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Zahlreiche Menschen mit Mund-Nasen-Schutz sind auf der Tauentzienstraße in Berlin unterwegs (Symbolbild).

© dpa/Christophe Gateau

Lungenarzt zum Ausweg aus der Pandemie: „Müssen hoffen, dass sich 100 Prozent der Bevölkerung mit Omikron infizieren“

Thomas Voshaar, Chefarzt einer Lungenklinik, sieht in einer Durchseuchung mehr Chance als Gefahr. Man könne Omikron nicht bremsen. Was sagen andere Experten?

Die Mehrzahl der Deutschen wird sich mit der Omikron-Variante des Coronavirus anstecken, ist Thomas Voshaar überzeugt. Man könne die Variante „kaum bremsen“, sagte der Chefarzt der Lungenklinik Bethanien in Moers (NRW) und Präsident des Verbands Pneumologischer Kliniken (VPK) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Freitagmorgen.

Er ging sogar noch weiter und sagte einen Satz, der polarisieren dürfte: „Wir müssen darauf hoffen, dass sich 100 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Omikron infizieren.“ Einen anderen Ausweg aus der Pandemie in einen endemischen Zustand gebe es nicht. „Wir müssen lernen, damit zu leben.“

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Die hochansteckende Omikron-Variante macht inzwischen 95 Prozent aller Infektionen mit dem Coronavirus in Deutschland aus, meldete das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem letzten Wochenbericht. Damit hat seit Jahresbeginn Omikron die Delta-Variante fast vollständig zurückgedrängt.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Virologe Christian Drosten warnen aktuell noch vor einer schnellen Durchseuchung. Zuvor müsste die Infektionswelle stark verlangsamt und die Zahl der Auffrischimpfungen gesteigert werden. Lauterbach rechnet im Februar mit Spitzenwerten von bis zu 400.000 Neuinfektionen pro Tag. Am Freitag zählte das RKI mehr als 190.000 Fälle.

Bei einer frühzeitigen Durchseuchung der Bevölkerung sei die Zahl der Opfer „sicherlich zu hoch“, warnte der SPD-Politiker in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Charité-Virologe Christian Drosten und RKI-Präsident Lothar Wieler Mitte Januar.

England und Dänemark beenden Corona-Maßnahmen

Anders ist die Situation in Spanien, Großbritannien und Dänemark: Dort bereiten sich die Regierungen bereits auf die Zeit nach der Pandemie vor. Mit der Rücknahme von Corona-Maßnahmen wird Omikron freie Bahn gelassen. Die spanische Regierung setzt sich dafür ein, Covid-19 zu einer endemischen Krankheit herunterzustufen.

England und Dänemark planen unterdessen Lockerungen bei den Corona-Maßnahmen. Der britische Premier Boris Johnson hatte vergangene Woche angekündigt, „gesetzliche Vorschriften durch Ratschläge und Empfehlungen zu ersetzen“.

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"Wir müssen lernen, mit Covid zu leben“, hatte der britische Gesundheitsminister Sajid Javid bereits Anfang des Jahres gefordert. Die Infektionszahlen sinken seit Jahresbeginn drastisch, nachdem sich täglich viele hunderttausend Briten täglich infiziert hatten. Seit Donnerstag muss in England keine Maske mehr getragen werden.

Dänemark will die Maskenpflicht Anfang Februar beenden. Bis dahin werde sich die Hälfte der Bevölkerung mit dem Coronavirus angesteckt haben, prognostizierte die dänische Virologin Lone Simonsen von der Universität Roskilde.

Dänemark wohl kurz vor Corona-Höhepunkt

Die Infektionszahlen seien weiterhin hoch, „aber nach unserer derzeitigen Einschätzung wird die Epidemie in naher Zukunft ihren Höhepunkt erreichen“, schrieb der dänische Gesundheitsminister Magnus Heunicke am Dienstag auf Twitter.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Dänemark lag am Donnerstag bei fast 5500. Deutlich über dem deutschen Wert, den das RKI am Freitag mit 1073 angab. Allerdings leben im nördlichen Nachbarland deutlich weniger Menschen. 51.000 Corona-Neuinfektionen zählten die Dänen in den vergangenen 24 Stunden – etwa ein Viertel der Fälle in Deutschland.

[Lesen Sie auch: "Kinder in der Omikronwelle: 'Belastungen durch Schulschließungen sind erheblich größer als die Gefahr durch das Coronavirus'" (T+)]

Dass die täglichen Fallzahlen in der Omikron-Welle nicht mehr die wichtigste Kenngröße sind, zeigte ein Tweet des dänischen Gesundheitsministers: „Wir haben die Hospitalisierungsraten gut unter Kontrolle“, schrieb er im Kurznachrichtendienst.

Spitzenbelastung in Krankenhäusern „aushaltbar“

Der gleichen Meinung ist auch Lungenfacharzt Thomas Voshaar im Interview mit dem Deutschlandfunk: „Es spricht nichts dafür, dass die Intensivstationen an ihre Grenzen kommen“. Die Belegung dort nehme kontinuierlich ab.

Angesichts der rasant steigenden Corona-Fallzahlen nannte Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters, die Lage auf den Intensivstationen am Freitag noch „akzeptabel“. Dennoch würde sich die Zunahme der Neuinfektionen auch langsam wieder auf die Hospitalisierungsrate auswirken.

Auf den Normalstationen müsste man die erwartbare Spitzenbelastung „für wenige Wochen“ aushalten, meint Vosharr. Und die Belastung sei auch auszuhalten, glaubt er. Dadurch käme Deutschland in der Pandemie „einen Riesenschritt weiter“.

Der erste Schritt sei bereits durch die Impfungen gegen das Coronavirus gelungen, der zweite müsse nun durch natürliche Infektionen geschehen. Das sei „unglaublich wertvoll“.

„Was bleibt, ist das rechnerische Kapazitätsproblem der medizinischen Versorgungseinrichtungen“, erwidert Torsten Bauer, Chefarzt der Lungenklinik Heckeshorn in Berlin und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP), auf Anfrage des Tagesspiegels.

[Lesen Sie auch: Müssen Omikron-Infizierte mit mehr Langzeitfolgen rechnen? (T+)]

Bauer betont, dass eine Infektion mit der Omikron-Variante zwar milder verlaufe als die drei Vorgängervarianten, aber ein massiver Anstieg an Neuinfektionen und Hospitalisierungen würde das Gesundheitssystem wieder da hinbringen, „wo wir nicht mehr hin wollten“.

„Wir müssen also noch ein wenig achtsam sein und das Impfthema weiter vorantreiben, weniger wegen der aktuellen Welle, sondern um vorbereitet zu sein auf die Saison 2022/23“, sagt der Chefarzt.

Drosten warnt vor „Impflücken“ in Deutschland

Auch Christian Drosten, Virologe an der Charité und Mitglied der Expertenkommission der Bundesregierung, sieht die Durchseuchung zum jetzigen Zeitpunkt noch kritisch. Mitte Januar sagte er: „Wir wissen im Moment nicht, ob wir uns das in Deutschland leisten können angesichts der Impflücken.“

Tatsache ist, dass Großbritannien und Dänemark bereits deutlich erfolgreicher sind mit ihren Impfkampagnen als Deutschland. Die Boosterrate in den beiden Ländern liegt bei über 60 Prozent. In Deutschland haben sich erst 52,2 Prozent der Bevölkerung eine Auffrischimpfung mit einem Corona-Impfstoff abgeholt. Auch in den besonders vulnerablen Gruppe der Älteren sind die Impfraten höher.

[Lesen Sie auch: Kurpaket für 9200 bis 62.000 Euro: Wie mit Long-Covid-Therapien das große Geld verdient wird (T+)]

Auf die Ungeimpften geht Voshaar in seinem Interview mit dem Deutschlandfunk gar nicht ein. In der Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen sind erst 8,6 Prozent der Personen zweifachgeimpft – 17,3 Prozent haben mindestens eine Corona-Impfung erhalten, meldet das RKI.

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Erst kürzlich schrieb Lauterbach auf Twitter: „Die Impfquote bei Kindern ist zu gering. Durchseuchung in den Schulen wäre riskant“. Der Expertenrat der Bundesregierung warnte erst Anfang Januar vor Engpässen „gerade im Bereich der Kinderkliniken“.

Und noch etwas anderes sprach Voshaar nicht an: Wenig erforscht sind auch die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion – auch Long- und Post-Covid genannt. 40 Prozent aller Infizierten hätten auch sechs Monate nach einer Erkrankung noch nicht ihre vorherige Leistungsfähigkeit erlangt, ergab eine Studie der Universitätsmedizin Mainz. Frauen seien besonders betroffen.

Bevor es Deutschland auf eine Durchseuchung ankommen lässt, gilt es also noch die „Impflücke“ so gut wie möglich zu schließen. „Wir gewinnen mit jedem Tag Zeit“ den Höhepunkt der Welle herauszuzögern, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag. Gelingt das, könne bereits für Ende Februar oder Anfang März mit Lockerungen der Corona-Maßnahmen begonnen werden, stellte Lauterbach in Aussicht. (mit AFP)

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