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Bunt, aber leer. Auf dem Hof von Roni Jacobowitz und am Marktplatz zeigt sich Teltow farbenfroh. Doch Leben herrscht auf den Plätzen der Altstadt kaum. Die Marina soll das künftig ändern.

© Bernd Settnik / dpa

Potsdam-Mittelmark: Der leise Boom von Teltow

Die Stadt Teltow wächst so schnell wie keine andere in Deutschland. Dabei will sie mehr sein als nur eine Schlafstadt in der Metropolregion. Doch der Boom stellt sie auch vor Herausforderungen.

Teltow - An einem sonnigen Samstagnachmittag herrscht in der Altstadt der am schnellsten wachsenden Stadt Deutschlands schläfrige Stille. Die von Blumenampeln gesäumten Sträßchen mit bonbonfarbenen Fassaden sind leer. Eine Handvoll Touristen sitzt im Café vor dem Rathaus. Der junge Kellner zuckt mit den Schultern. „Ansonsten ist hier ja auch nichts“, sagt er. Die „Boomtown“, wie Teltow seit einer Städte-Studie vor einigen Monaten oft genannt wird, boomt auf den ersten Blick ziemlich leise.

Spagate kennt die Stadt

„Es ist natürlich keine Großstadt, meine Güte“, wiegelt Bürgermeister Thomas Schmidt (SPD) ab. Aber ein reiner Wohnvorort will die Stadt im Speckgürtel zwischen Berlin und Potsdam eben auch nicht sein. Manche Teltower wünschten sich „Jubel, Trubel, Heiterkeit“, andere Beschaulichkeit: „Den Spagat muss man dann auch hinkriegen“, sagt Schmidt.

Teltow, das mit dem Kanal im Norden an den Berliner Nobelbezirk Steglitz-Zehlendorf grenzt und sich nach Süden spitz ins märkische Grün zieht, ist mittlerweile einer der am dichtesten besiedelten Orte des Berliner Umlands. Das frühere Industriezentrum stand nach der Wende zuerst kurz vor der Pleite, ist aber heute ein gefragter Standort für Dienstleister. Spagate kennt die Stadt, die seit dem Mittelalter sieben Mal abgebrannt ist, zur Genüge. Nach dem sechsten Brand begannen die Teltower der Legende nach mit dem Anbau ihrer berühmten Rübchen. In der früheren Kantine des „VEB Elektronische Bauteile“ eröffnete vor fünf Jahren das angeblich größte China-Restaurant Deutschlands – dort entstand auch die Idee einer Partnerschaft mit der chinesischen Millionenstadt Langfang, die derzeit vorbereitet wird. Langfang ist ein Vorort Pekings, ebenfalls vom Zuzug aus der Hauptstadt geprägt.

Teltow legt steilstes Wachstum aller deutschen Städte hin

Gerade der Zuzug von Großstädtern mit Sehnsucht nach Natur mit S-Bahn-Anschluss hat dazu geführt, dass auch Teltow in den vergangenen Jahren das mit Abstand steilste Wachstum aller deutschen Städte hingelegt hat. Im Laufe der kommenden Monate wird die Stadt ihren 26 000. Einwohner begrüßen – 16 000 waren es noch vor knapp 20 Jahren.

Der Düsseldorfer Martin Jacoby zog vor acht Jahren zur Familiengründung nach Teltow. „Wir wollten das Kind in einer Umgebung aufwachsen lassen, in der es sich frei bewegen kann“, erzählt der Grafiker. In seiner Doppelhaus-Nachbarschaft leben Familien aus Sachsen-Anhalt, Sri Lanka und der Schweiz. Wie der Großteil aller in der Stadt lebenden Arbeitnehmer pendeln auch Jacobys Frau und seine Nachbarn nach Berlin. Weniger als ein Fünftel der Teltower Arbeitnehmer arbeitet tatsächlich im Ort.

Manche Dinge lohnen sich in Teltow nicht

Doch die Züge und Autobahnen sind in beide Richtungen voll: Mehr Pendler, als Teltow jeden Morgen verlassen, kommen zum Arbeiten in die Stadt. Auch der 23 Jahre alte Kellner im Restaurant am Rathaus lebt als gebürtiger Teltower mittlerweile in Berlin. Als Attraktion von Teltow fällt ihm neben dem Heimatmuseum spontan nur der Open-Air-Kinoabend ein - einer von zwei Abenden im ganzen Sommer. Wer öfter ins Kino möchte, muss nach Kleinmachnow fahren. Ein eigenes Kino hat Teltow seit 2005 nicht mehr.

Manche Dinge lohnen sich für eine Speckgürtel-Stadt einfach nicht, erklärt der Bürgermeister. „Jemand, der ins Theater will, wird immer nach Berlin oder nach Potsdam reinfahren. Da müssen wir nichts aufbauen, was im nahen Umfeld vorhanden ist“, sagt Schmidt. Wichtiger seien Straßen, Schulen, Kitas. „All die Dinge, die zum Leben dazugehören, verbinden sich letztlich auch bei uns in Teltow.“ Die Rolling Stones werde man nicht nach Teltow holen. „Aber wir haben den Tag der offenen Höfe, da ist die Altstadt proppevoll.“ Der Hof von Roni Jacobowitz hat fast das ganze Jahr über offen. In einem mausbraunen Haus an der Potsdamer Straße, der Hauptader Teltows, führen der 69-Jährige und seine Frau seit 14 Jahren ein Antik-Geschäft. Im früheren Schuhladen an der Straße stapeln sich Antiquitäten, im Hof drängen sich Regale voller Schrott und kleiner Schätze. Um einen Gartentisch sitzen Freunde und Mitarbeiter, Kunden und Nachbarn schauen vorbei.

Bau des Teltower Hafens: Stolz und Ärger in Teltow

Steigende Mieten in der Hauptstadt waren es, die das Ehepaar das Haus in Teltow kaufen ließen. Mittlerweile haben auch die Mieten in Teltow Rekord-Niveau erreicht. „Mietmäßig hätten wir das Gewerbe hier nie schaffen können“, sagt Jacobowitz. Wohnblocks mit Eigentumswohnungen wachsen in den Himmel, daneben stehen Läden leer. Die Entwicklung sei auf die Klientel ausgerichtet, die auch der neue Sportboothafen anlocken soll, sagt Jacobowitz. „Aber der Hafen ist ja noch eine Fata Morgana.“ Der Bau der Marina am Teltowkanal ruft sowohl Stolz als auch Ärger in der Stadt hervor. Schon bevor die Kosten der Baustelle von 5,5 Millionen Euro auf mittlerweile fast 15 Millionen Euro explodierten, war das Bauprojekt umstritten gewesen. Von den 39 Bootsliegeplätzen mit Hafenanlage und Gastronomie erhoffen sich Befürworter einen Magnet für Touristen und ein beflügeltes Stadtleben. Gegner sehen in dem Projekt lebensfernen Luxus und plädieren stattdessen für ein Schwimmbad.

Widerstand gegen den Hafen war auch der Grund, weshalb Jeannette Paech für die Piratenpartei ins Stadtparlament zog. „Ich sehe das immer von der sozialen Seite“, sagt die 49-Jährige, die seit 2004 in der Stadt lebt. „Es werden viele Eigentumswohnungen gebaut, aber es gibt keinen bezahlbaren Wohnraum für sozial Schwache. Ich habe das Gefühl, dass alte Teltower immer mehr verdrängt werden.“ „Nö“, sagt Bürgermeister Schmidt, „es gibt für mich da keine wahrnehmbaren Konflikte.“ Aber dass die Wohnplanung eine knifflige Aufgabe ist, gibt der Sozialdemokrat zu. Man müsse den Wohnraum auch den Menschen mit schmalem Geldbeutel erhalten. Das Land Brandenburg hat für Orte wie Teltow zu Beginn des Jahres eine Mietpreisbremse eingeführt, Neuvermietungen dürfen maximal zehn Prozent teurer sein als ortsübliche Vergleichsmieten. Auf Hilfe vom Land hofft man auch für die zwei Dutzend Sozialwohnungen, die bis 2018 gebaut werden sollen.

Wohnraum wird knapper

Auch die Marina soll 2018 eröffnen. „In zehn Jahren wird jeder, der die Entwicklung sieht, behaupten, es war die richtige Entscheidung“, ist Schmidt sich sicher. Diese Hoffnung teilt auch der bekennende Hafen-Fan Martin Jacoby, nur wohnen er und seine Familie dann vielleicht nicht mehr da. „Teltow ist für uns nur so lange interessant, wie wir ein Kind haben, das Sicherheit und Entfaltung braucht“, sagt Jacoby. Wenn der Sohn etwas älter ist, will das Paar zurück in die Großstadt.

Die Nachrücker werden sich über den freien Wohnraum freuen, denn der wird bis dahin wohl noch knapper: Bei 30 000 Einwohnern soll mit dem Boom erstmal Schluss sein. „Dann sind wir ungefähr bei der Zielzahl angekommen und, naja, dann müssen wir schon gucken“, sagt Bürgermeister Schmidt. „Etwas Grün soll ja auch noch da sein.“ Der nächste Spagat für Teltow. (dpa)

Christina Peters

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