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"Das Netz - Die Wildform ist ein Kosmopolit" ist eine multimediale Performance zwischen Kunst und Wissenschaft auf dem Telegrafenberg. 

© Andreas Klaer

Wandeln zwischen Kunst und Wissenschaft: Vom Pilz lernen

Tanz, Musik, Physik: Der Potsdamer Regisseur Philip Baumgarten will Kunst und Wissenschaft zusammenbringen - in einer Wandelperformance mit Forschern auf dem Telegrafenberg. 

Potsdam - Drei Füße finden sich. Die Zehen umspielen einander, stoßen sich weg, finden sich neu. Die Füße gehören den Tänzer:innen Laura Giuntoli, Oliver Pollak und Abraham Iglesias Rodriguez. Sie balancieren, einbeinig, auf der Terrasse vor dem architekturgewordenen Inbegriff des Wissenschaftsstandortes Potsdam: dem Einsteinturm. Die Performer-Zehen verhaken sich wie Wasserpflanzen, oder wie Wurzelwerk. „Das“, sagt Regisseur Philip Baumgarten und meint die choreografische Figur, „nennen wir unseren Pilz“.

Noch proben die drei, es läuft Pausenmusik. Am Donnerstag (8. Juli), wenn es ernst wird, wird eine Harfe zu hören sein, ein Kontrabass, über eine Soundanlage elektronische Beats, und eine Sängerin wird das Madrigal „Weep, o mine eyes“ singen. „Eine Polyphonie“, sagt Lena Langer. Sie ist Dramaturgin bei diesem Projekt, das auch insgesamt einen Vielklang darstellen wird. Tanz trifft Musik, Videokunst – und Physik. Und Kunst trifft Wissenschaft. Alles soll ineinander verwoben werden, wie die Zehen der Tänzer am Einsteinturm. 

Dramaturgin Lena Langer und Regisseur Philip Baumgarten suchen Querverbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft.
Dramaturgin Lena Langer und Regisseur Philip Baumgarten suchen Querverbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft.

© Andreas Klaer

In Zeiten abstrakter Datennetzwerke von der Natur lernen

„Das Netz“, so heißt das Projekt. Untertitel: „Die Wildform ist ein Kosmopolit“. Netz und kosmopolitische Existenz, das klingt nach Digitalität, nach Internet. Darum aber geht es hier nicht, oder nur am Rande. Philip Baumgarten und sein Team haben sich von Netzen inspirieren lassen, die viel, viel älter sind und ebenso weltumspannend. Sie wollen in Zeiten abstrakter Datennetzwerke von der Natur lernen. Nicht zuletzt vom Pilz. 

Denn gerade an Pilzen zeige sich, was die Natur so gut kann, sagt Baumgarten: auf ihr eigenes Fortbestehen achten. Symbiosen einrichten, von denen alle profitieren. Fliegenpilz und Birke zum Beispiel können nicht ohne einander. Davon könnte sich der Mensch etwas abgucken, sagt Baumgarten, auch in Bezug auf die Klimakrise. Akzeptieren, dass man manches nicht alleine kann. Und dabei nicht von der Moral her denken, sondern vom Nutzen. Auch das kann Natur gut. Sie kennt nur Eigennutz, will einfach nur leben. 

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Netzexperten vom Institut für Astrophysik

Die Wandelperformance „Das Netz“ will erkennen, wie das große Ganze zusammenhängt, nicht weniger – künstlerisch und wissenschaftlich. Der Telegrafenberg ist dafür der perfekte Ort. Hier befindet sich das Herz von Potsdams Wissenschaftsexpertise, vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bis zum Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. Auch von Letzterem hat sich Philip Baumgarten Netzexperten an Bord geholt. 

Die Wissenschaftler:innen Elena Sacchi und Guillaume Guiglion etwa forschen zum größten Netz überhaupt, dem kosmischen Netz: Es wirkt vor allem mittels Schwerkraft und hält sehr weit entfernte Galaxien zusammen. Und auch an anderer Stelle bedienen sich die Physiker:innen eines Netzsystems, nämlich künstlichen Neuronennetzen. Deren Funktionsweise ist dem menschlichen Gehirn nachempfunden – eine Art Statistikwerkzeug, um Aussagen über die Struktur einer ganzen Galaxie zu machen. 

Was Wissenschaft und Kunst gemeinsam haben

Sacchi und Guiglion sind zwei von fünf Wissenschaftler:innen, die sich an „Das Netz“ beteiligen. Sie haben Vorträge über ihre Arbeitsschwerpunkte ausgearbeitet, die sie an verschiedenen Stationen auf dem Telegrafenberg vortragen werden. Über Galaktische Archäologie, Erderwärmung und die Lithosphäre, die tektonischen Platten der Erde. 

Von all dem hatten auch Langer und Baumgarten wenig Ahnung, bis sie sich mit sich für „Das Netz“ damit beschäftigten. Jetzt benutzen sie die Begriffe, als hätten sie nie etwas anderes getan. Und sie haben entdeckt, dass Wissenschaft und Kunst sich oft nah sind. „In der Forschung wie in der Kunst weiß man am Anfang einer Arbeit nicht, was am Ende dabei rauskommt“, sagt Baumgarten. 

Bereit für die große Bühne

Auf das Theater bezogen gibt es eine weitere Nähe: Beide arbeiten mit Stellvertretern, um das Unsichtbare sichtbar zu machen. In der Wissenschaft sind das zum Beispiel Zahlensysteme. Im Theater sind es die Darsteller:innen auf der Bühne, die Geschichten stellvertretend ausagieren.

Wie das auf dem Telegrafenberg aussieht, wird man auf drei Wegen quer durch den Wissenschaftspark erkunden können. Im letzten Jahr haben Baumgarten und Langer ein ähnliches Projekt hier gestemmt, kleiner. Jetzt sind sie bereit für die große Öffentlichkeit. „Das Netz ist letztlich eine Frage“, sagt Philip Baumgarten. „Was kommt nach dem Internet?“, könnte diese lauten. Oder: Wie genau sähe das aus: von den Pilzen lernen?

„Das Netz. Die Wildform ist ein Kosmopolit“, 8. bis 11. Juli sowie 17. bis 19. September je 19.30 Uhr auf dem Telegrafenberg. Teilnahme nach vorheriger Anmeldung per Mail an: wissensspaziergang@gmail.com

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