zum Hauptinhalt
War bei "Scobel fragt zu Gast: Hatice Akyün.

© Thilo Rückeis

"Scobel fragt" in Potsdam: Heimat und Ausgrenzung

Hatice Akyün und Jochen Oltmer waren zu Gast bei „Scobel fragt“ im Potsdamer Hans Otto Theater. Thematisch drehte sich das Gespräch um Migration.

Potsdam - Die Geschichte der Menschheit ist zugleich eine große Erzählung von der Migration. Seit Abertausenden Jahren wandert unsere Spezies über den Globus. Kontinente, Ozeane – alles ist für den Menschen überwindbar. Soweit man heute weiß, stand unsere Wiege in Ostafrika. „Genetisch sind wir alle Afrikaner“, brachte es Gert Scobel am Dienstagabend im Hans Otto Theater zugespitzt auf den Punkt. Zum dritten Mal hatte der bekannte Journalist und Philosoph dort zu seiner Veranstaltungsreihe „Scobel fragt“ eingeladen. Das Thema dieser Ausgabe: die Migration, insbesondere im Kontext Deutschlands und Europas. Gemeinsam mit Scobel diskutierten die Journalistin und „Tagesspiegel“-Kolumnistin Hatice Akyün sowie der Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück.

Migration als brisantes Thema

Migration ist heute ein politisch brisantes Thema, obwohl es sie schon zu allen Zeiten gegeben hat, freilich in unterschiedlich starker Intensität. Auch Gert Scobel nannte zunächst ein paar Beispiele für Wanderungsbewegungen, dabei weit in archaische Zeiten ausgreifend. So erwähnte er unter anderem die Migration von Menschen aus Anatolien nach Griechenland vor etwa 9000 Jahren und die Einwanderung aus den östlichen Steppengebieten Europas vor rund 5000 Jahren in weiter westlich gelegene Gebiete des Kontinents. Und man kann an dieser Stelle ergänzen: Europa, geografisch gesehen eigentlich nicht viel mehr als der westliche Appendix Asiens, und so gesehen wohl nur kulturell als eigener Kontinent zu begreifen, verweist mit seinem Namen selbst schon auf fremde, ja außereuropäische Einflüsse: Eben auf jene phönizische Königstochter namens Europa, die von Zeus, der die Gestalt eines Stiers angenommen hatte, über das Mittelmeer nach Kreta entführt wurde. Ein Mythos, der über Jahrtausende von Künstlern bemüht wurde.

Wo liegt eigentlich das Problem?

Wo also liegt in unseren Zeiten eigentlich das Problem, wenn von Migration die Rede ist, fragte Gert Scobel im Hans Otto Theater. Jochen Oltmer antwortete, der Konflikt entzünde sich maßgeblich an dem Wesen der Nationalstaaten mit ihrem häufig gegebenen Versprechen an die Bevölkerung, jeweils eine möglichst homogene Gruppe innerhalb der eigenen Staatsgrenzen bilden zu können. Dieses Versprechen sei eine kurzsichtige Perspektive. Auch in Deutschland habe die Politik viel zu lange verschwiegen, dass es sich hier um ein Einwanderungsland handele.

Jochen Oltmer.
Jochen Oltmer.

© Thilo Rückeis

Dabei wäre es allerdings spannend gewesen, von Oltmer zu erfahren, welche Funktion er den Nationalstaaten heute beimisst. Frühere Herrschaftsreiche dienten der Machterhaltung regierender Gruppen. Aber welchem tieferen Zweck dienen die Flächenstaaten moderner Prägung? Wie kann hier die Diskriminierung von Menschen anderer Herkunft wirklich wirksam verhindert werden?

Hatice Akyün wiederum meinte, nicht die Migration als solche sei das Problem. Vielmehr führten die unterschiedlichen Rechts- und Wertesysteme der angestammten Bevölkerung einerseits und der Flüchtlinge andererseits zu gewissen Verwerfungen. Während es hierzulande zum Beispiel den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau gebe, so sei dies in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge eben gerade nicht der Fall.

„Du gehörst nicht dazu.“

Und doch ist es augenscheinlich so, dass der Grad der Zu- oder Abneigung gegenüber Neuankömmlingen in den Ländern quer über die Kontinente hinweg unterschiedlich ausgeprägt ist. Wenn man, so Scobel, beispielsweise in den Vereinigten Staaten im privaten Gespräch nach der eigenen Herkunft gefragt werde, dann schwinge dabei nicht zugleich die unterschwellige Aussage mit: „Du gehörst nicht dazu.“ Jedenfalls sei dies, wie Scobel betonte, in den Zeiten vor Trump so gewesen. In Deutschland hingegen werde mit der Frage nach der – mutmaßlich ausländischen – Herkunft meist zugleich ausgedrückt, dass der Befragte eigentlich nicht so ganz zur hiesigen Gesellschaft gehöre. Akyün, die selbst aus Anatolien stammt, pflichtete Scobel bei: „Meine deutschen Landsleute sind schon sehr wurzelfixiert.“ Wenn sie nach ihrer Heimat gefragt werde, dann sage sie: „Das ist das Ruhrgebiet“. Akyün kam im Alter von drei Jahren 1972 mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland und wuchs in Duisburg auf. Im Hans Otto Theater beklagte die Journalistin eine gewisse Schizophrenie der Deutschen, wenn etwa jemand ihr gegenüber auf „die“ Türken schimpfe und dann nachschiebt: „Aber gegen Dich habe ich nichts.“ 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false