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Der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz Sonderausstellung in der Retrospektive „OST.SÜD. Frank Gaudlitz. Fotografien 1986-2020“ im Potsdam Museum.

© Andreas Klaer

Sonderausstellung im Potsdam Museum zu Frank Gaudlitz: Ein Bruder Humboldts

Fotograf und Entdecker, Weltreisender und Potsdamer: Das Potsdam Museum zeigt erstmals die gesammelten Werkzyklen des Künstlers Frank Gaudlitz.

Potsdam - Eins ist vorab festzuhalten: Gegen den Begriff der Retrospektive verwehrt sich Frank Gaudlitz. Das Abgeschlossene, Fertige, das dem Begriff anhaftet, will der Potsdamer Fotograf für sich nicht gelten lassen. Auch wenn hier fast vierzig Jahre künstlerischer Tätigkeit gewürdigt werden, der Anlass sein 60. Geburtstag vor zwei Jahren war. Auch wenn diese Tätigkeit zwei Kontinente umspannt und hier die verschiedensten Schaffensphasen nebeneinander zeigt werden. Erstmals.

Der Blick geht also zurück. Zurück bis an den Ursprung der Welt, wie sich zeigen wird. Dennoch: "Ost. Süd. Frank Gaudlitz. Fotografien 1986-2020" begnügt sich nicht mit der Perspektive auf Vergangenes. Zwei neue, gerade erst begonnene Werkzyklen sind hier zum ersten Mal zu sehen. Das zeigt: Das Werk von Frank Gaudlitz will weiter wachsen. Und auch der Blick des Fotografen, 1958 im brandenburgischen Vetschau geboren, auf die eigenen Arbeiten ist in stetem Wandel. Ob Arbeiten gut sind, weiß man ja eigentlich erst nach Jahren, sagt Gaudlitz mit Blick auf die jüngsten Fotografien. Insofern habe Museumsleiterin Jutta Götzmann durchaus Mut bewiesen.

Blick in die Zelle. Frank Gaudlitz war nach 1990 viel auf verlassenen Kasernengeländen unterwegs und dokumentierte deren Enge.
Blick in die Zelle. Frank Gaudlitz war nach 1990 viel auf verlassenen Kasernengeländen unterwegs und dokumentierte deren Enge.

© Andreas Klaer

Weltumspannend, mit Ausgangspunkt in Potsdam

Die Sonderausstellung mit rund 250 Werken beginnt mit dem Blick auf eine von Gaudlitz' frühesten Arbeiten. Und sie beginnt, eine Besonderheit  angesichts der weltumspannenden Dimension dieser Schau: in Potsdam. Ein Mann, nackt, steht vor einem offenen Fenster. Den Rücken zum Betrachter, die Arme ausgebreitet. Den Kopf vornübergebeugt: Da schüttelt sich jemand vor Lachen. 

Das Foto ist 1987 im Holländischen Viertel entstanden, damals abbruchreif. Frank Gaudlitz war vom pädagogischen Dienst suspendiert worden und hatte, ein Zufall, das Fotografieren für sich entdeckt. Ein Weg, um der gesellschaftlichen und kulturellen Enge des späten SED-Regimes zu entkommen, der genormten Welt den eigenen Blick aufzudrücken. Fotografieren war Befreiung.

Schüler von Arno Fischer, geschult vom genauen Blick des Pädagogen

Das Akt-Foto war Schuld daran, dass er an der renommierten Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig aufgenommen wurde, sagt Frank Gaudlitz. Er studierte dort 1987 bis 1991, wurde Schüler von Arno Fischer. Wichtiger noch als die Prägung durch dessen Schule war der Blick, den er davor schon als Pädagoge erprobt hatte, sagt Gaudlitz: Ein Blick, der den Menschen in den Mittelpunkt rückt.

Was das heißt, kann man im ersten Teil der Schau im Erdgeschoss trefflich sehen: "Die Wäscherinnen" aus dem Frühjahr 1989 zeigt ernst dreinblickende Frauen, manche müde und erschöpft, andere mit einem Hauch von Lächeln, andere resigniert. Die Porträts sind als Persiflage auf die DDR-üblichen "Galerien der Besten" zu lesen, in denen Betriebe besonders verdienstvolle Mitarbeiter feierten - den anderen zum Ansporn. Gaudlitz hat seine eigene Galerie mit Fotos ergänzt, die die tatsächliche Produktion zeigen: zerbeutelte Hosen, irrwitzige Propaganda zur Sozialistischen Produktion, Kleiderbügel, hinter denen der Mensch nur ahnbar ist.

Bilder in einen Kontext rücken

In "Wäscherinnen" zeigt sich bereits, was für Gaudlitz' spätere Arbeiten wichtig bleiben wird: Er zeigt selten Bilder allein, sondern gibt ihnen einen konkreten Kontext. Texte, eine bestimmte Hängung, eine konkrete Rahmung. In den frühen 1990er Jahren beobachtete er den Abzug der russischen Armee aus Potsdam, suchte die Soldaten jenseits offizieller Begehungen in ihren Kasernen auf, verfolgte später ihre Spuren auf den verlassenen Militärgeländen in ganz Brandenburg. Ein lebensgroß gezogenes Foto vom Militärgefängnis der Garnison Potsdam macht die menschenunwürdige Enge spürbar, die hier herrschte. Eine Reihe von Soldatenporträts hat er bei einem der Streifzüge im Müll gefunden. Auch sie hängen hier, die jungenhaften, ernsten Köpfe, in Uniformkrägen gepresste Hälse. Die verblichenen Fotos sind mit Nägeln aufgespießt, das war Frank Gaudlitz wichtig.

Lebensthema. Frank Gaudlitz war zwischen 1988 und 2018 mehrmals im Jahr in Russland, hier 2017 in der Moskauer Metro. 
Lebensthema. Frank Gaudlitz war zwischen 1988 und 2018 mehrmals im Jahr in Russland, hier 2017 in der Moskauer Metro. 

© Frank Gaudlitz

Sein Lebensthema: Russland. Wo Wodka immer hilft

Russland wurde für Frank Gaudlitz zum Lebensthema. Auf den Zyklus "Die Russen gehen" aus den frühen 1990ern folgt "Russian Times", entstanden zwischen der ersten Russlandreise im Jahr 1988 und 2018. Aktuell arbeitet er an "Separée", einer Serie über Nachtclubs in Sankt Petersburg. 

Nach 1990 aber folgt er zunächst den ehemaligen Soldaten zurück in ihre Heimat, gräbt sich immer tiefer in die Provinzen hinein. Er entdeckt ein kaputtes Land. Die Bilder von den ehemaligen Gulags und den Nickelbergwerken auf der Halbinsel Taimyr sind verstörend. Gaudlitz reist bis zum Baikalsee und in die Steinkohlereviere im sibirischen Kemerovo. Er schläft nicht in Hotels, sondern in Kommunalkas, er trinkt mit den Menschen, denen er begegnet. "Wodka hilft immer."

Frank Gaudlitz war 2010 auf den Spuren Alexander von Humboldts in den Anden unterwegs.
Frank Gaudlitz war 2010 auf den Spuren Alexander von Humboldts in den Anden unterwegs.

© Frank Gaudlitz

Auf den Osten folgt der Süden: Südeuropa, dann Südamerika

Bis 2001 reist er mehrmals im Jahr nach Russland, dann hat er genug. Auf die beeindruckenden, teils bestürzenden Schwarzweißbilder folgt im ersten Stock ein Farbrausch. Auf die Momentaufnahmen die Porträts. Auf den Osten folgt der Süden. Zunächst der europäische. "Warten auf Europa" heißt der Zyklus, mit dem sich Gaudlitz 2003 bis 2005 die Donau erschließt: Er beginnt an der Mündung am Schwarzen Meer und reist, stromaufwärts, in Richtung Deutschland. Fast 35 000 Kilometer. 

Und er fotografiert die Menschen am Wegesrand: auf Feldern, Straßen, Booten, Feldwegen. Und er lässt die Menschen an der Grenze der europäischen Union ihre Hoffnungen und Befürchtungen aufschreiben. Die Bücher liegen in der Ausstellung aus. Schwarzer Einband für Ängste. Roter für Hoffnung: "Arbeit", "ein kleines Unternehmen", "große Fische fangen", "nach Deutschland gehen". Ein junger Mann in Rumänien, Analphabet, malt Fantasiezeichen.

Memento Mori. Einen Werkzyklus widmet Frank Gaudlitz transsexuellen Frauen. Er zeigt deren Porträts neben arrangierten Stillleben aus Blumen, Tieren und Früchten.
Memento Mori. Einen Werkzyklus widmet Frank Gaudlitz transsexuellen Frauen. Er zeigt deren Porträts neben arrangierten Stillleben aus Blumen, Tieren und Früchten.

© Foto Frank Gaudlitz

Das wichtigste Arbeitsprinzip: Beharrlichkeit

Ein Arbeitsprinzip von Frank Gaudlitz, das wichtigste vielleicht, ist Beharrlichkeit. Immer wieder kehrt er in bestimmte Gegenden zurück. So kommt es, dass er dem Donau-Zyklus einen zweiten zur Seite stellen kann: die Menschen der Dona-Region bei sich zuhause. Wie in einem Schatzkästchen sind die Porträts und Wohnzimmer der Menschen im Festtagsgewand ausgeleuchtet. 

Auch nach Südamerika reist Gaudlitz immer wieder. Zunächst auf den Spuren Alexander von Humboldts über die Anden. In "Sonnenstraße" (2010) stellt er farbige Porträts der Bergvölker neben schwarzweiße Aufnahmen der Landschaft, die, so Gaudlitz, schon Humboldt so gesehen haben könnte. Überhaupt scheint der nimmermüde Entdecker Humboldt ein Bruder im Geiste zu sein: "Man will, dass wenigstens versucht werde, was nicht errungen werden kann." Gaudlitz hat sich gewünscht, dass das Zitat im Museum an der Wand steht. Es ist auch sein Motto.

Im Reich des scheinbar Unmöglichen

Ins Reich des scheinbar Unmöglichen greift auch einer der jüngsten Zyklen: "A Mazo" (2013-2015) über Transfrauen am Amazonas. Bunt geschmückte Frauen in Männerkörpern, in Unterwäsche oder knappen Kleidern. Menschen, die ihre eigenen Kunstwerke sind. Gaudlitz hat sie in Form von Diptychen inszeniert: zweiteilige Bildkompositionen, Flügelaltären nachempfunden. Links blüht die vergängliche Jugend der Transfrauen, rechts ein aus Blumen, Früchten und Tieren farbig arrangiertes Stillleben. Ein Memento Mori.

Mit toter Materie beschäftigt sich auch ein aktueller Zyklus, dessen Prolog hier erstmals zu sehen ist. "Genese" heißt er und soll nichts Geringeres als die Schöpfung zum Thema haben. Das klingt größenwahnsinnig. Aber eigentlich ist es grundbescheiden. Gaudlitz fragt, angesichts der vom Menschen unberührten Landschaften in Bolivien: Wie sah die Erde wohl aus, bevor wir Menschen kamen? Die Antwort macht demütig. Denn so wird es vermutlich auch noch aussehen, wenn der Mensch längst wieder weg ist.

"Ost. Süd. Frank Gaudlitz. Fotografien 1986-2020", vom 26. September bis 31. Januar im Potsdam Museum

Lena Schneider

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