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Interview: „Man kann einen Baggerfahrer nicht ins Büro setzen“

Der Werderaner Pfarrer Georg Thimme über seinen Wechsel als Superintendent nach Cottbus und neue Herausforderungen.

Von Enrico Bellin

Werder (Havel) - Herr Thimme, nach neun Jahren als Pfarrer der Heilig-Geist-Kirchengemeinde werden Sie Werder (Havel) in dieser Woche verlassen. Am Mittwoch ziehen Sie nach Cottbus, wo Sie Superintendent des Kirchenkreises werden. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
 

Ich finde es immer gut, nach spätestens zehn Jahren zu wechseln. So gerät man nicht in eine Routine. Auch für die Gemeinde ist es gut, wenn mit einem neuen Pfarrer frischer Wind hereinkommt. Mich reizt aber auch die Aufgabe als Superintendent. Ich gehe nicht gerne aus Werder weg, aber ich gehe sehr gerne nach Cottbus hin. In Werder habe ich vor allem Gemeindearbeit gemacht, also etwa Gottesdienste gehalten, Seelsorge angeboten oder den Konfirmandenunterricht geleitet. All diese Aufgaben fallen als Superintendent weg. Meine neue Aufgabe wird unter anderem sein, für eine gute Zusammenarbeit der Kirchengemeinden, Gremien und Ämter des Kirchenkreises zu sorgen und den Mitarbeitenden als Seelsorger zur Verfügung zu stehen. Personalangelegenheiten und auch Konfliktmanagement sind Teil dieser vielfältigen und spannenden Aufgabe, auf die ich mich sehr freue.

Stichwort Konflikte: Sie haben hier 2017 das Aktionsbündnis Weltoffenes Werder mitbegründet, nachdem rechtsnationale Gruppen mehrere Aktionen in der Stadt durchgeführt hatten. Planen Sie solch eine Arbeit auch in Cottbus, oder machen das die Pfarrer vor Ort?

Da können sich alle beteiligen. Es ist wichtig, miteinander im Gespräch zu sein, über den eigenen Horizont hinauszuschauen und mit anderen etwas Neues entstehen zu lassen. Das anzuregen, ist auch meine Aufgabe als Superintendent.

Ist der Bedarf nach Aktionen gegen Rassismus und rechte Gesinnung in Cottbus höher als in Werder?

Diesen Bedarf gibt es immer, unabhängig von politischer Tagesaktualität. Es gibt in Cottbus bereits eine ausgeprägte und engagierte Zivilgesellschaft. Gleichzeitig nehme ich auch die Bedürfnisse der Menschen vor Ort wahr, die vom Strukturwandel betroffen sind. Das gilt es ernst zu nehmen.

Sie haben bereits Erfahrungen in der Region gesammelt: Um die Jahrtausendwende waren Sie Pfarrer in Haidemühl, einem Ort, der inzwischen den Kohlebaggern zum Opfer gefallen ist. Hilft Ihnen das, nun den Strukturwandel zu begleiten?

Ich habe damals alle Seiten als sehr authentisch wahrgenommen: Ich verstehe Menschen, die große Angst haben vor einem Verlust ihrer beruflichen Zukunft. Und ich verstehe Menschen, die große Angst davor haben, entwurzelt zu werden in dem Moment der Umsiedlung oder gegen die durch den Tagebau verursachte erhebliche Zerstörung der Umwelt kämpfen. Alle Seiten haben aus ihrer Perspektive heraus gesehen recht, das macht die Sache so kompliziert. Wenn wir einen Weg finden, in dem es für keinen perfekt ist, aber alle sagen können ‚so ist es gut genug', dann haben wir eine ganze Menge gewonnen. Das gilt es moderierend und als Seelsorger zu begleiten. Dem stelle ich mich gern.

Gab es in Haidemühl ein Schicksal, das Sie besonders berührt hat?

Es gab Themen, die mich mitgenommen haben. Haidemühl war der Nachbarort von Proschim, was ja immer noch darum kämpft, nicht dem Bagger weichen zu müssen. Wir hatten in Proschim einen gemeinsamen Friedhof. Die Haidemühler wollten bei der Umsiedlung natürlich ihre Verstorbenen mitnehmen, um weiterhin einfach zum Grab gehen zu können und nicht erst lange mit dem Bus fahren zu müssen. Die Proschimer haben aber zu Recht gesagt, dass das den Friedhof zerreißt. Das hat mich sehr bewegt und mir deutlich gemacht, wie tief diese ganze Frage des Strukturwandels dort eingreift.

Wie hat man das Problem gelöst?

Das war nicht konfliktlos. Die Haidemühler konnten ihre Verstorbenen schließlich mitnehmen.

Sie sind auf zehn Jahre als Superintendent gewählt, werden also nicht mehr das Aus der Kohle erleben, aber den Weg dorthin. Wie stellen Sie sich den Umschwung vor?

Ich hoffe, dass der Strukturwandel vernünftig gestaltet und vorbereitet wird. Es muss für die Menschen dort eine echte Perspektive geben, die zu ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn passt. Man wird einen Baggerfahrer aus dem Tagebau nicht ohne weiteres in ein Büro setzen können. Natürlich muss die Politik die Entscheidungen treffen, die Kirche wird die Umstellung aber begleiten.

Für Wandel haben Sie auch in Werder gesorgt: Nach jahrelangem Ringen ist die Heilig-Geist-Kirchengemeinde zum Jahresanfang vom Potsdamer Kirchenkreis in den Kirchenkreis Mittelmark-Brandenburg gewechselt. Hat sich Ihr Engagement gelohnt, wenn Sie jetzt doch gehen?

Ich habe den Wechsel des Kirchenkreises nicht für mich persönlich angestrebt, sondern bin davon überzeugt, dass er für Werder das Richtige ist. Es sind bereits einige Projekte entstanden. Wir arbeiten immer stärker mit dem Pfarrbezirk Phöben zusammen. Es gab an Himmelfahrt einen Open-Air-Gottesdienst in Glindow, zu dem aus der ganzen Region Menschen gekommen sind, um zusammen Himmelfahrt zu feiern. Durch den Wechsel ist eine Menge in Bewegung gekommen. Die Kollegen nehmen meiner Vertreterin Pfarrerin Andrea Paetel jetzt nach meinem Weggang auch Arbeit ab, ohne dass groß darüber gesprochen wird. Sie sehen das als Selbstverständlichkeit.

Gab es ein Projekt, dass Ihnen besonders am Herzen lag und Ihnen fehlen wird?

Unsere Musicals waren ein besonderes Erlebnis. Mit ganzen Generationen von kleinen Kindern bis hin zu Senioren haben wir in den neun Jahren vier Stücke überwiegend zu biblischen Themen erarbeitet. Das war Ausdruck dessen, wie ich mir eine Gemeinde vorstelle: Menschen unterschiedlicher Herkünfte und unterschiedlichen Alters sind miteinander im Gespräch und bringen das ein, was sie können und gern machen. Daraus entsteht dann ein großes Ganzes. Zudem zeigt sich so auch die Verbundenheit der Menschen mit der Kirche, für die ja leider nicht unbedingt der Gottesdienst Maßstab ist. Das musste ich anfangs auch lernen. Menschen suchen Punkte in der Kirche, bei denen sie sich selbst einbringen können. Gottesdienste sind einer, Projekte wie beispielsweise unsere Musicals, Glaubenskurse oder Fahrten sind andere.

Sie verlassen Werder in einer Zeit, in der einiges in Bewegung ist. Es gibt Ideen, auf eine Festmeile beim Baumblütenfest zu verzichten. Sie selbst waren mit der Kirche auf der Insel immer mitten im Fest. Können Sie sich Werder ohne die Festmeile vorstellen?

Ich bin kein Freund des Festes, was daran liegt, dass ich mittendrin wohne und die Zeit unerträglich fand. Trotzdem bin ich auch kein Gegner der Baumblüte: Wenn da tausende von Menschen kommen und feiern wollen, bin ich nur einer, der darunter leidet. Da kann ich in diesen Tagen auch mal zurückstecken. Ich bin gespannt, wie es künftig wird. Im Moment kann ich mir das nicht vorstellen: Ein Baumblütenfest ganz ohne die Festmeile.

Werden Sie regelmäßig nach Werder zurückkommen?

Unser jüngster Sohn bleibt mit seiner Mutter in Werder. Der ältere kommt mit mir mit nach Cottbus. Durch die Familie gibt es also schon eine enge Bindung an Werder. Außerdem sind mir die Stadt und viele Werderaner und Werderanerinnen in den letzten Jahren ans Herz gewachsen. Ich habe ausgesprochen gerne hier gelebt und werde zukünftig sicher immer wieder zu Besuch kommen.

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