wir opfern uns nicht auf.“ Für ihn und Dorota seien Viiktoria und Dania eine Bereicherung. Man habe viel über die ukrainische Kultur gelernt. „Man kommt aus seiner Komfortzone.“ Das sei spannend.

Gleiche Interessen verbinden

Bei Familie Zimdars scheint es mit den ukrainischen Gästen einfach gepasst zu haben. „Viiktoria interessiert sich auch für Kunst und Kultur. Wir haben die gleichen Interessen“, sagt Dorota Zimdars. Jetzt lesen sie und ihr Mann die Biografie der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramovic, wie Viiktoria. So hätten sie noch etwas mehr, worüber sie sich austauschen könnten.

Der Krieg in der Ukraine, das ist bei den Zimdars nun täglich ein Thema. „Natürlich ist das belastend“, sagt Dorota Zimdars. Die Nachrichten würden sie inzwischen nicht mehr täglich verfolgen. Das gehe zu nahe. Viiktoria geht tagsüber zum Deutschunterricht in Teltow. Dort trifft sie andere Ukrainerinnen. „Es tut gut, sich über das Erlebte auszutauschen zu können“, sagt sie. Thomas Zimdars findet es toll, dass Viiktoria so positiv sei, trotz des Krieges. Natürlich sähen sie, dass der Zustand in der Heimat und die Unsicherheit Viiktoria zu schaffen machten. Aber traumatisiert, so ihr Gefühl, sei sie glücklicherweise nicht.

Nicht immer verläuft die Aufnahme von Flüchtlingen reibungslos

So, wie es bei den Zimdars’ läuft, ist es nicht immer. Die Familie hatte Glück, jemanden zu treffen, mit dem es gleich so gut funktionierte. Thomas Zimdars weiß von Nachbarn, die auch Ukrainer aufgenommen hatten. Sie mussten leider wieder ausziehen. Es habe einfach nicht funktioniert. „Man weiß ja nie, was für eine Person da komme, ob es passe oder nicht“, sagt er. So ein Zusammenleben auf engstem Raum, das sei nicht mit jedem möglich. „Man muss es von Herzen tun. Sonst funktioniert es nicht.“ Nur weil andere Ukrainer aufnehmen, müsse man sich nicht gezwungen fühlen, dasselbe zu tun. Denn das Zusammenleben habe natürlich – trotz aller Bereicherung – auch Einschränkungen zur Folge.

Martin Bindemann, ehemaliger Diakon in der evangelischen Kirchengemeinde Kleinmachnow und Organisator des sonntäglichen Begegnungscafés für Ukrainer und Gastfamilien, weiß: „Die Unterbringung gelingt für eine gewisse Zeit. Irgendwann kommt man dann an Grenzen.“ Den Satz: „Es geht nicht mehr“, höre er nun immer häufiger von Gastfamilien. Auch für die Ukrainer sei es schwierig. „Da ist eine Scham. Sie merken, dass da eine persönliche Enge ist. Sie wollen den Gastfamilien nicht zu sehr zur Last fallen.“

Sonntags tauschen sich ukrainische Flüchtlingsfamilien und ihre Gastgeber im Begegnungscafé der evangelischen Kirchengemeinde aus.
Sonntags tauschen sich ukrainische Flüchtlingsfamilien und ihre Gastgeber im Begegnungscafé der evangelischen Kirchengemeinde aus.

© Andreas Klaer

Anfangs habe man viel Hoffnung gehabt, dass man schnell wieder zurück in die Heimat gehen könne. Inzwischen müsse man aber davon ausgehen, dass die Geflüchteten mindestens ein Jahr hierbleiben müssten. „Das können Private nicht stemmen.“ Bindemann ist sauer darüber, dass das versprochene NH Hotel, das als Unterkunft dienen sollte, noch nicht fertig ist. „Es steht ungenutzt und unfertig da rum.“ Der Kreis oder die Stadt müssten dringend Wohnraum schaffen. 

Kreis nahm mehr als 2700 Menschen auf

„Wir haben nicht nur ukrainische Geflüchtete“, sagt er. Nach Angaben des Kreises Potsdam-Mittelmark sind inzwischen mehr als 2700 Menschen aus der Ukraine aufgenommen worden. Laut Stadt sind es rund 315, die allein in Kleinmachnow untergekommen sind. 112 Haushalte hätten im Durchschnitt 2,80 Geflüchtete aufgenommen. 

Die größte Gruppe der Ukrainer ist zwischen 19 und 60 Jahre alt. Nach Angaben des Kreises wurden in einem Internatsgebäude im Schwarzen Weg 13 Räume, Zwei-Bett-Zimmer, für Ukrainer bereitgestellt. 20 Ukrainer wohnten dort seit Ende vergangener Woche. Die Unterkunft ist damit nahezu belegt. Hinzu kommt, dass der Träger die Nutzung am Mai 2023 wieder aufnehmen wolle.

Martin Bindemann.
Martin Bindemann.

© Andreas Klaer

„Es ist keine Lösung, die Menschen weiter zu anderen privaten Unterkünften zu schicken, wenn es nicht mehr klappt“, sagt Diakon Bindemann. Und auch nicht, wenn sie in eine Unterkunft wie die geplante in Schmerwitz in Wiesenburg kommen, das sei viel zu weit ab vom Schuss. Bürgermeister Michael Grubert (SPD) ist das Problem bewusst. Er hofft, dass das NH Hotel bald bereitstehe. Auch, wenn es nur eine kurzfristige Lösung sei. Zum NH Hotel erwartet die Stadt noch diese Woche Neuigkeiten.

Zimdars’ sagen, ihre Gäste könnten so lange bleiben, wie sie wollten. Aber auch, wenn Viiktoria und Dania ihren Gastgebern sehr dankbar sind, wissen sie, dass sie nicht ewig bleiben können. „Du möchtest nicht ihr Leben so beeinträchtigen“, sagt Viiktoria. Sie habe Hoffnung, dass der Krieg bald vorbei ist.

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