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Regisseurin Sina Schmidt.

© Andreas Klaer

Theaterkollektiv FritzAhoi!: Immer einen Plan B in der Tasche haben

Die Studententheatergruppe Uniater und das Theaterkollektiv FritzAhoi! waren auf einem kubanischen Theaterfestival und teilen ihre Erfahrungen mit Land und Leuten jetzt live in einer Zoom-Veranstaltung. 

Potsdam - „Zehn Stunden, bevor die Grenzen geschlossen wurden, waren wir wieder in Deutschland.“ Die Potsdamer Theaterregisseurin Sina Schmidt erinnert sich immer noch lebhaft an die für sie vollkommen surreale Situation vom 15. März 2020. Denn auf Kuba hatte sie so gut wie nichts aus dem Internet über den hierzulande bevorstehenden Lockdown erfahren.  

Gemeinsam mit ihren sechs Mitstreitern von der Studententheatergruppe „Uniater“ und dem professionellen Theaterkollektiv FritzAhoi! kam sie gerade noch rechtzeitig von einem internationalen Theaterfestival, mit Umweg über Kanada,  nach Potsdam zurück. Auch heute noch keine gute Vorstellung, auf unbestimmte Zeit in Kanada, das nach Kuba „kalt und teuer“ war, so Schmidt, festzustecken. 

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Aus den vielfältigen Erlebnissen der Kuba-Reise entwickelten beide Gruppen jetzt eine szenische Lesung mit dem Titel ¡Hola, temperatura!, die am Freitagabend zum ersten Mal als Live-Zoom-Veranstaltung im Internet stattfinden soll. Doch bevor man so weit gewesen ist, mussten sich alle erst einmal in der ungewohnten Situation in Deutschland zurechtfinden.  

Zwangspause für Online-Seminare genutzt

Sina Schmidt nutzte die Zwangspause und hat sich viel mit neuen Online-Formaten beschäftigt, sie besuchte unter anderem regelmäßig die Online-Seminare der Heinrich-Böll-Stiftung, in der  Menschen unterschiedlichster Professionen zusammentrafen und auch über die künstlerischen Potenziale der digitalen Möglichkeiten nachdachten. Und sie verabredete mit ihrem Ensemble, sich wenigstens einmal pro Woche per Zoom zu treffen. 

Dabei stellte Schmidt schnell fest, dass es auch Spaß macht, mit den neuen technischen Möglichkeiten zu spielen. Anfangs wollten sie ¡Hola, temperatura! als sogenannte hybride Form - einem Mix aus Online-Event und Vor-Ort-Veranstaltung - mit mehreren kleinen Besuchergruppen in der Potsdamer Biosphäre aufführen. Doch die erneute Schließung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen Anfang November machte ihnen wiederum einen Strich durch die Rechnung.

Darsteller berichten von ihren Eindrücken

Jetzt sitzen die sechs Darsteller bei sich zu Hause und berichten von ihren Eindrücken, zeigen Fotos und Videos beziehungsweise spielen erlebte Alltagsszenen aus Kuba in ihren Wohnzimmern, Küchen und Bädern nach. Und 80 Zuschauer können live dabei sein. Das Ensemble will in seiner Collage zeigen, wie das Leben 61 Jahre nach der kubanischen Revolution in Zeiten der Öffnung im Wandel begriffen ist. Sina Schmidt ist es wichtig zu betonen, dass „sie dabei immer Touristen bleiben“. Denn für die meisten von ihnen war es die erste Reise in den sozialistischen Karibikstaat, der zwar ein reiches öffentliches kulturelles Leben aufweist, aber stark unter dem US-amerikanischen Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargo zu leiden hat.  

Sina Schmidt erzählt, dass sie bereits während der Kuba-Reise oft improvisieren mussten. Sie hatten für ihre während des Theaterfestivals aufgeführte Performance „Observationen“ zwar jede Menge Technik im Gepäck, aber am Festivalort Fomento im Herzen der Karibikinsel dafür nur eine Steckdose zur Verfügung. Nach dem Festival, an dem sie als einzige deutsche Gruppe teilnahmen, reisten sie noch zehn Tage auf eigene Faust durchs Land, besuchten die Städte Trinidad, Havanna und Varadero. Hier mussten sie mit Versorgungsengpässen bei Benzin, Wasser und Lebensmitteln wie frischen Früchten oder Käse klarkommen.  

Die positiven Festivaleindrücke überlagerten jedoch diese ungewohnte Situation. Schmidt erzählt, dass in der Kleinstadt Fomento an den vier Tagen über ein Dutzend Theatergruppen, oft unter freiem Himmel und in allen Kultureinrichtungen der Stadt auftraten. Von morgens bis abends herrschte Gedränge bei den zahllosen Vorstellungen für Jung und Alt und ein reges Interesse der Einheimischen, die dieses Festival jetzt seit 21 Jahren, und 2020 zum ersten Mal international ausrichteten – im Übrigen kostenlos für das Publikum.  

Förderung durch den Fonds Soziokultur

Etwas, das Sina Schmidt auch von ihren Theaterreisen nach Georgien oder Marokko kennt. Und von dem sie sich mehr im reichen Deutschland wünscht. Während der Systemrelevanz-Diskussion in der Coronakrise, so Schmidt, ist ihr bewusst geworden, dass man Kultur hierzulande als „Freizeitbeschäftigung“ abtut.  Sie bezeichnet es als „Systemfehler“, Kultur und Bildung als „Wirtschaftsgut“ zu qualifizieren und findet es kräftezehrend, seit Wochen nichts anderes zu tun, als Fördergeldanträge zu stellen. 

Doch durch eine Förderung des Fonds Soziokultur wurde ¡Hola, temperatura! überhaupt erst möglich und Sina Schmidt kann der gegenwärtigen Situation auch etwas Gutes abgewinnen. „Es entsteht etwas Neues“, sagt sie, denn über das Internet findet unter anderem eine Publikumserweiterung statt. Und das digitale Arbeiten hat ihr auch ein neues Teammitglied bei FritzAhoi! , nämlich den Videodesigner Victor Treushchenko-Bernhardt beschert, der nun auch das Event ¡Hola, temperatura! betreut.  

- ¡Hola, temperatura! – Eine Theaterfahrt nach Kuba, 20./21. November 2020, um 20:15 Uhr live im Meetingtool Zoom.us, Tickets bei: Eventbrite Die Zugangsdaten zum Online-Event werden nach erfolgreichem Ticketkauf per Mail gesendet. Ab 20 Uhr gibt ein Online-Tutor, der auch während der gesamten Veranstaltung ansprechbar ist, eine kleine Einführung.

Astrid Priebs-Tröger

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