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Wer keine Lust auf seine Gruppe hat, kann in den Werkraum zu Isabel Schmiga gehen.

© Ottmar Winter

Neue "Schule des Lebens Potsdam“: Kinder entscheiden in Werder selbst, was sie lernen wollen

Keine Noten, keine Klassenzimmer und Lehrer heißen Lernbegleiter: Vor vier Monaten hat die demokratische Schule in Werder ihren Betrieb aufgenommen. Ein Besuch.

Von Eva Schmid

Werder (Havel) - Adrian zieht sich die Hausschuhe an, sein Schultag geht los. Er überlegt kurz, dann setzt er sich ans Klavier. Neben ihm baut ein Junge eine waghalsige Konstruktion mit einer Holzmurmelbahn. Der Unterricht hat begonnen. An der neuen Schule in Werder (Havel) entscheiden die Kinder, was sie lernen.

Seit vier Monaten hat die „Schule des Lebens Potsdam“ ihren Betrieb in den Havelauen aufgenommen. Die neue Schule ist zunächst in einem Bürokomplex in der Mielestraße eingezogen. Wer zu Besuch kommt, merkt schnell, dass dort vieles anders ist. Es gibt keine Klassenzimmer, Tafeln und Noten. Die Lehrer nennen sich Lernbegleiter. Von einem normalen Schulalltag ist man weit entfernt.

17 Schüler werden jahrgangsübergreifend unterrichtet

Die Schule nennt sich frei und demokratisch. Frei, weil die Kinder entscheiden können, was und wie schnell sie lernen wollen. Demokratisch, weil dort jede Meinung gehört werden soll, um am Ende einen tragfähigen Kompromiss zu finden. Auch die Kinder sollen das von klein auf lernen. Unterrichtet werden derzeit 17 Schüler von der ersten bis zur achten Klasse. Jahrgangsübergreifend sollen einmal bis zu 50 Grund- und Oberschüler in Werder zusammen lernen.

Ein Blick in die Regale in den Schulräumen zeigt, dass großer Wert auf Haptik gelegt wird. Es gibt Webrahmen, Stricklieseln, Baumrinden, Murmeln und viel Holz. Das Konzept der Schule: Vom Greifen kommt man zum Begreifen.

"Wir schlagen einen anderen Weg ein"

Ähnlich wie bei der Waldorfpädagogik geht man davon aus, dass Kinder mit allen Sinnen lernen und nicht durch Belehrung. Und wer selbst entscheidet, ob und was er lernt, ist viel motivierter bei der Sache und lernt deutlich schneller. „Wir haben das gleiche Ziel wie Regelschulen, schlagen aber einen anderen Weg ein“, sagt Grit Hübener, eine der Gründerinnen.

Gründerin Grit Hübener.
Gründerin Grit Hübener.

© PNN / Ottmar Winter

Zusammen mit vier anderen Müttern aus Potsdam hat sie das Projekt aus der Taufe gehoben. Die Frauen waren lange auf der Suche nach der passenden Schule, fanden aber keine. Für sie steht die Selbstbestimmung ihrer Kinder an oberster Stelle, einige haben daher auch auf die Kita verzichtet. Wichtig sei ein anregendes Lernumfeld. Die Schule geht daher auch viele Kooperationen ein. Im Werderaner Traumfänger machen die Schüler Sport, im Potsdamer Extavium wird regelmäßig geforscht. 

Die Schule finanziert sich derzeit über einen Kredit, nach drei Jahren zahlt das Land. Das Schulgeld ist abhängig vom Einkommen der Eltern und liegt zwischen 50 und 350 Euro monatlich.

Skeptische Reaktionen - auch vom Bildungsministerium

Dieser andere Weg des Lernens wird von vielen kritisch betrachtet. Nicht nur Großeltern, auch das brandenburgische Bildungsministerium, das die Schule schließlich genehmigte, wollte es genau wissen: Wie stellt die Schule sicher, dass die Zehntklässler am Ende ihrer Schulzeit nicht nur gut Klavier spielen, sondern auch wichtige Grundkompetenzen erlernt haben?

„Wir halten uns an den Rahmenlehrplan“, betont Hübener. Das soll laut Bildungsministerium auch regelmäßig vom staatlichen Schulamt überprüft werden. Um bei Kontrollen durch die Schulaufsicht etwas vorzeigen zu können, habe man sogenannte Kompetenzraster erarbeitet, die sich am Rahmenlehrplan orientieren. Das seien Listen, auf denen für das jeweilige Alter die geforderten Kompetenzen stehen. Jeder Schüler würde dieses Raster regelmäßig mit seinem Mentor abgleichen. Zudem würden die Kinder auf die mittlere Reifeprüfung nach der zehnten Klasse vorbereitet werden. „Wer sich danach entscheidet, Abitur zu machen oder zu studieren, der trifft diese Entscheidung bewusst“, sagt Hübener.

Schüler waren wie ausgewechselt

Vom selbstbestimmten Lernen ist auch Adrians Mutter überzeugt. Als Kitafachberaterin habe sie selbst die Vorteile des forschenden und entdeckenden Lernens erfahren. „Das hat mich überzeugt“, sagt Daniela Zill. Die 40-jährige Potsdamerin erzählt, dass sie mit Kindern zusammengearbeitet hat, die auf normalen Schulen „einen Stempel aufgedrückt bekommen haben“. Sie spricht von Kindern mit einem vermeintlichen Aufmerksamkeitsdefizit, von Kindern, die sich im Unterricht gelangweilt oder die kein Interesse gezeigt hätten. Die Möglichkeit, auf andere Weise zu lernen, habe sie zu anderen Schülern gemacht, „sie waren wie ausgewechselt“.

Der siebenjährige Adrian entscheidet selbst, was er lernen möchte. 
Der siebenjährige Adrian entscheidet selbst, was er lernen möchte. 

© Ottmar Winter

Das wollte sie auch für ihr Kind und bewarb sich an der Schule des Lebens. Mittlerweile seien auch Adrians Großeltern beruhigt: Seit er begeistert angefangen hat zu stricken, ist zumindest die Oma zufrieden. „Sie sorgen sich weniger, dass aus ihm mal was wird“, sagt Daniela Zill mit einem Lachen.

Den Unterschied zur normalen Schule kennt auch Kari: „Hier hat man weniger Druck“, sagt das zwölfjährige Mädchen. Endlich dürfe sie sich die Zeit nehmen, die sie brauche. „So macht mir Schule wieder Spaß.“

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