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Zu Gast im Waschhaus: Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber

Gesellschaftskritisch, jiddisch und immer schön positiv problematisch: Daniel Kahn und The Painted Birds gastieren am Donnerstag im Waschhaus.

Von Helena Davenport

Potsdam - Sein Lehrer Avrom Lichtenbaum sagte einmal zu Daniel Kahn: Es gibt keine jüdische Kultur – es gibt jüdische Kulturen. Auf Jiddisch klingt das aber viel besser, fügt Daniel Kahn schmunzelnd hinzu. Man könnte meinen, der sympathische Typ mit Vollbart und Schiebermütze habe es sich zur Aufgabe gemacht, die jüdische Kultur stärker in den allgemeinen Fokus zu rücken – der Schauspieler und Musiker mit jüdischen Wurzeln, der 2005 aus den Staaten nach Berlin zog, singt und spielt unter anderem auf Jiddisch und ist Mitbegründer des jiddischen Kulturfestivals Shtetl Neukölln sowie Ensemblemitglied des Berliner Maxim Gorki Theaters.

Klezmer mit rotzigem Punk

Fragt man Daniel Kahn nach seiner Berufung, erhält man ein herausforderndes Lachen: „Ich lebe meine eigene Kultur.“ Und die sei auf eine Art jüdisch, ja, aber mit viel nicht-jüdischem Beiwerk. Im Waschhaus präsentieren The Painted Bird am Donnerstag ihre wilde Folkmischung. Michael Tuttle am Kontrabass, Christian Dawid mit Klarinette, Hampus Melin am Schlagzeug und Kahn selbst mit Akkordeon, mal mit Gitarre oder am Klavier – und immer mit tiefer Stimme. Im Mittelpunkt soll das neue und fünfte Album „The Butcher’s Share“ stehen, das vergangenen November erschien. Klezmer bildet das Fundament für teils rotzig-punkige Passagen. Von gelassen bis impulsiv – die Musik von The Painted Bird ist entschlossen, gleichzeitig eingängig und mit viel Gefühl.

Daniel Kahn, 39 Jahre alt, in Detroit aufgewachsen und seit seinem zwölften Lebensjahr auf Bühnen unterwegs, liebt es, Erwartungen zu sprengen und Dinge „zu verkomplizieren“, wie er selbst sagt. „Positiv-problematisch“ nennt er antagonistische Begegnungen, die aber durchaus produktiv sind. „Die schönste Musik, die schönste Kunst entsteht oft in einem Grenzbereich“, sagt Kahn. Kein Wunder, dass sich in seiner Musik so einige Gegensätze mischen. Auch auf dem neuen Album fließen Englisch, Deutsch und Jiddisch wie selbstverständlich ineinander. Während sich auf dem vorigen Album von 2012 Leonard Cohen und Heinrich Heine begegneten, treffen auf „The Butcher’s Share“ Texte des jiddischsprachigen Schriftstellers David Edelstadt aus dem späten 19. Jahrhundert auf Songtexte von Sängerin Adrienne Cooper und Liedermacher Josh Waletzky. Auch ein Text von Hirsh Glick, der Partisanenhymnen gegen die NS-Terrorherrschaft verfasste, kommt in Liedern von The Painted Bird vor. Und natürlich viele Texte von Kahn selbst.

Texte an der Wand

Jiddisch begann Kahn zu lernen, als er nach Berlin kam. Die Sprache widerspreche der Definition einer Einheit, stattdessen sei sie transnational und flexibel. „Positiv problematisch!“ – Kahn grinst. Neuerdings lässt die Band ihre Texte während ihrer Auftritte hinter sich an die Wand projizieren. Der Inhalt soll unbedingt verstanden werden. Dazu gibt es die holzschnittartigen, apokalyptischen und zugleich humorvollen Illustrationen des US-amerikanischen Zeichenkünstlers Eric Drooker zu sehen, die auch das Booklet zum neuen Album bebildern.

Zu dem Titelsong von „The Butcher’s Share“ gehört die Zeichnung eines Schweins, das sich selbst als Sparschwein in seinem Spiegelbild wiederfindet. Darüber steht der von Bertolt Brecht adaptierte Slogan „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber“. Mit geballter Gesellschaftskritik, auch mit ein bisschen Marx, geht es im Lied weiter. Der Metzger erledigt die Drecksarbeit und alle dürfen sich sicher fühlen – so der Tenor. Auch im Song „Freedom is a verb“ stellt Kahn den Wohlstand infrage. So eingängig und tanzbar die Melodie ist, so scharf scheint der Zorn zu sein, der Kahn zur Komposition bewegt hat.

Bessere Fragen an uns selbst

Vier der neuen Stücke entstanden für die Gorki-Produktion „Feinde“, die sich um einen Polen dreht, der die Verfolgung durch die Nationalsozialisten nur knapp überlebt hat. „No One Survives“ ist Kahns Antwort auf die Frage: Kann ein Mensch Krieg überleben? Rassismus sei ein Gift – ob nun Antisemitismus oder Islamophobie. Was er zu der Diskussion um ein Gesetz, das Schüler dazu verpflichtet, ein ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen, sage? Bei der Vorstellung, dass die Worte Zwang und KZ dabei eine Verbindung eingehen würden, liege ihm nur ein schlechter Witz auf der Zunge. Einfach an einen dieser Orte zu gehen, bringe nichts: „Wir müssen bessere Fragen an uns selbst stellen“, sagt Kahn. „Und wir sollten uns nicht trennen lassen.“

Daniel Kahn and the Painted Bird spielen am Donnerstag um 20 Uhr im Waschhaus, Schiffbauergasse 6

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