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Schnörkellos, tastenlöwisch, geheimnisvoll: Bravostürme für das 7. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal

Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt begeisterte im Nikolaisaal in Potsdam mit einer überraschenden Musikauswahl.

Potsdam - Es sollte unbedingt ein Klavierkonzert auf dem Programm stehen. Genauer: eines von Peter Tschaikowsky. Kommt ja wohl nur das berühmte in b-Moll op. 23 infrage. Natürlich nicht. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt und sein Chefdirigent Jörg-Peter Weigle entschieden sich stattdessen für das Klavierkonzert Nr. 2 in G-Dur op. 44. Was zwar die wenigsten kennen, aber vielleicht kennenlernen wollten?! Und so füllten neugierige Besucher des 7. Sinfoniekonzerts am Samstag die Reihen des Nikolaisaals bis auf den letzten Platz.

Mit dieser Werkwahl war zudem auch ein Zielpunkt des „SeineOderMoskwa“-Saisonthemas der Frankfurter angesteuert, schließlich erlebte das Opus 44 im Mai 1882 seine Uraufführung in Moskau. Doch sie fand nur eine zwiespältige Aufnahme. Der Komponist reagierte verbittert – er änderte, feilte und strich. Verbesserungsvorschläge unterbreitete auch Alexander Siloti, Pianist, Dirigent, Komponist und Tschaikowsky-Verehrer. Bei seiner Revision erlaubte er sich schwerwiegende Eingriffe in die Struktur des Werkes. Und diese, die Intentionen des Komponisten verfälschende Siloti-Fassung erklang nun – genauso wie das Werk als solches – erstmals in Potsdam.

Der erste Satz ist groß angelegt und beginnt mit einem markanten marschartigen Thema, das wenig später vom Klavier in heroischer Attitüde aufgenommen wird. In diesen donnernden Kaskaden von Klavierfigurationen erweist sich „Artist in residence“-Pianist Andreas Boyde als ein Tastenlöwe par exzellence und Experte des hochromantischen Repertoires. Es folgt ein liebliches Seitenthema, das schließlich die Führung übernimmt und seinen kantablen Charakter über dem Tremolo der Streicher im zarten Dialog zwischen Klarinette und Horn entfaltet. Dabei hält sich das Klavier zurück, ehe das Geschehen erneut in den orchestralen Rausch mündet und den Solisten erneut zu pianistischer Bravour herausfordert. Präzise und voluminös schraubt man sich gemeinsam in die Höhe und ins Fortefortissimo. Da haut der Solist kraftstrotzend in die Tastatur, den es dabei immer wieder in ekstatischen Körperzuckungen vom Hocker hebt, und das Orchester pathetisiert dazu mit großer Geste. Mehrere ausufernde Solokadenzen von rhythmischer Schärfe und im rhapsodischen Stil eines Franz Liszt bieten dem Solisten alle Möglichkeiten zum ungehemmten Brillieren. Längere Monologe, nun voller poetischen Nachsinnens, hält er auch im zweiten Satz, in dem sich Violine und Cello zu einem längeren Zwiegespräch einfinden. Draufgängerisch und leichtfingrig bringen alle Beteiligte das Werk zum furiosen Abschluss. Für die Bravostürme dankt Andreas Boyde mit einem „Albumblatt“ von Franz Schubert, dass er auch Intimes zu einem ausdrucksstarken Erlebnis bringen kann.

Liebesgrüße an Spanien, ohne je weiter als ins nahe baskische San Sebastian gelangt zu sein, hat Claude Debussy mit seinem Orchesterbild „Iberia“ aus Paris im Februar 1910 in die Welt geschickt. Doch die Hommage zeichnet kein realistisches Abbild spanischen Lokalkolorits, sondern assoziationsreiche Imaginationen. Mit viel Kastagnettengeklapper, scharf akzentuiertem Orchestertutti zeigen die einsatzpräzisen Genauigkeitsarbeiter an ihren jeweiligen Pulten, was sie können.

Erstens: Mit klarer Kante beschwören sie die turbulente Geschäftigkeit einer Volksmenge. Zweitens: Mit Röntgenblick suchen sie die laszive und flirrende Schwüle einer südländischen Sommernacht zu deuten, was ihnen leider nicht überzeugend gelingt. Drittens: Effektvoll breiten sie das turbulente Treiben eines spanischen Volksfestes aus. Von all diesen Spielzutaten profitiert schließlich auch die begeisternde Wiedergabe der zwischen Troll-Spukereien, pastoral-geheimnisvollen Stimmungen, weihevollem Pathos und dräuenden Entwicklungen pendelnde Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 43 von Jean Sibelius.

Peter Buske

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