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Und weiter. Franziska Melzer wurde als eine von zehn Schauspielern übernommen. Morgen ist Premiere unter den „Alten“.

© A. Klaer

Theater in Potsdam: Abschied einer Bleibenden

Franziska Melzer spielt ab morgen in „Europa“. Ihre erste Premiere nach der Babypause.

Potsdam - Eigentlich hätte sie noch einige Wochen entspannt zu Hause bleiben können: in Ruhe ihre elfmonatige Tochter stillen, die nun vierköpfige Familie managen. Doch Franziska Melzer wollte Abschied nehmen, mit dabei sein, wenn die Ära von Tobias Wellemeyer zu Ende geht. Bei ihm machte sie vor zwölf Jahren in Magdeburg ihre ersten Bühnenerfahrungen, durfte blutjung das Käthchen von Heilbronn und die Nina in Tschechows „Möwe“ spielen. In Potsdam entwickelte sich ihre gute Arbeitsbeziehung weiter. Nun gehört Franziska Melzer zu den zehn Schauspielern, die am Hans Otto Theater bleiben dürfen. Ungesehen. Bettina Jahnke, die neue Intendantin, übernimmt Franziska Melzer, obwohl sie keine Inszenierung mit ihr kennt. Offensichtlich hat sich die Schauspielerin einen Ruf erarbeitet, der auch in Abwesenheit für sie spricht. Viele Rollen ließen sich dafür aufzählen, die sie klug und feinnervig auf die Bühne brachte. Lebensprall und lebenshungrig, oft auch lebensgeschunden: wie ihre Solvej in „Peer Gynt“, die Minna von Barnhelm, Elisabeth in Schillers „Don Carlos“, Eliza in „My Fair Lady“. Frauen, die oft bis zur Verzweiflung kämpfen. Das alles scheint Bettina Jahnke gehört zu haben, als sie im vergangenen Jahr Franziska Melzer um ein Gespräch bat, „ein sehr schönes Gespräch. Wir hatten beide das Gefühl, dass wir uns näher kennenlernen möchten“.

Die Umbruchzeit, die letzten Monate der Wellemeyer-Ära, die Franziska Melzer nun miterlebt, sind schwierig. Das ahnte sie und wollte dennoch dabei sein. „Man probt zusammen mit Kollegen, die noch nicht wissen, wie es für sie weitergeht. Andere wissen, wo sie hingehen, und auch die werde ich vermissen.“ Trotz der Unwägbarkeiten gebe es keinen Argwohn, keinen Neid, den sie – die Übernommene – spürt.

 „Für mich war Europa eine Utopie, die bereitlag.“

Sie ist mittendrin in den Endproben zu „Europa“, einem aktuellen Stück von Soeren Voima, das eine Reise zu den Wurzeln der europäischen Kultur unternimmt und morgen Premiere hat. Sie spürt der Sprache der großen Tragödien von Euripides und Sophokles nach, ihren menschheitsbewegenden Erzählungen. „König Ödipus, Kreon, Antigone. Was gibt es mehr?“ Sie selbst ist Ismene und irgendwie auch die Jungfer Europa, „das Mädchen“, wie sie auf den Proben von Regisseur Tobias Wellemeyer genannt wird. „Mit meinen 36 Jahren“, sagt sie und schmunzelt. Die Schauspielerin bringt weit mehr als den Mädchenblick ein. Sie ist eine Nachdenkliche, die das Leben von allen Seiten betrachtet. Hoffnungsfroh, trotz allem. Nie abschätzig. Als sie über den Tiefen See schaut, kommt gerade Alexander Gauland von der AfD vorbeispaziert. Mitten ins Thema Europa hinein. „Ich stehe fassungslos davor, dass manche Leute so leichtfertig Abstand vom Gedanken Europa nehmen.“

Sie kommt aus Dresden, war sieben Jahre, als die Mauer fiel. „Für mich war Europa eine Utopie, die bereitlag.“ Mit 13 fuhr sie mit dem Politischen Jugendring nach Brüssel und Straßburg. Und spürte umso stärker das Ideologie-Vakuum in ihrer Schule, wo die einstigen DDR-Lehrer keine Meinung mehr hatten. Franziska Melzer engagierte sich als Klassensprecherin, galt nun als Streberin, Außenseiterin. Sie verließ diese Stadt, die sich durch den „Aufbau Ost“ so schön herausputzen konnte und in der nun abschätzig auf Fremde geguckt wird, „die die Semperoper anpinkeln könnten“. Nach dem Studium in Berlin kam sie nach Magdeburg und dann gemeinsam mit Wellemeyer nach Potsdam. Hier wohnte sie, bis vor vier Jahren der Sohn zur Welt kam und die Wohnung zu klein wurde. Die Familie musste nach Berlin ziehen, weil es für sie in Potsdam keinen bezahlbaren Platz gab. Nun wird gependelt und trotz Abendproben und Vorstellungen findet Franziska Melzer, dass Familie und Beruf zusammengehören. „Ich möchte Kinder und Beruf. Beides. Total. Und ich wüsste nicht, warum eines hinter dem anderen stehen soll.“ Es fühlt sich für sie nicht zerrissen an. Durch die Familie bekommt sie Fröhlichkeit und ein buntes Leben. Und kann danach ebenso über ganz ernste Sachen ganz ernst nachdenken.

Initiativen im Kleinen

Wie in diesem Stück aus dem Jahr 2000 über Europa. „Es ist durchaus ein Experiment, denn es führt drei antike Stücke zusammen und ich frage mich natürlich, ob es klappt, dass ich als das schlagende Herz diese Verbindende überzeugend darstelle.“ Diese Isemene, gedacht als das geraubte Mädchen Europa, das ausgleichende Prinzip gegen die sich bekriegende Männerwelt, die es bis zum Letzten treibt. Sie kämpft sehr lange gegen das Entweder-Oder und wird selbst dabei zerrieben. „Aber es gibt ein versöhnendes, lustiges Ende. Das tut gut.“

Um solche Hoffnungen geht es ihr, darüber sprachen sie oft während der Proben. Um die vielen Initiativen im Kleinen, wo Leute nicht sagen: Sollen sich doch die da in Syrien die Köpfe einschlagen. Um Projekte wie den West-Östlichen Diwan von Daniel Barenboim, in dem Palästinenser und Israelis zusammen musizieren. Die Theaterleute nähern sich Europa über die antike Sprache an, „und die macht eine Tür ins Unendliche und zugleich ins Persönliche auf“. Franziska Melzer mag diese Kunstform, mit der sie in Gegenden ihres Kopfes kommt, in die sie sonst nie hingelangen würde. „Diese Ismene ist mir zu einer Figur geworden, die mich sehr rührt.“ Oft muss sie den Männern zuhören, die reden und reden: diesem König Ödipus, diesen Brüdern, die sich ständig bekriegen. Ismene ist keine Strategin, kann nicht so schlau streiten wie die Männer. Sie wird vom Herzen gelenkt. Natürlich weiß Franziska Melzer nicht, ob das Stück beim Publikum ankommt, „aber wenn es auch nur einen einzigen Besucher berührt, ist es Grund genug, es zu spielen“.

Sicher werden im Laufe der nächsten Spielzeit wieder Erschöpfungszustände auf sie zukommen. So ist Theater: anstrengend und beglückend. Wie Familie. Franziska Melzer nimmt sich auch jetzt die Zeit, ihre Tochter zu stillen. „Ein Luxus, den ich mir leiste. Neben der Arbeit.“

Premiere am morgigen Samstag, dem 7. April, 19.30 Uhr, Neues Theater

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HINTERGRUND: Wellemeyers Ausstand

Nach neun Jahren verabschiedet sich Intendant Tobias Wellemeyer im Sommer vom Hans Otto Theater. Zum Ausstand inszeniert er William Shakespeares „Der Sturm“, eine Liebeserklärung an die Macht des Theaters. Premiere ist am 18. Mai um 19.30 Uhr, und es gibt nur fünf Vorstellungen.

Danke sagen möchte das Ensemble ebenfalls schon im Mai: mit einem großen Abschiedsfest im Neuen Theater, mit allen Schauspielern, vielen Künstlern und Gästen, die die Potsdamer Theaterarbeit seit 2009 begleitet haben, mit Bildern, Filmen, Gesprächen, den schönsten Erinnerungen und viel Musik. Der Förderkreis Hans Otto Theater verleiht zudem den Potsdamer Theaterpreis 2018. Anschließend gibt es eine Party open end im Glasfoyer und auf den Theaterterrassen. Der Eintritt für dieses Fest am 25. Mai um 19.30 Uhr ist frei. Eine Reservierung empfiehlt sich unter kasse@hansottotheater.de oder Tel.: (0331) 981 18. Darüber hinaus lädt das Haus an der Schiffbauergasse zur letzten Ausgabe des „Refugees’ Club“ ein: Gemeinsam Musik machen, einander zuhören, Hilfe anbieten, Freunde finden und tanzen. Nun zum letzten Mal am 6. Mai, um 19 Uhr, in der Reithalle.

Auch die Potsdamer Tanztage werden noch einmal begrüßt: mit „Monder. Wir tanzen nicht um des Tanzes Willen“. DeLaVallet Bidiefono, einer der engagiertesten zeitgenössischen Künstler aus dem Kongo, ist damit erstmals in Potsdam zu Gast. Seine Stücke bezeichnet der Künstler als „Monster“, Geschöpfe, die als widerständige poetische Wesen aus einer von Krieg und Diktatur geprägten Gesellschaft hervorgehen. 

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