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Ein Paar, wie es im Buche steht. Diener Sosias (Teo Vadersen) und sein zänkisches Weib Charis (Johanna Lesch).

©  Manfred Thomas

Kultur: Und sie hat „Ach!“ gesagt

Das Poetenpack inszenierte „Amphitryon“

Über das letzte Wort dieser tiefsten und hinreißendsten aller deutschen Komödien, über Alkmenes „Ach!“ in Kleists „Amphitryon“, haben schon Jean Paul, Goethe, Arnold Zweig, Thomas Mann, und Rilke sinniert. Verstanden hat es aber wohl keiner, denn deuten lässt es sich kaum. Die Potsdamer Theatergruppe Poetenpack, welches zur Donnerstagsabend-Premiere ihres „Amphitryon“ extra Blitz und Regen aus den olympischen Himmelsregionen bestellt hatte, ging es auch nicht viel besser. Nach einer in weiten Teilen brillanten Aufführung huschte besagtes Schluss-„Ach!“ im Q-Hof seufzend dahin.

Der Stoff ist griechisch-antik, die literarische Vorlage stammt von Molière, den Geist aber gab der deutsche Dichter Heinrich von Kleist in flinken Jamben dazu. Entstanden war das Stück 1806 in Königsberg, die Uraufführung erfolgte gut 90 Jahre später in Berlin, und auch dann noch wie nebenbei. Denn es war den Klugen schon immer „zu christlich“. Der Stoff, von Euripides und Plautus über Kleist bis zu Hacks in die Gegenwart geführt, hat ja auch etwas Exemplarisches. Der Fünfakter zeigt nichts weniger, als dass alle weltverändernden oder die Welt beschützenden Helden eines himmlischen Vaters und einer irdischen Mutter bedürfen.

In „Amphitryon“ nun ist der höchste Olympier Jupiter/Zeus der Zeuger. Herakles heißt der zukünftige Sohn. Ein gewaltiges Problem für Alkmene, denn „Ach!“, Jupiter/Zeus erschien ihr in der leibhaftigen Gestalt ihres titelgebenden Gatten, während der echte einen Tag später aus der siegreichen Schlacht kommt und von einer ehelichen Liebesnacht nun gar nichts weiß. So entsteht bei Kleist nicht nur ein Bündel verwirrter Gefühle, sondern auch eine extraschwere Identitätskrise aller beteiligten Erdlinge. Auch bei Amphitryons Diener Sosias (Teo Vadersen mit einer Glanzpartie) und seinem zänkischen Weib Charis, denn ihr erscheint der Merkur in Gestalt ihres Gatten.

Johanna Lesch spielte sie zu Anfang mit viel Witz und Charme, zum Ende hin spielte sie gar nicht mehr. Das hatte sicherlich mit den Regieplänen von Justus Carrière zu tun, bei ihm war das Double Sosias und sein kongenialer Kollege Merkur (Ralf Bockholdt, Chapeau!) wohl für die Komik zuständig, während Alkmene (Philippine Pachl) nebst Jupiter/Zeus (Andreas Hueck) und Amphitryon (Philipp Eckelmann) eher das tragische Fach im siebentorigen Theben zu bedienen hatten.

Alles war ganz auf das Wort und figürlich-realistischen Audruck gestellt, übigens mit einer vorzüglichen Sprachkultur! Das Bühnenbild (Stephan Mannteuffel) bestand aus einer Art Black-Box, innen zu einem wenig genutzten Spiegelkabinett ausgebaut. Die Inszenierung konnte die Spuren ihrer Entstehung nicht tilgen. Anfangs gab es gute Szeneneinfälle, erfrischenden Spielwitz und brillante Details, nach mehr als zwei Stunden, wurde es immer dröger. Das Finale, die Versöhnung von Himmel und Erde, fand fast im Dunkeln statt. Ohne bitteren Rest eines gehörnten Ehemannes. Kein bisschen Temperament mehr, auch das Tempo viel zu gemütlich für Kleists Seelengestürm.

Jupiter/Zeus darf man das Aufhören des Regnens zugutehalten, sonst war die weißbeanzugte Figur ohne Leben und Reiz. Feldherr Amphitryon konnte sich wenigstens verwundern, er rollte die Augen, fasste sich, als Sosias ihm seine merkuralische Doubletten-Story servierte. Nicht wenig, aber selbst hier wäre mehr möglich gewesen, hätte man nur der komischen Seiten der Tragik gedacht. Berührend die Liebesszene der echten Gatten beim falschen Geständnis. Alkmene verließ die Bühne vor dem entscheidenden „Ach!“ als zitternd-verstörtes Etwas. Wo war nur Kleists Lustspiel geblieben? Trotz allem eine weitgehend substanzreiche und spannungsvolle Inszenierung der leiseren Töne, dafür ständig bedrängt vom Geist des deutschen Trauerspiels. Gerold Paul

Nächste Vorstellung am morgigen Sonntag, 20 Uhr, im Q-Hof, Lennéstraße 37

Gerold Paul

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