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Von Jana Haase: Chronik in Stein

Neu gehauene Barock-Figuren für das Stadtschloss? Das funktioniert nicht, sagt der Potsdamer Bildhauer Marcus Golter. Bei einem Projekt in Halle zeigt er, wie Neues mit Altem harmonieren kann

Es war ein pikanter Auftrag, aber Hans von Schönitz sollte der Richtige dafür sein. Der Bauunternehmer und Finanzier hatte dem Kardinal schon mehr als einmal nicht nur Gold und prächtige Neubauten, sondern auch schöne Frauen organisiert, wie man sich in Halle längst flüsterte. Doch diesmal war es anders. Die Opernsängerin, die Schönitz in seiner Kutsche aus Italien in die Saalestadt holte, machte auch auf ihn Eindruck. Als Schönitz seinem Gönner und Freund, dem Kardinal Albrecht von Brandenburg, die Geliebte schließlich ausspannte, machte der kurzen Prozess. Unter dem Vorwand der Hinterziehung von Geldern wurde Schönitz zum Tode verurteilt und an einem Sommertag des Jahres 1535 am Galgen erhängt.

Mit Schönitz’ Familiengrab hat der Potsdamer Bildhauer Marcus Golter vor 14 Jahren auf dem Hallenser Stadtfriedhof ein Projekt begonnen, das bis heute nicht abgeschlossen ist – und das auch Impulse für die Gestaltung des Potsdamer Landtagsschlosses geben kann. Dabei waren am Anfang alle skeptisch, nicht nur die Denkmalpfleger. Am Ende aber haben sie dem Potsdamer Künstler sogar einen Preis verliehen, den Peter-Parler-Preis der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Vor drei Jahren erhielt Golter die Auszeichnung für seine Arbeiten auf dem Hallenser Friedhof. Dort versieht er die im Krieg zerstörten und zu DDR-Zeiten weiter verwahrlosten Gruft-Bögen mit neuen, modernen Reliefs.

Ortstermin in Halle, es ist ein trüber Herbsttag. Für einige Wochen im Jahr hat Marcus Golter hier einen Arbeitsplatz, wie man ihn sich idyllischer kaum denken kann. Wenige Minuten vom Markt entfernt bleibt der Lärm der Stadt hinter den hohen Friedhofsmauern außen vor. Eichhörnchen und Füchse kann man hier beobachten, Besucher sind selten.

Marcus Golter legt Beizeisen und Knöpfel beiseite und steigt von seinem Gerüst vor dem Gruft-Bogen mit der Nummer 11. Ein Eichenblatt schält sich schon aus dem Pfeiler, die schematischen Köpfe darunter – ein wiederkehrendes Motiv in Golters bildhauerischem Werk – sind auf den flachen Stein gezeichnet. Sie sollen in den nächsten Wochen Form annehmen. Fehler kann sich der 44-Jährige nicht leisten. Im Obernkirchner Sandstein wären sie nicht auszuradieren. Der Friedhof ist nicht nur Stein gewordene Chronik der Stadt, sondern auch ein begehbares Lehrbuch für Kunstgeschichte. Mühelos deutet Golter beim Rundgang die stummen Steine, berichtet von Lebensgeschichten, macht aufmerksam auf Details. 1529 von Kardinal Albrecht von Brandenburg geweiht, gilt der von einer Arkadenreihe umschlossene Stadtgottesacker heute als eine der bedeutendsten Renaissance-Anlagen nördlich der Alpen. Die Arkadenbögen, durchnummeriert von 1 bis 94, wurden nach und nach an vermögende Hallenser Familien und Bürger verkauft. Reliefs und Inschriften erinnern an sie und veranschaulichen gleichzeitig die Entwicklung der Bildhauerei. Von der antik-strengen Renaissance-Symbolik über die ungebändigt-ausladende Barock-Ornamentik, die Golter Schwärmen lässt, hin zum Klassizismus der napoleonischen Zeit. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Friedhof der einzige Grabplatz der Universitätsstadt. Professoren, Mediziner und Kaufleute liegen hier begraben, der Frühaufklärer ChristianThomasius, der Weltumsegler Johann Reinhold Forster oder die Eltern des Komponisten Georg Friedrich Händel.

Und Victor von Schönitz, Sohn des erhängten Bauunternehmers. „Ich habe alles über Schönitz gelesen, was ich finden konnte“, erinnert sich Marcus Golter an seine erste Arbeit. Reliefs, Inschriften und das Wappen am Gruft-Bogen mit der Nummer 13 wurden seine Diplomarbeit an der Hallenser Kunsthochschule Burg Giebichenstein.

Dass seine Entwürfe aber tatsächlich das Atelier verlassen würden, war lange unklar. Denn Golter legte seine Arbeit modern an. „Ich wollte dem Alten etwas Neues hinzufügen, und zwar so, dass es miteinander korrespondiert.“ So greift er beispielsweise das Motiv der schneckenartig gedrehten Voluten in seinen Entwürfen auf, lässt statt floralem Rankwerk jedoch die immer gleichen Gesichter an streng horizontalen Blattstäben „wachsen“. Ein Sinnbild für die Generationen von Verstorbenen, die unter dem Bogen ruhen. Auch das Schönitz-Wappen kommt „entrümpelt“ daher: Es zeigt eine aus dem Gleichgewicht geratene Waage, als Anspielung auf das geschehene Unrecht.

Doch das waren keine Vorschläge, die den Denkmalschützern unmittelbar einleuchteten. „Da war viel Überzeugungsarbeit nötig“, sagt Golter. Unterstützung bekam er von seinem Professor, dem Bildhauer Bernd Göbel. Zwei Jahre dauerte das Pilotprojekt. Golter fertigte ein verkleinertes Modell in Gips, dann ein Modell in Originalgröße, dann eine Ausführung in Stein, immer in Rücksprache mit den Denkmalschützern. Am Ende stimmten sie dem Vorhaben zu.

Seitdem schreibt Golter die steinerne Chronik des Stadtgottesackers weiter – und ist mittlerweile nicht mehr allein damit, vier weitere Absolventen der Hallenser Kunsthochschule beteiligen sich. Gut die Hälfte der 27 im Krieg zerstörten Bögen konnte so bereits erneuert werden. Ein Förderverein, der sich seit der Wende um die Instandhaltung des vorher völlig verwahrlosten Friedhofs kümmert, sammelt Spenden zur Finanzierung und hat eine potente Mäzenin aus den alten Bundesländern gefunden. Auch vom Hallenser Rathaus bekommt der Potsdamer Bildhauer Unterstützung. Und durch den Preis der Stiftung Denkmalschutz erregte er 2007 auch über die Stadtgrenzen hinaus bundesweit Aufsehen.

Besonders aufmerksam verfolgt Marcus Golter derzeit die Debatte um den Bau des Landtagsschlosses in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Das Knobelsdorff-Schloss war einst von 76 Attika-Figuren der Barockbildhauer Johann Gottlieb und Leonhard Storch gekrönt. Doch ein Großteil von ihnen ist zerstört. Und ob die acht bereits seit Jahrzehnten auf der Berliner Humboldt-Universität aufgestellten Originale nach Potsdam zurückkehren, ist mehr als ungewiss. Berlin will, wie berichtet, die Figuren am liebsten behalten und Potsdam nur Kopien geben.

Eine Rückkehr der Originale an ihren Ursprungsort wäre wünschenswert, sagt Marcus Golter. Gleichzeitig warnt er jedoch davor, die fehlenden Skulpturen mit Kopien zu ersetzen. „Alle, die sich einbilden, man kann heute barocke Schlossfiguren machen, die liegen falsch. Das Formempfinden ist einfach nicht mehr da“, erklärt er und verweist auf die verlorene Tradition der „Bauhütten“, in denen das Handwerk früher über Generationen weitergegeben wurde.

Für Golter wäre eine Ergänzung mit modernen Figuren deswegen nur konsequent. Dabei hätte man auch die Chance, inhaltlich auf die neue Nutzung des Hauses einzugehen. „Das wird ja ein Parlament, kein Königsschloss.“ Man könne nach demokratischen Symbolen und neuen Allegorien suchen. Auch ein anderes Material als der ursprüngliche Sandstein sei denkbar. „Dann gäbe es zwei deutlich verschiedene Handschriften“, sagt Marcus Golter: „Das hätte einen sehr großen Reiz.“ Und es wäre auch finanziell günstiger, fügt er hinzu, lächelnd: „Künstler sind billiger als Restauratoren.“

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