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Märchenhaft. Friederike Fink und Mollazadeh Massiallah (u.).

© Christoph Freytag

Kleine Bühne Michendorf: Schneeballschlacht – was ist das?

Die Kleine Bühne Michendorf führt zusammen mit Potsdamer Flüchtlingen „Die Schneekönigin“ auf.

Potsdam/Michendorf - Ein weißes Laken ist schon die ganze Bühne, die das kleine Ensemble für seine Inszenierung braucht: Dort, auf dem schneebedeckten Boden, entwächst eine rote Blume. „Ich habe gehört, bei Ihnen ist mitten im Winter eine Rose erblüht – ich kaufe sie!“, fordert der Herr Kommerzienrat. „Nein!“, weigert sich das Geschwisterpaar Kai und Gerda. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Aus Rache wird Kai von der Chefin des Kommerzienrats, der Schneekönigin, verzaubert.

Einmal täglich proben die rund 20 Darsteller das auf Hans Christian Andersens Märchen basierende Theaterstück mittlerweile, am 16. Dezember ist Premiere: Dann wird in der Flüchtlings-Wohnanlage auf dem Potsdamer Brauhausberg Weihnachten gefeiert. Die Kleine Bühne Michendorf führt „Die Schneekönigin“ gemeinsam mit rund einem Dutzend Bewohnern der Unterkunft auf.

„Wir fangen heute von vorne an bei der Schneeballschlacht – bitte haltet eure Vogelmasken bereit!“, verteilt Regisseurin Christine Hofer Anweisungen. Sie werden in Arabisch und Farsi wiederholt, denn vier Übersetzer – für Arabisch, Französisch, Farsi und Englisch – sind ebenfalls Teil des Projektes und spielen auch mit. Es ist ein buntes Ensemble: Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren aufwärts, teils verkleidet, teils in Alltagssachen, Schauspieler und Laien aus insgesamt acht Nationen. „Es ist manchmal sehr chaotisch, aber es macht viel Spaß“, sagt die 24-Jährige Friederike Fink von der Kleinen Bühne Michendorf, die die Rolle der Gerda spielt.

„Bei den vielen Sprachen ist es nicht immer ganz leicht, sich mitzuteilen“, sagt Hofer. Doch gerade die Unterschiedlichkeit der Darsteller aus Syrien, Afghanistan oder Tschetschenien sei ein Erfolg des Projekts, so Hofer: „Viele, die sonst hier im Haus aneinander vorbei gehen, kommen auf einmal zusammen und haben ein gemeinsames Erlebnis.“ Zudem stärke das Schauspielern das Selbstbewusstsein und führe die Geflüchteten an die deutsche Sprache heran, sagt Hofer. Das kommt an: „Unter den jungen Erwachsenen gibt es einige richtig Spielwütige, die sehr ernsthaft an das Ganze rangehen und sich voll reinschmeißen“, freut sich Hofer.

Dazu zählt unter anderem der 16-jährige Massiullah Mollazada, einer der rund 400 Bewohner der Unterkunft auf dem Brauhausberg: Der gebürtige Afghane lebt schon seit einem Jahr in Potsdam und hat bereits Schauspielerfahrung gesammelt, etwa bei der Aufführung von „Nathan der Weise“ in der Französischen Kirche. „Ich kannte die Geschichte der Schneekönigin schon durch einen Animationsfilm“, sagt Mollazada. Als er hörte, dass in der Wohnanlage ein Theaterstück aufgeführt werde sollte, war er sofort dabei. „Mir gefällt vor allem das Tanzen, wenn wir als Krähen verkleidet sind“, sagt Mollazada, der in Zukunft auf jeden Fall weiter schauspielern will, vielleicht sogar beruflich.

Es sei ein glücklicher Zufall gewesen, dass das Projekt in der Wohnanlage der Arbeiterwohlfahrt Potsdam (Awo) stattfindet, sagt Einrichtungsleiter Andreas Wilczek: „Ich hatte jemanden von der Kleinen Bühne Michendorf in der Stadt getroffen, die gerade weitere Schauspieler für ihr Stück suchten.“ Dass Geflüchtete daran mitwirken sollten, war von Anfang an geplant: Die Kleine Bühne hatte zuvor erfolgreich einen Förderantrag beim brandenburgischen Bildungsministerium gestellt. Unterstützung kommt auch vom Hans Otto Theater, das der Kleinen Bühne für die Aufführung Kostüme geliehen hat.

Vor fünf Wochen begannen die Proben, zunächst dreimal in der Woche. Viele der Bewohner kannten das Märchen nicht und auch die Sprachbarriere war nicht die einzige Anfangsschwierigkeit: „Als wir das erste Mal die Schneeballschlacht proben wollten, mussten wir feststellen, dass viele gar nicht wussten, was das ist“, sagt Hofer. Auch die vielen Kinder zu integrieren, die mal zur Probe kommen und mal nicht, war eine Herausforderung: „Das war am Anfang sehr schwer, aber die jungen Erwachsenen nehmen die Kleinen mittlerweile gut mit.“

„Die Schneekönigin“ wird ein Höhepunkt des Weihnachtsfestes in der Awo-Wohnanlage, das bis auf das Theaterstück fast vollständig von der Opel Bank Potsdam finanziert wird. Direkt danach, um 18 Uhr, findet die große Bescherung für alle Kinder der Wohnanlage statt, von denen zuvor fleißig Wunschzettel eingesammelt wurden. Auch wenn Weihnachten in muslimischen Ländern bekannt ist, werden vor allem die jüngeren Bewohner der Unterkunft das Fest wohl das erste Mal in seiner europäischen Form erleben. Über einen Kulturschock macht sich Andreas Wilczek aber keine Sorgen: „Überall auf der Welt freuen sich Kinder über Geschenke.“

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