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Verfall, Tragik und Elend: Heinz Strunks Gruseleien im Waschhaus

Der schreibende Sadist: Heinz Strunk war am Freitag im Waschhaus zu Gast - und das Publikum muss einiges aushalten. Amüsiert sich aber prächtig. 

Potsdam - Kurz nach acht gehen im nahezu ausverkauften Waschhaus die Lichter aus. Heinz Strunk betritt die Bühne, Skinny Jeans, Weste, Sakko und Einstecktuch, salopp legt er die Brille auf den Tisch, zwei, drei Gags in der betont vernuschelten, die Konsonanten etwas schleifen lassenden Diktion, die zu einem seiner Markenzeichen geworden ist, das Publikum lacht, dann geht’s los.

Strunk, dessen Bücher regelmäßig verfilmt werden – wie zuletzt „Der goldene Handschuh“ – liest aus seinem jüngst erschienenen, das auf 206 Seiten Kurz- und Kürzestgeschichten versammelt. „Jedes Jahr ein Buch“, sagt er, „abwechselnd ein ernstes und ein lustiges“. Das aktuelle, „Das Teemänchen“, zählt er zu den ernsten, folglich muss „Der Goldene Handschuh“ um den Hamburger Serienmörder Fritz Honka zu den lustigen zählen. Nun ja.

Zwölf Texte liest Strunk, teils „sozialrealistische Reportagen“, wie er sie nennt, „eine Horrorstory und andere“. Dazwischen erzählt er die Geschichten hinter den Geschichten, die Schreibanlässe, meist weitergedachte und ausgeschmückte Alltagsbeobachtungen. Dabei sind sie aber alles andere als leichte Kost; seine Themen – Einsamkeit, Verwahrlosung, Scheitern und Tod – kreisen allesamt um den Bruch in der Biographie. Darin gleichen sie den Stories Ferdinand v. Schirachs, dessen Figuren meist auch nur einen kleinen Schubs brauchen, eine falsche Entscheidung treffen müssen, um ihr Leben entgleiten zu sehen. Diese falsche Entscheidung, die nicht immer eine freiwillige ist, der Bruch, der nicht immer explizit wird, liegt in den Biographien der Strunk’schen Figuren jedoch weit zurück, das Leben entgleitet nicht mehr, sondern ist längst entglitten, verhunzt, zerstört.

Ein Opfer ihrer Verhältnisse

Wo aber von Schirachs Sprache kalt, prägnant und klar ist, ufert Strunk aus: Der Text „Borstelgrilleck“ erzählt die Geschichte einer attraktiven Frau, die beginnt, im namengebenden Imbiss zu arbeiten. Als Übergangslösung geplant wirkt der Imbiss auf sie wie Gift, „schwach dosiert zwar, aber in regelmäßigen Gaben“. Treibt ihre Anwesenheit allein den Umsatz zu Beginn noch in die Höhe, schreiten körperlicher und seelischer Verfall voran, sodass sie vom Chef schließlich in den Keller verbannt werden muss: „Und wie sie mittlerweile aussieht!“, heißt es da, „Dauernd lösen sich Haare und hängen im heißen Fett, das Gesicht ist schrundig, faltig, seltsam starr, dreifach gestaffelte Tränensäcke, Haut gedunsen und rotfleckig, Wasser in den Beinen, Figur ruiniert vom Imbissfraß. Ihr Anblick ist den Kunden auf Dauer nicht zuzumuten, entscheidet der Chef, die muss weg vom Verkauf, vom Tresen, hinter die Frontlinie.“ Sie wird zur tragischen Figur par excellence, ihr einstiger Vorteil, ihre Schönheit, wendet sich gegen sie, vergeht und wird zu ihrem Nachteil – sie wird zum Opfer ihrer Verhältnisse.

Ohne moralischen Anspruch

Verfall, Tragik und Elend in den Strunk’schen Texten sind überhaupt nur aushaltbar, weil Strunk so lange zuschlägt, draufhaut, zutritt bis der Schmerz überwunden und alles egal ist, bis das Publikum im Saal, im Kino oder auf dem heimischen Sofa nur mehr lachen kann, lachen muss. Er ist ein großartiger Grausamer, ein schreibender Sadist ohne moralischen Anspruch. Genau darin liegt seine einzigartige Qualität, fernab von Klamauk und Comedy. Denn: „Qualität“, so Strunk, „kommt von Qual“.

Christoph H. Winter

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