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Auf Instagram kann man verfolgen, wie die Werke von Frauke Schmidt-Theilig innerhalb von einer halben Stunde entstehen.

© Privat

Von Geldsorgen und Poesiealben: Die Leiden der mittelmärkischen Kunstszene

Distanzierte Stippvisiten bei sechs Künstlern im Landkreis Potsdam-Mittelmark: Manche bangen um ihre Zukunft, andere haben Rücklagen. Erste Hilfen sind ausgezahlt.

Von Helena Davenport

Teltow/Werder (Havel) - Jeden Tag produziert sie ein Minus, sagt Frauke Schmidt-Theilig am Telefon: „Das ist eine Katastrophe.“ Die Teltower Künstlerin hat einen Zuschuss wegen Corona bei der Investitionsbank Berlin (IBB) beantragt, ganz einfach sei dies gewesen, das Anliegen werde aktuell bearbeitet. Jetzt müsse man erst einmal warten, sagt Schmidt-Theilig, ein bis zwei Monate könne sie überleben, ab Mai werde es knapp.

Die gebürtige Rostockerin, Jahrgang 1958, ist seit 2000 als freischaffende Künstlerin tätig. Sie lebt und arbeitet gemeinsam mit der Familie im Mattauschhaus in der Teltower Altstadt, wo sich einst das Atelier des Künstlers August Mattausch befand. Ihr Mann betreibt seit dreißig Jahren eine Kneipe im Kreuzberger Bergmannkiez, das Turandot. Wegen Corona mussten nun Ausstellungen abgesagt werden und die Kneipe ist auch dicht. 

Der mittlerweile bis zum 19. April verlängerte Stillstand bereitet Schmidt-Theilig Geldsorgen – wie sie bangen aktuell viele Künstler in Potsdam-Mittelmark. Schmidt-Theilig ist trotzdem gut gelaunt: „Wir müssen uns ja schließlich alle zusammenreißen.“ Die Stadt Teltow müsse man außerdem unbedingt positiv hervorheben. Normalerweise gibt die Künstlerin wöchentlich zwei Kurse in der Teltower Jugendkunstschule. Und obwohl diese nun nicht stattfinden können, dürfe sie sie bei der Stadt in Rechnung stellen. Das sei derzeit ihre einzige Einnahmequelle.

Frauke Schmidt-Theilig.
Frauke Schmidt-Theilig.

© Privat

Die Rücklagen schwinden

Ansonsten könne sie nur beobachten, wie sich das Geld Tag für Tag aufbraucht. Die Miete für die Kneipe muss bezahlt werden, genauso wie die Nebenkosten ihres Hauses. Die Rücklagen, die eigentlich für den Sommer gedacht waren, seien bald dahin: „Wenn das länger als Mai geht, müssen wir an unsere Rentenversorgung ran. Das will ich auf keinen Fall.“

Derweil ist Schmidt-Theilig keineswegs untätig. Im sozialen Netzwerk Instagram hat sie sich einen Account angelegt, um hier jeden Morgen der Isolation entgegenzuwirken und dazu einzuladen, ihr für rund eine halbe Stunde bei der Kunstproduktion über die Schulter zu schauen. Ihre Tochter hat ihr dafür eine Kamera geschenkt, die man an der Stirn befestigt. Auch die Zusammenarbeit mit ihrer Künstlergruppe Dimension 14, die sich noch bis vor Kurzem Art Event nannte, läuft weiter – nur eben per Videokonferenz, erzählt Schmidt-Theilig.

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Künstlerin in der Krise

Karsten Meißner ist inzwischen die gute Laune vergangen. Er hat als Manager für seine Frau, die Künstlerin Katerina Belkina, ebenfalls Soforthilfe bei der Landesbank beantragt. Katerina Belkina inszeniert für ihre Fotografie Rollenspiele, dabei erinnern ihre Szenerien oft an Motive aus der Malerei der Renaissance. 2015 erhielt sie den Internationalen Lucas-Cranach-Preis. Bis Ende Februar nahm die 45-jährige gebürtige Russin noch an Ausstellungen teil, doch die letzten hätten schon kein Geld mehr eingebracht, sondern stattdessen gekostet. Es wurde nichts mehr verkauft, berichtet Meißner. Bis Herbst seien nun alle geplanten Veranstaltungen abgesagt. Die Künstlerin sollte eigentlich in Berlin ausstellen, in Dessau und sogar in China.

Meißner möchte KfW-Kredit beantragen

Das Geld aus der Soforthilfe werde nicht reichen, so Meißner, um davon eine Druckmaschine abzubezahlen, die sich die Werderaner Familie im Januar angeschafft hat, als sie noch nichts von den weitreichenden Quarantäne-Maßnahmen ahnte. Rund 10 000 Euro habe sie gekostet. Deswegen möchte Meißner auch einen Kredit bei der Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragen. Vor rund zwei Wochen hatte die Bundesregierung angekündigt, über die Förderbank unbegrenzt Kredite zu vergeben, um die Wirtschaft zu retten. Die KfW soll dabei 80 Prozent des Kreditrisikos übernehmen. Die Beantragung läuft jedoch nicht direkt über die KfW, sondern über die Banken, bei denen 20 Prozent des Kreditrisikos liegen.

Katerina Belkina kann derzeit keine Werke verkaufen, muss aber ihre Druckmaschine abzahlen. 
Katerina Belkina kann derzeit keine Werke verkaufen, muss aber ihre Druckmaschine abzahlen. 

© Privat

Womit Meißner vor einem Rätsel steht: Er ist Kunde der Hypovereinsbank und die habe ihn direkt zur KfW zurückverwiesen. Anstatt ihm den von der Bundesregierung versprochenen Kredit mit besonderen Rückzahlungsmodalitäten zu gewähren, habe die Münchner Bank versucht, ihm eigene Kredite zu verkaufen. Dieses Pingpong-Spiel könne man nicht machen, so der Kulturmanager. Er habe auch mit Bekannten, die in Sachsen wohnen, telefoniert und so herausgefunden, dass die Zuständigkeiten, was die Hilfen für Künstler angeht, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Somit könne er sich noch nicht einmal mit befreundeten Künstlern austauschen und beraten. „Ich finde das unfair“, sagt er. Kulturschaffende in Deutschland hätten aktuell nicht alle dieselben Chancen. Stattdessen hänge man jeden Tag in Warteschleifen.

Karsten Meißner.
Karsten Meißner.

© privat

Kurator plädiert für Bürgergeld

Frank W. Weber, seit 2009 Kurator der Stadtgalerie im Werderaner Kunstgeschoss und auch selbst Künstler, ist gelassen: „Warum soll ich jetzt darauf hoffen, dass sich jemand für Kunst interessiert, wenn es vorher nicht der Fall zwar“, sagt er. Eine Förderung hat er nicht beantragt, „nicht dass es mir nach Corona besser geht, als vorher“, sagt er und lacht. Generell sei er der Meinung, dass es an der Zeit wäre, über ein sofortiges Bürgergeld für alle nachzudenken. „Damit wäre denen geholfen, die gegenwärtig finanzielle Probleme bekommen und denen, die sich im Fürsorgebereich abrackern.“

Frank W. Weber.
Frank W. Weber.

© Andreas Klaer

Und kein Künstler könne gerade sagen, arbeitslos zu sein, findet Weber, der 1958 in Querfurt geboren wurde. Auch in Krisenzeiten gebe es immer etwas zu tun. Weber hat schon im benachbarten Pflegeheim Trompete gespielt und stellt außerdem seit Montag jeden zweiten Tag ein Werk aus dem Fundus der Stadtgalerie auf der Blogging-Plattform Tumblr vor – Werke, die sonst niemand zu Gesicht bekommen würde, auch dann nicht, wenn das Kunstgeschoss geöffnet hätte. 

Eine Ausstellung mit Bildern von dem chinesischen Künstler Ke Huang, die am 13. Mai eröffnet werden soll, ist bereits vorbereitet. Wider Erwarten seien die Arbeiten alle pünktlich eingetroffen. Und für den Fall, dass sich die Lage bis zum Eröffnungstermin nicht ändert, will er die Schau auch online zeigen, sagt Weber. „Das hat sogar den Vorteil, dass die Ausstellung selbst in China gesehen werden kann.“ Man könne eben auch Vorteile in den Nachteilen erkennen. „Ich kann nur hoffen, dass sich das Bewusstsein für die schönen Dinge im Leben während dieser Zeit schärft.“

Künstlerin musste Ausstellungen absagen

Auch die Caputher Künstlerin Siegrid Müller-Holtz musste alle geplanten Ausstellungen absagen. Dabei wurden ihre Arbeiten schon verschickt, ins bulgarische Sofia, nach Shanghai, auch nach Bad Homburg. Das ganze Durcheinander habe aber auch einen angenehmen Nebeneffekt, sagt Müller-Holtz: Sie habe nun keine Termine und müsse auch keine Texte schreiben. „Ich kann mich voll und ganz auf meine Kunst konzentrieren“, sagt sie.

Siegrid Müller-Holtz hat Werke nach Sofia und Shanghai versandt, die nicht gezeigt werden können.
Siegrid Müller-Holtz hat Werke nach Sofia und Shanghai versandt, die nicht gezeigt werden können.

© Privat

Und dies tue sie nun auch – ganz ohne Druck. Seit Dezember sammelt die Künstlerin über Ebay ältere Poesiealben von überall her, um sie zu bearbeiten. Die ältesten stammen aus dem Jahr 1850. Mitschüler oder Konfirmanden haben sich eingetragen - ab und zu tauche sie tief in das Persönliche, das sich in den Büchern verbirgt, ab, erzählt Müller-Holtz. Bei einigen Alben habe sie sich noch nicht getraut, sie zu verarbeiten. Zum Beispiel dann, wenn hinter dem Namen eines Freundes, der sich eingetragen hat, ein kleines Kreuz gezeichnet wurde. Gerade in Alben aus den Jahren von 1938 bis 1940 finde man öfter solche kleinen Kreuze, sagt Müller-Holtz.

15 Objekte sind in den vergangenen vier Monaten für die Serie „Buchfragmente“ in ihrem Atelier entstanden. Einen Förderantrag brauche sie nicht zu stellen, sagt die Künstlerin, die in dieser Woche ihren 72. Geburtstag begangen hat. Und selbst wenn ihr Geld zustünde, würde sie es nicht beantragen, weil sie es schlichtweg nicht benötige. Ein Problem sei für sie derzeit nur die gestörte Kommunikation. Wenn man nichts erlebe, könne man am Telefon auch nichts erzählen. Da bringe es nichts, wenn eine Freundin jeden Tag anruft. Den Kontakt von Angesicht zu Angesicht vermisse sie sehr.

Siegrid Müller-Holtz an ihrem Arbeitsplatz.
Siegrid Müller-Holtz an ihrem Arbeitsplatz.

© privat

„Gefühlt schafft man am Tag eigentlich gar nichts.“

Nadine Conrad und Allan Paul hatten 2018 ein Atelier unter dem Namen „Panama Projekt“ in Werder gegründet. Mittlerweile arbeitet nur noch Paul in Werder. Denn Anfang März eröffnete das Künstlerpaar in der Jägerstraße, in Potsdams Innenstadt, ihr Mitmachatelier. „Rund drei Wochen hatten wir geöffnet, dann mussten wir auch schon schließen“, sagt Conrad. Sie hätten viel investiert, alle Kraft in das neue Projekt gesteckt: „Das ist jetzt wirklich ziemlich doof.“ Einen Monat würden ihre Ersparnisse noch reichen. Dann müsse man Entscheidungen treffen. Aus dem Mietvertrag für den neuen Laden würden sie allerdings höchstwahrscheinlich nicht so schnell wieder rauskommen, er ist auf zwei Jahre angesetzt. 

Nadine Conrad.
Nadine Conrad.

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Um die Zeit zu überbrücken, hatten Conrad und Paul, sie Mitte 30, er Mitte 40, eigentlich viele Pläne. Diese umzusetzen, sei jedoch mit drei Kindern, die gerade zuhause sind, mehr als schwierig, so Conrad: „Gefühlt schafft man am Tag eigentlich gar nichts.“ Vor rund einer Woche haben auch die beiden eine Förderung bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB) beantragt. Bisher sei noch keine Rückmeldung gekommen. „Aber das ist bei der Zahl an Anträge ja auch zu verstehen“, sagt Conrad. Rund 60 000 Anträge seien bereits in ganz Brandenburg gestellt worden, heißt es in einer Pressemitteilung der ILB, das Antragsvolumen belaufe sich auf rund 600 Millionen Euro.

Freitagabend meldet sich Frauke Schmidt-Theilig: Die beantragten 5000 Euro sind auf ihrem Konto. „Das macht alles ein bisschen einfacher“, sagt sie. Sie hätte gar nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde, geradezu erfrischend sei die neue Niedrigschwelligkeit. „Ich hoffe, dass dies so bleibt, dass die Krise wenigstens irgendeinen Nutzen hat.“ Gleichzeitig hat sie auch eine Sorge: Dass es Leute gibt, die diese Gelegenheit ausnutzen. Aber in erster Linie freue sie sich jetzt erst einmal.

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