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Das Düsseldorfer Schauspielhaus ist eine Ikone der Architekturmoderne. Oberbürgermeister Thomas Geisel wollte es an Investoren verkaufen.

©  Monika Skolimowska/dpa

Vor der Landtagswahl: Kulturpolitik in NRW: Brot und Planspiele

Kulturpolitik hat es in Nordrhein-Westfalen seit jeher schwer. Ein Blick an den Rhein und an die Ruhr vor der Landtagswahl am Sonntag.

Die Ministerpräsidentin von Nordrhein- Westfalen lässt sich bei Kulturereignissen so gut wie nie blicken. Nur zur Eröffnung der Ruhrtriennale, jenes experimentellen Edel-Festivals, das unter dem grünen Kulturminister Michael Vesper aus der Taufe gehoben wurde, gibt sich Hannelore Kraft regelmäßig die Ehre. Ansonsten macht die Ministerpräsidentin keinen Hehl aus ihrer Kulturferne. Im Gegenteil, aus Landtags-Kreisen hört man, dass ihr Tonfall demonstrativ ins Genervte wechselt, wenn sich Kulturthemen aufdrängen. Kultur ist für die SPD-Frau elitär und daher lästig.

Ihr Parteigenosse Gerhard Schröder tat aus seiner Sicht nebensächliche Themen, etwa Frauen, als „Gedöns“ ab. Mussten halt irgendwo untergebracht werden. So hält es die rot-grüne Landesregierung von NRW seit ihrem Regierungsantritt 2010 auch mit der Kultur. Musste irgendwo untergebracht werden und landete in einem Gemischtwaren-Ministerium an vorletzter Stelle: Im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport fristet die Kultur notgedrungen ein bescheidenes Dasein. Unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gab es noch einen Kulturstaatssekretär, der direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt war. Er und Rüttgers hatten während der schwarz-gelben Regierungszeit den Kulturetat verdoppelt und unter anderem Projekte wie JEKI (Jedem Kind ein Instrument) auf den Weg gebracht.

Doch auch die rot-grüne Regierung hat den Kulturetat erhöht, immerhin auf 201 Millionen Euro. Oliver Keymis, kulturpolitischer Sprecher der Grünen, Landtags- Vizepräsident und als gelernter Theaterregisseur erklärter Anwalt der Hochkultur – nicht selbstverständlich in seiner eher der Off-Kultur zugeneigten Partei – ist indes mit der Kulturpolitik der vergangenen sieben Jahre gebremst zufrieden: „Die Bilanz ist nicht so schlecht. Wir haben einiges auf den Weg gebracht, wie etwa das bundesweit einmalige Kulturfördergesetz. Das ist ein Meilenstein.“

Ministerin Kampmann: überfordert und unsichtbar

Das Kulturfördergesetz soll den Verfassungsauftrag zur Förderung von Kunst und Kultur konkretisieren. Kritiker monieren, dass es nicht bindend sei und es deshalb an Druck mangele. Ähnlich verhält es sich mit dem Theaterpakt II, geplant als Neuauflage von Theaterpakt I, der die notorisch klammen Bühnen mit zusätzlichen 4,5 Millionen Euro jährlich unterstützen sollte und nun aufgestockt werden soll. Aber noch ist nichts beschlossen, noch tingelt die 2015 überraschend aus der westfälischen Provinz geholte Ministerin Christina Kampmann mit dem Pakt auf Stimmenfang durch die Lande.

Die Personalie Kampmann ist Teil des kulturpolitischen Problems in Nordrhein-Westfalen. Zwar wurde bereits 2010 ihre Vorgängerin Ute Schäfer ähnlich harsch als „Fehlbesetzung“ und „unfähig“ im Amt begrüßt, doch Schäfer erarbeitete sich Respekt und entpuppte sich schließlich als zähe Kämpferin, die auch den Konflikt mit der Ministerpräsidentin nicht scheute. Das wurde ihr wohl zum Verhängnis, denn Insider vermuten in der Besetzung der von Kultur gänzlich unberührten Christina Kampmann ein strategisches Manöver von Hannelore Kraft. Kampmann ist offensichtlich überfordert, bietet kaum Widerstand und ist inzwischen dafür bekannt, wichtige Termine kurzfristig abzusagen. „NRWs unsichtbare Kulturministerin“ titelte kürzlich die „Welt am Sonntag“ über sie.

„Sie hat andere Schwerpunkte und das merkt man auch“, gibt Kulturmann Keymis zu. „Neben nachhaltigen Fortschritten und Erfolgen gab es sehr wohl auch ein paar peinliche Dellen in der Bilanz“. Der grüne Politiker spielt an auf die Versteigerung herausragender Werke Andy Warhols aus dem Besitz der landeseigenen Casino-Gesellschaft Westspiel und den angekündigten Verkauf der gesamten Kunstsammlung der ehemaligen Landesbank WestLB, die nach der Finanzkrise in der Rechtsnachfolgerin Portigon aufging. Als bekannt wurde, dass mit größter Selbstverständlichkeit Werke aus öffentlichem Besitz, die von verantwortungsbewusster Kulturpolitik gehegt und gepflegt werden müssten, umstandslos verhökert werden sollten, ging ein Aufschrei durchs Land, der bis zur „New York Times“ hallte.

Als der Druck aus dem Ausland zunahm, war die Ministerpräsidentin verblüfft

Der massive Druck der Öffentlichkeit aus dem In- und Ausland sorgte immerhin dafür, dass die offenbar erstaunte Ministerpräsidentin einknickte und der Rest der Sammlung für NRW gerettet wurde. Als weiteren Kritikpunkt nennt Keymis die Kürzung der Denkmalpflege um 17 Millionen Euro auf kümmerliche neun Millionen und ein Darlehenssystem. „Diese Maßnahme war total falsch“, sagt Keymis, dessen Partei den Denkmalschutz als heimatprägend ins Wahlprogramm aufgenommen hat. Den Kulturetat wollen die Grünen in der kommenden Legislaturperiode verdoppeln. Was mutig klingt und auch bei SPD und CDU als wünschenswert gilt, könnte allerdings gute Absicht bleiben, denn noch ist nicht sicher, ob die Grünen es bei der Wahl am Sonntag wieder in den Landtag schaffen.

Um bei den Pannen zu bleiben: Zu den Schätzen der Ex-WestLB gehörte auch eine Stradivari, die der in Duisburg geborene Stargeiger Frank-Peter Zimmermann mehr als zehn Jahre als Leihgabe spielte und dann – unter heftigen Amputationsschmerzen, wie er klagte, und wiederum heftigem Protest der Kulturszene – abgeben musste. Inzwischen hat er die „Lady Inchiquin“ wieder. Solcherart unwürdige Manöver erinnern an Basar-Gepflogenheiten und beleuchten nicht nur das Versagen der Kulturpolitik. Sie unterstreichen auch eine bemerkenswerte Instinktlosigkeit der politischen Szene, in der es die Kulturleute sogar in den eigenen Reihen schwer haben. „Wer Karriere machen will, geht nicht in den Kulturbereich“, sagt der kulturpolitische Sprecher der SPD, Andreas Bialas.

Warum nicht einfach das Düsseldorfer Schauspielhaus verkaufen?

Von Kultur genervt. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Von Kultur genervt. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

©  Thilo Schmuelgen/dpa

Mit Kultur schmückt man sich, wenn es zur Tagesordnung passt. Das lebt auch der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt exemplarisch vor. Als der SPD- Mann Thomas Geisel 2014 ins Rathaus einzog, gab er sich noch kulturaffin, und die Kulturfreunde hofften auf bessere Zeiten. Nach kurzer Zeit riss Geisel das Ruder herum, er steckt nun alle Energie in den Traum, Düsseldorf zur Sportstadt hochzujazzen und bewegt sich in der Kulturszene wie der berüchtigte Elefant im Porzellanladen. Gern leitet er seine Planspiele mit dem Satz ein „Es darf keine Denkverbote geben“ und stellt unbekümmert ganze Institutionen zur Diskussion: Das Düsseldorfer Schauspielhaus, eine Ikone der Architekturmoderne und das einzige Haus in NRW, an dem das Land finanziell beteiligt ist, befindet sich in aufwändiger Sanierung Wie immer wird es teurer als ursprünglich geplant. Geisel schlug vor, es an Investoren zu veräußern.

Dann wollte er die traditionsreiche Kunsthalle, einen Hort der Avantgarde, an das inhaltlich völlig anders ausgerichtete Museum Kunstpalast andocken. Nun will er das Theatermuseum schließen. Insider munkeln, dass Geisel Kulturinstitutionen vor allem als Immobilien in erster Lage betrachtet, die man gewinnbringend veräußern oder abreißen und mit dem immergleichen Architektenteam neu bebauen kann. Wenn er so weitermacht, geht er als Kulturkürzer in die Annalen der Stadt ein.

Ein Kulturbaustelle ganz anderer Art haben indes die Nachbarn in Köln. Auch dort wird mit der Oper ein großes Haus umgebaut – und wie in Berlin verzögert sich die Fertigstellung um mehrere Jahre. Die Stadt liegt deshalb im Rechtsstreit mit der inzwischen entlassenen Planungsfirma. Dort scheint aber zumindest die Stadtspitze hinter ihrem Hochkulturtanker zu stehen.

Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins: Kommunen nicht handlungsfähig

In Düsseldorf setzt Oberbürgermeister Geisel die Instinktlosigkeit hingegen zeitversetzt fort, während die Landesregierung sich nach den Skandalen zumindest etwas sensibilisiert zeigt. Marc Grandmontagne ist seit Anfang des Jahres Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins; als ehemaliger Chef der Kulturpolitischen Gesellschaft zeigt er sich auch mit Blick auf die Vorgänge um das Düsseldorfer Schauspielhaus besorgt über den Verfall der politischen Sitten: „Der ganze Vorgang zeigt auch, dass die Hemmschwellen fallen. Der kulturelle Konsens vor Ort bedarf der steten Neubegründung. Die Debatte muss aber sachlich geführt werden.“

Grandmontagne ist als Interessenvertreter der Theater an einer Schaltstelle tätig und weiß: „Die Kulturpolitik hat in Nordrhein-Westfalen einen schweren Stand. Wenn man sich neben dem 200-Millionen-Kulturbudget des Landes allein das Kulturbudget der Landeshauptstadt anschaut mit etwa 130 Millionen, dann weiß man die Relationen einzuschätzen. Das Land muss sich viel deutlicher engagieren.“ Das sei nicht nur eine Geldfrage, sondern eine des mittelfristigen Nachdenkens über die Theater. Die Kommunen, so Grandmontagne, seien die eigentlichen Akteure, aber zum großen Teil eben nicht handlungsfähig. Dabei sei „die Kommune die wichtigste Ebene der Demokratie und deren Handlungsfähigkeit ist sehr wichtig für die kulturelle Daseinsvorsorge“.

Je näher die Wahl rückte, desto deutlicher wurde, dass CDU und SPD nahezu gleichauf liegen und die CDU mit ihrem Kandidaten Armin Laschet vielleicht sogar an Hannelore Krafts SPD vorbei ziehen wird. Wenn die CDU die Nase vorn hat, wird das Gedöns-Ministerium in seiner heutigen, fünfgliedrigen Form aufgelöst, denn CDU – und Grüne – plädieren für die Wiedereinführung eines eigenen Kulturstaatssekretärs. Selbst die SPD gibt inzwischen zu, dass man sich die Verteilung der Ministerien auch ganz anders vorstellen kann.

Von Regine Müller

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