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"Jetzt sind wir dran", so hieß im August 2020 die Open-Air-Eröffnung des Hans Otto Theaters. Das wäre im momentan nicht erlaubt.

© Manfred Thomas

Update

Wie Potsdams Kultur auf die Notbremse reagiert: „Die Spielzeit ist jetzt gelaufen“

Die Bundesnotbremse trifft auch die Potsdamer Kultur hart: Viele hatten auf Open-airs gesetzt. Umsonst. Das sorgt für Trauer, Wut – nicht jedoch für Sympathie für #allesdichtmachen.

Potsdam - Stolpern, weinen, weitermachen. So beschreibt Bettina Jahnke, Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters, wie sie mit der Bundesnotbremse umgeht. Natürlich sei auch sie enttäuscht gewesen. Auch wütend, auch traurig. Darüber, dass in der Passage zur Kultur nicht mehr differenziert worden, nicht zwischen Drinnen- und Draußenbespielung unterschieden worden sei. Darüber, dass das neue Infektionsschutzgesetz einen „um die letzte Hoffnung gebracht“ habe, diese Spielzeit doch noch irgendwie zu retten.

„Die Spielzeit ist jetzt gelaufen“, sagt Jahnke. Das Gesetz besagt, dass Veranstaltungen ab einer Inzidenz von 100 untersagt sind – auch open air. Eigentlich sollte die Theatersaison zum Ende hin noch mit zwei Freiluftpremieren glänzen: am 7. Mai „Genie und Verbrechen“ von George F. Walker im Gasometer und am 5. Juni „Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni auf der Seebühne. 

Hoffen auf den August - und die Impfungen

Die Mai-Premiere ist nun abgesagt – mit der vagen Option, sie vielleicht im Juni nachzuholen. So die Inzidenz es erlaubt. Am 26. Juni dann ist ohnehin Schluss: Spielzeitpause. Jahnke hofft, „Diener zweier Herren“ immerhin im August vier Wochen lang nachholen zu können. Und in der kommenden Spielzeit? „Dann sind wir alle hoffentlich geimpft.“ 

Weggekämpfte Apathie, Trauer, Wut: Die Reaktionen auf den fortdauernden Lockdown für die Kultur haben viele  Formen. Seit dem satirisch gemeinten Youtube-Protest gegen die Corona-Maßnahmen unter dem Hashtag #allesdichtmachen gehört jetzt auch die Kategorie verunglückte Satire dazu. Auch Potsdamerinnen sind dabei, die Schauspielerinnen Nadja Uhl und Nina Gummich. Der Potsdamer Christian Ulmen erfand aber auch den Hashtag, unter dem der Aktion in den sozialen Netzwerken scharf widersprochen wird: #allesschlichtmachen.

Nina Gummich und eine verunglückte Protest-Satire

Nina Gummich posiert in ihrem Video unter behaglichem Klaviergeklimper am Fenster und sagt: „Ich mache mich stark für die Meinungsfreiheit. Deshalb habe ich mich in den letzten Monaten Stück für Stück von einer eigenen Meinung befreit.“ Für alle sei es doch besser, einfach wiederzugeben, „was uns von der Bundesregierung aufgetragen wird.“ 

Worauf zielt dieser missglückte Satireversuch ab? Neigen Regierungsbashing, Hohn über Solidarität und Schweigegebot nicht bedenklich in Richtung verschwörungtheoretisches Querdenkertum? Das würde man sie gerne fragen. Reden möchte Nina Gummich darüber aber nicht. „Das ist Kunst und muss für sich stehen können.“

Cui bono #allesdichtmachen?

Bettina Jahnke teilt das Unbehagen mit dem neuen Gesetz – aber #allesdichtmachen empört sie. Die Aktion zeuge nicht von Ironie, sondern von purem Zynismus. „Und letztlich muss man sich immer fragen: Cui bono – wem nützt es?“ Am meisten ärgert sie, dass der Protest sich nicht um produktive Lösungen schert. Anders als Akteure der Kulturszene, die in den letzten Monaten immer wieder neue Formate aus dem Boden stampften. 

Die Macher:innen am Waschhaus zum Beispiel. „Sofern die Infektionszahlen weiter steigen, werden wir Open-Air-Veranstaltungen nicht durchführen können“, sagt Mathias Paselk, Leiter des Waschhauses. Er wollte im Mai ein Freiluftprogramm auf den Weg bringen. 

Versuche, optimistisch zu sein

Jetzt sei eine Planung „fast unmöglich, da wir permanent Veranstaltungen quasi auf stand-by haben müssten. Insofern steht tatsächlich ein großer Teil des Sommerprogramms auf der Kippe.“ Dennoch müht er sich um Optimismus: „In der Hoffnung, dass die Impfungen voranschreiten, müssen wir optimistisch bleiben und abwarten.“ 

Fest entschlossen optimistisch zeigt sich das Festival Lit:Potsdam, das Anfang Juni live beginnen will. „Wir vertrauen fest darauf, dass die Wirksamkeit der nun beschlossenen ‚Notbremse' in den kommenden Wochen anschlägt“, lässt Vereinsvorsitzender Richard Gaul wissen.

Scharfe Kritik von Nikolaisaal und fabrik

Schärfere Kritik ist aus dem Nikolaisaal und der fabrik zu hören. „Wir müssen es sicherlich schon als Sieg verbuchen, dass wir nun auf einer Ebene mit den Zoos stehen und nicht mehr – wie anfänglich – über oder unterhalb der Prostitution“, sagt Heike Bohmann, Geschäftsführerin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. 

Die Festspiele hatten ihre Saison zum 30. Jubiläum bereits absagen müssen. „Dass Kultur in Deutschland einen sehr geringen Stellenwert hat, ist glaube ich spätestens jetzt jedem klar geworden. Es ist der Kultur noch nicht gelungen ,ihren Wirtschaftsfaktor zu verdeutlichen.“ Sie schlussfolgert: „Was wir derzeit verlieren – wirtschaftlich, kulturell, gesellschaftlich – wird erst viel später klar werden.“ 

Fehlende Perspektiven

Auch die fabrik hatte 30 Jahre Tanztage feiern wollen. „Wir haben die Termine mit Präsenz-Veranstaltungen vor Publikum im Mai und Juni längst aufgegeben“, sagt Leiter Sven Till. Co-Chefin Sabine Chwalisz ergänzt: „Wir hatten uns vom Gesetz mehr Klarheit erhofft, auch hinsichtlich der zeitlichen Verläufe. Diese stellt sich nicht ein.“ 

Was ihr ebenso fehlt wie Mathias Paselk, Heike Bohmann und Bettina Jahnke: Perspektive. „Da fehlen ganz klar Ideen, die Kultur möglich machen“, sagt sie. „Das hat aber offensichtlich keine Relevanz für die Betrachtung. Die Kultur ist hier kein Bereich, der zum gesellschaftlichen Wohl mit bedacht wird.“

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