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Verunsicherung. „How long is Now?“, fragt die Autorin Peggy Mädler.

© Adrian Cook

Zwischen Optimismus und Angst: Wie wird die Pandemie die Rolle der Kultur verändern?

In der Textsammlung „Echoräume des Schocks“ versuchen Kulturschaffende das Ausmaß der Corona-Pandemie zu verstehen.

Es überrascht kaum: Auch am Anfang dieses Buches stand ein Ausfall. Geplant war eine Kulturpolitische Jahrestagung der Friedrich-Ebert-Stiftung für April, das Thema lautete „Gestaltung gesellschaftlicher Räume und Erkundung von Zukunft“ – schönster kulturpolitischer Allgemeinplatz.

In die Vorbereitungen hinein fiel der Lockdown und ließ das Thema konkreter werden, als die Veranstalter es sich je gedacht haben dürften. „Zukunft erkunden“, das ist in Zeiten existenzieller Sorgen für Kulturschaffende mehr als Phrase.

Statt einer Tagung gibt es nun eine Anthologie, die das Ausmaß der Corona-Pandemie für den kulturellen Sektor zu vermessen versucht: „Echoräume des Schocks. Wie uns die Corona-Zeit verändert“.

Als das Buch im Juli in den Druck ging, konnte man auf den Lockdown seit März schon fast wieder milde zurückblicken; jetzt befinden wir uns mitten drin im Teil-Lockdown Nummer zwei. Und auch die kurze Phase der Normalität auf Probe im Kulturbetrieb unter Corona-Bedingungen ist längst wieder Schnee von gestern.

Der anfängliche Schock im Frühjahr, die Härten der Doppel- und Dreifachbelastung von Menschen mit Familien in ihren Homeoffices, die (vergeblichen) Versuche, trotz der Umstände kreativ und produktiv zu sein – all das liest sich im November 2020 schon wieder wie Erzählungen aus alter Zeit.

Ankämpfen gegen die Müdigkeit

Gleichzeitig aber führen diese „vorgestrigen“ Beschreibungen angesichts steigender Infektionszahlen bitter vor Augen, was erneut droht. Allein deswegen lohnen die sehr persönlichen Tagebuchaufzeichnungen der Schauspielerin Salome Dastmalchi oder der Dramaturgin Peggy Mädler im ersten Teil des Buches durchaus.

„Mein Kopf verhungert“, notiert Dastmalchi, alleinerziehende Mutter eines Kindes im Kita-Alter im März. „Tagsüber kann ich nichts für die Arbeit tun. Abends bin ich zu müde.“ Der Text von Mädler stellt schon im Titel die Frage, die angesichts des zunächst bis Ende November erlassenen Teil-Lockdowns alle Kulturschaffenden umtreiben dürfte: „How long is Now?“

[Echoräume des Schocks. Wie uns die Corona-Zeit verändert. Herausgegeben von Franziska Richter, Dietz Verlag, Berlin 2020. 192 Seiten, 16 €.]

Die während des ersten Lockdowns entstandenen Fotos des Arno-Fischer-Schüler Andreas Rost zeigen eindrücklich, wie die Welt stillzustehen schien im Frühjahr 2020. Von Rost stammt auch der für die Kultur so schmerzliche wie bedenkenswerte Satz: „Mir ist bewusst, dass die Künste zwar einen wichtigen Platz im gesellschaftlichen Leben einnehmen, nicht aber zwangsläufig ,systemrelevant‘ sind.“

Lehren aus der Krise

Irgendwann in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft werden die Beiträge der Textsammlung vor allem als Zeitdokumente interessant sein. Anders die analytischen Essays vor allem im zweiten Teil des Buches, die die Frage nach den Lehren aus Krise stellen.

Die 14 „Vermutungen zur New-Normal-Kultur“ von Michael Schindhelm, in der Vergangenheit unter anderem Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, fassen die für die Kulturbranche befürchteten Folgen der Coronakrise nüchtern zusammen.

Zu erwarten sei „eine tiefe und langfristige Krise der Kulturfinanzierung“. Angesichts der absehbaren „immensen“ Staatsverschuldung sieht er „eine massive Korrektur der Kulturfinanzierung nach unten“ kommen.

Zu erwarten seien weiterhin: „Arbeitslosigkeit, Ausdünnung der Kulturlandschaft, Entfremdung von Kultur und Gesellschaft, Rückgang von Produktion, Rezeption und der sozialen Effekte von Kultur und kultureller Bildung“.

Wir wissen nicht was kommt

Anders als Kommunikationsexperte Thomas Mühlnickel, der in gewisser Hauruckmentalität an anderer Stelle im Buch schreibt, Solidarität werde infolge der Corona-Pandemie künftig „eine wichtigere Rolle“ einnehmen, diagnostiziert Schindhelm: „Am Ende wird es einen Kampf um Ressourcen geben.“

Zu befürchten sei „ein harter Überlebenskampf“ zwischen freier und institutionalisierter Kunst. „Innovative Kulturpolitik wird vor allem dafür sorgen müssen, dass Tradition und Institution nicht das Neue, Alternative und Nicht-Institutionalisierte an den Rand drängen.“

Die verhalten bis offen pessimistischen Überlegungen überwiegen in den 25 Beiträgen, die „Die Echoräume des Schocks“ versammelt hat. Auch das mag kaum überraschen. Anders als bisherige Versuche, die Folgen der Krise zu vermessen (etwa von Alexander Kluge oder Ferdinand von Schirach), lässt das Buch Raum für Zweifel, Unsicherheit – oder das schlichte Fazit: Was kommt, wir wissen es nicht.

„Das Virus ist unbeeindruckt von kraftmeierischem Auftreten“, schreibt die Autorin Tanja Dückers. In Zeiten der Bedrohung durch das Virus hätten sich jene Politikansätze bewährt, die auf Austausch, auch Demut vor der Problematik beruhten. Es schlage daher nun die Stunde der Frauen – und der leiseren unter den Männern. „Erst recht, wenn sie nicht gleich eine wasserdichte Theorie dazu haben, wie die Welt ,nach Corona‘ aussehen wird.“

Lena Schneider

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