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KulTOUR: Michendorf: Ein gelungenes „Fäkalstück“

Michendorf - Ein betont schlicht gehaltenes Zimmer, drei ältere Putzfrauen, ein Anlass: Erna und Grete feiern Mariedls neuen Fernseher, auch wenn dieser keinen neuen Eindruck macht. Wenigstens können sie nun die Christmette aus Rom miterleben, ist doch was im katholischen Österreich der 1990er-Jahre.

Michendorf - Ein betont schlicht gehaltenes Zimmer, drei ältere Putzfrauen, ein Anlass: Erna und Grete feiern Mariedls neuen Fernseher, auch wenn dieser keinen neuen Eindruck macht. Wenigstens können sie nun die Christmette aus Rom miterleben, ist doch was im katholischen Österreich der 1990er-Jahre. Grund genug also, über die Abgründe und Gemeinheiten des Daseins zu parlieren, ein wenig am Glaserl zu nippen und dabei einen Offenbarungseid nach dem anderen über ihren Herzensjammer abzulegen. Das Leben hat sie ja nicht glücklich gemacht, der einen sind Mann und Tochter weggelaufen, die andere träumt von einer Liaison mit dem Fleischhauer von Gegenüber, der ausgerechnet Wottila heißt. Nur Mariedl, die älteste, bleibt, was immer sie war: eine Spezialistin in Sachen Klo-Bereinigung. Damit andere Leute ihre „Hinterlassenschaften“ ganz ohne Sorgen entsorgen können, greift sie schon mal „so“ hinein, ohne Handschuhe. Wie sich herausstellt, kriegt man dabei abenteuerliche Dinge in die Hände.

Der Grazer Autor Werner Schwab (1958–1994) hat diese drei schlichten Gemüter in seinem zweiten Theaterstück zu „Präsidentinnen“ erhoben und sie mit weiteren Dramen, wie etwa „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“, einem Band von „Fäkalstücken“ zugeordnet. In den 90er-Jahren war dieser Mann einer der meistgespielten und erfolgreichsten Autoren, einer, der vom Theater noch etwas wollte und dem Publikum den Raufdegen bot, statt es zu verwöhnen und einzulullen. Schön, dass Michendorfs „Kleine Bühne“ unter der bewährten Leitung von Christine Hofer sich dieser nicht leicht verdaulichen Kost angenommen hat, trotz einer derben Kunstsprache. Wie gelungen dieser Wurf war, zeigte die letzte Sonntagnachmittags-Vorstellung: mehr als 50 Besucher.

Gespielt wird diesmal „off“ im Parkett, was etwas zulasten der akustischen Verständlichkeit geht. Ortrud Meyhöfer gibt dabei eine katholisch-frömmelnde Pietistin mit Sehnsucht nach Wottila, der so guten Leberkäse macht. Leicht pressierte Sprache, aber voll der Spiellust. Grete, von einem mit Erotik durchtränkten Erfüllungsleben träumend, wird mit teils extremen Einlagen höchst vital von Karina Lehmann gespielt. Streiten, clinchen bis zum Umfallen, den ganzen Lebensfrust und -schmutz einfach fortwischen, doch dann dreht das Stück auf ein herrlich finsteres Ende zu. Werner Schwabs Kunstsprache erweist sich dabei als äußert bühnenwirksam. Und für alle drei gilt: Wird die Bühne geliebt, so verjüngt sie.

Natürlich ist auch hier nicht alles vollkommen, in den Figuren-Beziehungen zum Beispiel, in der Konzeption. Warum wird die Glotze, Anlass des Treffs, so früh ausgeschaltet, und weshalb erhöht Schwab diese schlichten Gemüter zu „Präsidentinnen“? Auch das Zentrum der agilen Inszenierung, Mariedl (Marlies Hanowski) kommt viel zu kurz. Während Erna und Grete sich in Illusionsgewölk hüllen, greift diese Senorita tief hinein, und statt roter Rosen regnet nur Unrat auf alle hinab. Durch seine Fäkalsprache sagt Schwab, was er selbst davon hält, von der Wahrheit der Welt. Eine Botschaft wie aus dem Reiche des Endverdauten, des Urgrunds – oftmals zum Lachen. Nahrung aber für jedes Theater der Unruh.

Nächste Vorstellungen im Michendorfer „Apfelbaum“ in der Potsdamer Straße am 16., 17. und 18. Dezember

Gerold Paul

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