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Umgeplanter Figaro. Als die Promo-Bilder für das Stück des Neuen Globe Theater Potsdam entstanden, musste noch nicht auf Abstand geachtet werden. 

© Philipp Plum/promo

Theaterfestival in Potsdam: „Gevögelt wird hinter der Bühne“

Am Mittwoch beginnt das Theaterfestival Schirrhofnächte in Potsdam. Die notwendigen Abstandsregeln wurden dafür kreativ gestaltet.

Potsdam - Von #MeToo bis Kartoffeln schälen, Tanzperformance und Philosophie – das Potsdamer Open-Air-Theaterfestival Schirrhofnächte, das am morgigen Mittwoch im T-Werk beginnt, holt wieder eine große thematische Bandbreite auf die Bühnen. Bis zum 9. August finden beinahe täglich Aufführungen auf dem Platz im Kulturquartier Schiffbauergasse statt, darunter fünf Premieren. Die Akteure sind ausschließlich Brandenburger freie Theater. Für viele ist es aufgrund der Corona-Zwangspause die erste größere Gelegenheit zu spielen. Manche Stücke, die schon fertig waren, mussten dafür auch noch leicht umgeschrieben und mit kreativen Lösungen an die noch geltenden Abstandsregeln angepasst werden, sagt T-Werk-Leiter Jens Uwe Sprengel.

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Das betraf auch das Stück „Der tollste Tag oder Figaros Hochzeit“ vom Neuen Globe Theater Potsdam. „Wir waren fast fertig und hatten in der Inszenierung viele recht körperliche Szenen, dann kam Corona“, sagt Co-Regisseur Andreas Erfurth. Jetzt ist Vieles davon verboten: Kein Küssen, kein sich in den Armen liegen oder „an den Arsch fassen“, so Erfurth zu dem Stück, das schließlich ein ziemlich körperliches Thema anspricht: Figaro und Susanne, beide Bedienstete, wollen heiraten, aber Graf Almaviva besteht auf seinem Recht der ersten Nacht. Wie spielt man das mit Abstand? Das Dilemma wurde gelöst, indem bestimmte Szenen ins Off, also hinter die Bühne, verlegt wurden, so Erfurth. „Die Schweinereien passieren im Séparée - gevögelt wird hinter der Bühne.“ Das Publikum wisse, was passiert, sieht es aber nicht.


Das Neue Globe Theater spielt das Stück in der modernen Fassung von Peter Turini. Was im Original von Beaumarchais eine Komödie mit versöhnlichem Ende ist, beginnt zwar komödienhaft, gehe aber überraschend dramatisch aus. „Wir haben das Ende radikal verändert“, so Erfurth. „Turini sagt, Worte allein reichen nicht, um Verhältnisse zu ändern. Man muss Handeln“. Mit den Verhältnissen ist auch nicht mehr nur der Klassenunterschied gemeint. „Es geht uns grundsätzlich um die Ausnutzung einer Machtposition, also auch die Macht der Männer gegenüber Frauen.“

Mehrsprachige Tanz-Video-Performance feiert Premiere

Eine weitere Premiere ist „Close up / Zoom out“, eine mehrsprachige, suggestive Tanz-Video-Performance vom internationalen teatreBlau Potsdam. Das Stück stellt aktuelle Fragen: „Wie entsteht eine Diktatur? Wie fühlt es sich an, sein Heimatland zu verlassen? Was bedeutet überhaupt ‚zu Hause sein‘?“ Die Antworten entspringen Erinnerungen an eine verlassene Heimat ebenso wie Träumen für eine neue Zukunft. Die Potsdamer Oxymoron Dance Company zeigt zu den Schirrhofnächten die Premiere von „Animus und Anima“. Hier wird der Tanz an sich zelebriert: Sandra Chamochumbi, Tzuhsiang Chang, Polyxeni Argyri, Felipe Cescon de Faria, Amy van Weert, Alessia d`Isanto und Jassi Murad begegnen sich in einer energiegeladenen Choreografie.


Auch das Glindower Theater Ton und Kirschen bringt eine Premiere mit: „Die Legende vom heiligen Trinker“ nach einer Novelle von Joseph Roth. Ein Pariser, trunksüchtig, aber doch ein Mann von Ehre, erhält von einem Unbekannten 200 Francs. Sobald er es sich leisten kann, soll er das Geld der heiligen Therese von Lisieux stiften. Als es ihm tatsächlich besser geht, will er, wie versprochen, das Geld zurückgeben, ganz bald, gleich nach dem nächsten Pernod. Man ahnt – es wird nie etwas. Eine Empfehlung von Sprengel ist „erdapfel – messer – wasser – salz“ , das Stück von Etta Streicher. Eine Frau sitzt auf der Bühne und schält Kartoffeln, schält und schält. Was tut man, wenn man alleine über einer Arbeit sitzt? Man beginnt nachzudenken, zu reflektieren, zu sprechen. „Es ist aber nichts einfach so nebenher Erzähltes sondern sind lyrische Texte voller Poesie“, sagt Jens Uwe Sprengel. So wird das Schälen der Kartoffeln zum sinnlichen Vorgang. Am Ende werden die Kartoffeln gekocht und gegessen – und wer vom Publikum mitessen will, bekommt auch welche. „Ich habe Etta Streicher mit diesem Stück bei einem Festival gesehen, war sofort fasziniert und wollte sie hierher holen“, so Sprengel.

Figurentheater mit wunderbaren Puppen und Tieren

Gegen jede Erwartungshaltung richtet sich das Kinder- und Familienstück „Spinnlein, Spinnlein an der Wand“ von crabs & cratures Rüdersdorf. Das Figurentheater besticht mit wunderbaren Puppen und Tieren und einer besonderen Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Spinne. Ähnlich wie beim Stück von Etta Streicher geht es um eine andauernde, einfache Tätigkeit - das Spinnen. Nichts und niemand wird die Spinne hiervon abbringen, denn Spinnen ist das, was sie will und sowieso am besten kann. „Ein Loblied auf Idealismus, Fokussierung und das Dranbleiben an Sachen“, sagt Sprengel.

Die Schlecht-Wetter-Alternative ist in großen Hallen 

Auch die Veranstalter sind drangeblieben und haben das Festival nicht abgesagt, ein wenig Glück – der von vornherein spätere Termin – war auch dabei. Die Besucher werden von einer Krise hoffentlich nur wenig merken, so Sprengel. Im Freien falle das Einhalten von Abstandsregeln leichter. Sollte man wetterbedingt drinnen spielen müssen, werden Aufführungen dieses Jahr nicht ins T-Werk, sondern in die größere Schinkelhalle oder die Waschhausarena verlegt.

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