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Am Hans Otto Theater wird es in der Spielzeit 2022/23 eine Uraufführung geben - aber auch viele Klassiker.

© Andreas Klaer

So wird die neue Spielzeit am Hans Otto Theater: Der Beigeschmack des Vertrauten

„GEMeinsam“ ist das Motto der neuen Saison am Hans Otto Theater. Nach zwei Jahren Pandemie soll das Publikum mit einer Stückentwicklung und vielen Klassikern zurückerobert werden.

Potsdam - Fragt man Intendantin Bettina Jahnke, mit welchem Gefühl sie in ihre 5. Spielzeit geht, dann sagt sie: „Wir haben jetzt Zeit.“ Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass ihr Vertrag am Hans Otto Theater bis 2028 verlängert wurde. Zehn Jahre wird sie dann in Potsdam gewesen sein. Knapp die Hälfte davon ist sie und ihr Team schon hier - und fühlte sich doch aufgrund der Pandemie bis vor Kurzem noch wie am Anfang. Durch die Verlängerung, sagt sie und klingt erleichtert, sei nun die Möglichkeit einer Kontinuität gegeben.

Und die will Jahnke nutzen, um noch stärker auf die Stadt zuzugehen. Das sagte sie bei der Pressekonferenz anlässlich der neuen Spielzeit im Bauch des Theaters: Sie fand erstmals auf der Unterbühne statt.

Suche nach Nähe

Schon das Spielzeitmotto zielt auf die Suche nach Nähe, nach Schulterschluss ab: „GEMeinsam“. Ein Verweis auf die vielerorts empfundene Vereinzelung angesichts von zwei Jahren Pandemie, auf die Spaltung in der Bevölkerung angesichts vieldiskutierter Corona-Maßnahmen - oder auch eines Krieges, der von Deutschland nie dagewesene militärische Unterstützung fordert. „Lässt sich das Gemeinsamsein wieder neu erlernen?“, so fragte Chefdramaturgin Bettina Jantzen.

Am Beginn dieser Spielzeit steht am 16. September ein Stück des russischen Autors Maxim Gorki, ausgerechnet: „Kinder der Sonne“. Das war ursprünglich nicht so geplant, wird sich aber notgedrungen wie ein Kommentar auf den Krieg in der Ukraine sehen. Als Putin das Land im Februar angriff, habe man das Stück und sich stark hinterfragt - sich dann aber bewusst dafür entscheiden, es zu spielen. 

Einen allgemeinen Boykott russischer Kultur wolle ihr Theater nicht unterstützen, sagt Jahnke, und zitiert einen Satz aus dem Text von 1905: „Der Hass sieht unscharf, aber ihr seid sehr gut zu erkennen.“ Regie führt die Intendantin selbst, auch die Bürgerbühne soll an der Inszenierung beteiligt sein: als „Wutbürger“ (Jahnke).

Stückentwicklung für Potsdam

Als Teil zwei des Eröffnungswochenendes kommt am 17. September in erprobter Manier ein zeitgenössischer Text auf die Bühne der Reithalle: „Frau Schmidt fährt über die Oder“ von Anne Habermehl, der Text über eine Spätaussiedlerin, die 1990 ihre Heimatstadt Wroclaw verlässt, um sich im wiedervereinigten Deutschland ein neues Leben aufzubauen.

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Eine Annäherung an Potsdam und Brandenburg soll auch die Stückentwicklung sein, mit der das Theater Annalena und Konstantin Küspert beauftragt hat. Der Text ist noch im Entstehen, der Stücktitel umreißt, worum es gehen wird: „Die Mitbürger“. Statt einer Inhaltsangabe gibt Dramaturgin Bettina Jantzen die Fragen wider, die die Küsperts dem Publikum stellen: „Wann sind Sie geboren?“ Aber auch: „Karibik oder Uckermark?“ Und: „Wie lange halten Sie das alles noch aus? Warum leben Sie?“ Premiere ist am 27. Januar in der Reithalle.

Sehnsucht nach Figuren und Geschichten

Während es in den letzten zwei Jahren mit Thomas Melle, Philipp Löhle, Ewald Palmetshofer und Sibylle Berg stark zeitgenössisch zuging, sind in der kommenden Spielzeit ansonsten wieder mehr Klassiker im Programm - erwähnenswerte Ausnahme ist „Concord Floral“ von dem kanadischen Autor Jordan Tannahill, das am 28. Oktober unter der Beteiligung von zwei ukrainischen Schauspielstudent:innen, die derzeit an der Filmuni studieren, auf die Bühne gebracht wird (Regie Lilli-Hannah Hoepner).

Die Zurückhaltung in Sachen neuer Dramatik ist ansonsten weniger einer grundsätzlichen Entscheidung geschuldet, sagt Bettina Jahnke - als vielmehr der Suche nach existenziellen Stoffen, die das Theater seit der Wiederöffnung nach der Pandemie umtreibe. Und der „Sehnsucht nach Geschichten und Figuren“. Letztere sei bei Schauspieler:innen und Zuschauer:innen gleichermaßen groß. 

Wiederbegegnungen mit Klassikern

Die pandemieimmanente Intensiv-Erfahrung zerdehnter Lebenszeit hat die Dramaturgie offenbar auch auf das existenzielle Warte-Stück schlechthin gebracht: Samuel Becketts „Warten auf Godot“, inszeniert von Fanny Brunner, die mit „1989/90“ nach Peter Richter noch gut in Erinnerung ist. Premiere ist am 28. April.

Statt neuer Texte also vermehrt Wiederbegegnungen mit Klassikern, wenn auch teils in neuem Kleid: Von Jean-Paul Sartre der Agententhriller „Die schmutzigen Hände“ (14. Oktober, Regie Christoph Mehler), von Edward Albee die verschobene Inszenierung von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (15. Oktober, Regie Moritz Peters), nach Jane Austen „Stolz und Vorurteil (*oder so)“ (25. November, Regie ebenfalls Moritz Peters), von Georg Büchner der Schulstoff „Woyzeck“ (17. Februar, Regie Annette Pullen), nach Thomas Vinterberg der Filmklassiker „Das Fest“ (6. Mai, Regie Bettina Jahnke) und als Sommerkomödie draußen am See Shakespeares „Wie es euch gefällt“.

Der Beigeschmack des Vertrauten

Das Hans Otto Theater scheint insgesamt eher auf den Beigeschmack des Vertrauten zu setzen, um das Publikum nach zwei holprigen Jahren wieder an das Theater zu gewöhnen. Warum das so ist, ahnt, wer Geschäftsführerin Petra Kicherer über die Zahlenbilanz sprechen hört: Rund 61 500 Zuschauer:innen hatte das Theater 2021, ein Drittel davon lediglich digital. Im Vor-Coronajahr 2019 waren es 109 000 gewesen.

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