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Mahnung. Das Original-Segment soll auch an die Mauertoten erinnern.

© Andreas Klaer

Kleinmachnow: Geschichten der Teilung

In Kleinmachnow wurde jetzt ein originales Segment der Mauer enthüllt

Die meisten übersehen das Messingband, das quer über die Kleinmachnower Karl-Marx-Straße am Adam-Kuckhoff-Platz verlegt wurde und den einstigen Verlauf der Mauer markiert. Nur am Rande des Gehweges gibt ein Gedenkstein Auskunft über die deutsch-deutsche Teilung. Daneben steht nun unübersehbar ein originales Segment der Mauer als Mahnmal, wie Bürgermeister Michael Grubert (SPD) bei der gestrigen Enthüllung sagte. Denn heute nach 28 Jahren sei es vielen Besuchern kaum noch vermittelbar, dass Kleinmachnow und Berlin einst eine fast unüberwindbare Mauer trennte. „Auch mein 14-jähriger Sohn weiß nicht, wo die Mauer einmal war“, so Grubert. Die Erinnerung an dieses Kapitel müsse wach gehalten werden als Mahnung.

Auch an 138 Mauertote, davon vier, die in Kleinmachnow versuchten, die Mauer zu überwinden. Peter Mädler, Christian Buttkus, Walter Kittel und Karl-Heinz Kube wurde gestern mit einer Schweigeminute gedacht. Kube war erst 17 Jahre alt, als er, ausgerüstet mit einem Seitenschneider, im Dezember 1966 die ersten Draht-Sperranlagen nahe der Berlepschstraße überwand. Doch am letzten Zaun wurden er und sein Freund von einer Streife entdeckt. Als sie in einem Graben Deckung suchten, gerieten sie ins Schussfeld einer weiteren Streife. Kube traf eine Kugel in die Brust und eine in den Kopf, sein Freund wurde unverletzt festgenommen und die Todesschützen später mit Medaillen dekoriert.

Als am 9. November 1989 die Mauer dem Druck der Massen nicht mehr standhielt, war das für die Deutschen auf beiden Seiten der Mauer ein Freudentag, erinnerte sich Bürgermeister Grubert, der als Westberliner die Trabbis auf dem Kudamm begrüßte. Nur wenige Wochen später, am 11. Dezember, wurde der erste Übergang geöffnet.

Schon am Tag zuvor waren die Presslufthammer zu hören, um die Mauersegmente am Zehlendorfer Damm zu beseitigen. Viele der rund 50 Besucher, die gestern zur Gedenkveranstaltung kamen, konnten von diesem Tag berichten, so wie der Gemeindevertreter Klaus-Jürgen Warnick (Linke). Es habe viele Schaulustige damals gegeben, die nicht abwarten wollten und schon vor der offiziellen Öffnung über den dampfenden Asphalt gelaufen waren. „Da waren lauter Abdrücke von Tapsen der Kleinmachnowern drauf“, weiß Warnick noch. Seine Mutter, die in der Nähe ein Lebensmittelgeschäft hatte, verkaufte große Mengen an Bier und Schnaps an die Zehlendorfer, die mal den Ostalkohol testen wollten. Es war Feierstimmung, trotz Schneeregen und Warnick berichtete, wie sie mit einem Tauchsieder einen großen Topf mit Wasser zum Kochen brachten, um Grog zu brauen. „Bis morgens um vier wurde gefeiert, es war das Geschäft unseres Lebens“, so Warnick, „alles war ausverkauft, sogar die letzten Vorräte im Keller waren dann weg“.

Auch an die Zeiten der Mauer hatte er noch Erinnerungen. Um ihr Enkelkind zu sehen, war die Großmutter mit ihm zur Stammbahn am Düppel gelaufen. Drüben aus dem hölzernen Aussichtsturm winkten die Schwester und eine kleine Hand. Nur unweit vom Turm entfernt wohnt heute noch Ilse Kuhlmann in Berlin-Zehlendorf. Vor dem Mauerbau seien am Bahnhof Düppel viele Geschäfte gewesen, weiß sie, und dass sie durch die Mauer auch viele Freundinnen verloren habe. Denn in Kleinmachnow war sie einst zur Schule gegangen und sogar den Feiertagskuchen ließ ihre Mutter beim Bäcker in der Straße am Fuchsbau backen. Die beiden Orte habe damals viel miteinander verbunden, erzählte die 84-Jährige. So versuchte sie später, die Grenzer zu bestechen – mit Kuchenpaketen. „Einige hatten sich unwirsch abgewandt auf meine Frage, ob ich ihnen da mal was über die Mauer werfen könne. Die hatten wohl Angst, dass es einer sieht.“ Sie habe es trotzdem gemacht. „Und die meisten haben sich das dann doch noch geholt.“ Ihr Haus war so nah, dass die Patrouillen ins Fenster reingucken konnten. „Die haben genau gesehen, wie viel Milch ich in meinen Kaffee gegeben habe“.

Auch Gemeindevertreterin Barbara Sahlmann (Grüne) weiß noch, wie sie als Kind mit der Düppelbahn zu Verwandten nach Westberlin fuhr. Da war die Vorfreude auf Schokolade und Süßigkeiten groß. Bange hatte sie dagegen vor der Rückfahrt, denn die Erwachsenen schmuggelten immer mal wieder Kaffee oder Schokolade. 

Kirsten Graulich

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