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Schauspielerin Ursula Werner zum 75.: Die Nahbare

Ursula Werner ist eine Vollblutschauspielerin. Lange war sie am Berliner Maxim Gorki Theater engagiert. Ihr Weg begann bei der Babelsberger Defa, Andreas Dresens „Wolke 9“ war der Auftakt für eine zweite Filmkarriere. Heute wird sie 75. In Potsdam feierte sie schonmal vor.

Schalk und Schmerz liegen in dem Gesicht von Ursula Werner nur winzige Schritte auseinander. So winzig sind diese Schritte, dass sich manchmal gar nicht sagen lässt, was nun gerade die Vorderhand hat. Am ehesten wohl die Sinnlichkeit: dieser Komme-was-wolle-ich-lebe-Mund. Er ruft nach Mehr, nach Berührung oder auch Widerworten, auch dann noch, wenn er nichts sagt. Vielleicht gerade dann.

In „Wolke 9“, dem großen Erfolg von Andreas Dresen von 2008, der für Ursula Werner so etwas wie eine zweite Geburt als Filmschauspielerin war, kann man dieses Gesicht anderthalb Stunden lang beobachten, oft in Nahaufnahmen – ohne sich sattzusehen. Man sieht Inge, der Frau, die Ursula Werner spielt, beim Nähen zu, beim Baden, beim Frühstückbereiten, beim Lachen, beim Weinen. Und beim Lieben. Inge, fast 70, verliebt sich in Karl, bald 80. Keine Wangenkuss-und-Entenfüttern-Liebe ist das, sondern eine, die die beiden ganz und gar erfasst. Zu der gehört auch Sex, natürlich. Obwohl Ursula Werner oft nackt ist in „Wolke 9“, wirkt sie fast nie so. Das ist ihre Kunst, und ein bisschen sicher auch die von Andreas Dresen.

Der Geburtstag im Filmmuseum: kein runder, aber vorne eckig

Beide, Andreas Dresen und Ursula Werner, waren am Mittwochabend im Filmmuseum zu Gast, wo „Wolke 9“ noch einmal gezeigt wurde. Anlass war der heutige Geburtstag von Ursula Werner, der 75. „Kein runder“, sagte Moderator Knut Elstermann nur. Woraufhin Ursula Werner immerhin zugab: „Vorne ist er eckig.“

Vielleicht sind die genauen Zahlen auch wirklich egal, wenn man schon so viel erlebt hat – und keinen Zweifel daran lässt, dass das auch so weitergehen soll. „Immer geht’s weiter“, so hieß auch Ursula Werners Autobiografie, die 2014 erschien, leicht verspätet zum 70. Hierin erzählt sie, warum sie, das immer wieder gern so betitelte „Berliner Urgewächs“ in Eberswalde zur Welt kam, weshalb sie dann eine Tischlerlehre absolvierte, statt gleich zum Theater zu gehen. Und wie sie dann doch zum Schauspielen kam: Über ihren Bruder nämlich, der, um sie von großem Liebeskummer zu heilen, auf einen Fasching schleppte. Dort wurde sie von einem Mann der Defa entdeckt, beim Rock’n’Roll-Tanzen. Der lud sie nach Potsdam zum Vorsprechen ein. Auf dem Weg verfuhr sie sich, die Rolle bekam sie trotzdem: „Die Sorgenkinder“, ein Kurzfilm über den Textilbetrieb VEB Fortschritt.

Ursula Werner sammelte Erfahrungen im Kabarett und in Halle und war dann über 30 Jahre am Maxim Gorki Theater engagiert.
Ursula Werner sammelte Erfahrungen im Kabarett und in Halle und war dann über 30 Jahre am Maxim Gorki Theater engagiert.

© Manfred Thomas

Von der Defa übers Kabarett ans Landestheater Halle

Es folgten andere Defa-Filme, am berühmtesten heute wohl die Komödie „Ein irrer Duft von frischem Heu“ von 1977 – aber vor allem folgte das Studium an der Staatlichen Schauspielschule Berlin in Berlin-Schöneweide. Dort bildete man fürs Theater aus, und am Theater war Ursula Werner Zeit ihres Lebens auch zuhause: im Berliner Kabarett Distel zunächst, dann am Landestheater Halle. Dort wollte Horst Schönemann ein „demokratisches Gegenwartstheater“ aufbauen, sich mit den aktuellen Problemen der DDR befassen. Ursula Werner entschied sich gegen die berühmte Distel und für das kleine Halle. Hier kamen Stoffe heraus, die in der Hauptstadt nicht möglich gewesen wären. 

Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ war so einer. Die Defa wagte sich nicht ran, in Greifswald, Rostock und Leipzig wurde er verboten. In Halle jedoch nicht: Ursula Werner spielte Charly, eine der Hauptrollen. 1974 kam sie ans Berliner Maxim Gorki Theater, wo sie bis 2009 engagiert blieb. Unter vier Intendanten. 1979 spielte sie dort die Mascha, die erotisch aufgeladene, von Sehnsucht sich verzehrende von Tschechows „Drei Schwestern“, neun Jahre später in Volker Brauns Adaption „Die Übergangsgesellschaft“ die gleiche Rolle – ein enormer Erfolg. Das Publikum erkannte sich in der Sehnsucht nach dem Anderswo, dem Gefühl, dass „das echte Leben“ an einem anderen Ort stattfand.

Nicht immer riesige Rollen, aber immer erkennbar Ursula Werner

Bis 2009 spielte, spielte, spielte sie am Gorki-Theater. Nicht immer riesige Rollen, aber immer erkennbar als Ursula Werner, in der Stimme, im Lachen. Das gibt sie auch ihren Studenten in Berlin oder Potsdam mit, wo sie ab und an unterrichtet: „Kinder, auch wenn ihr eine kleine Rolle spielt, nehmt sie immer so wichtig, wie es ihr zukommt.“ Sie arbeitet gerne mit Jungen zusammen, vor zwei Jahren war sie, an der Seite von Schauspielschülern, Brechts „Mutter“, an der Berliner Schaubühne. Dort ist sie übrigens, immer noch, der Ossi. Das erzählte sie am Mittwoch im Filmmuseum, und schickte dieses Lachen hinterher, das sagt: Ist das zu glauben, Kinder?

Dieses Lachen, diese Nahbarkeit, hat auch Andreas Dresen für Ursula Werner eingenommen. Humor, sagt er, ist unabdingbar, im Film vor allem beim Drehen von Sexszenen. Und nein, der Sex war nicht das Schwerste an „Wolke 9“, beantwortet Ursula Werner eine Frage Elstermanns. Einmal, da fiel beim Dreh das Catering aus, und alle mussten sie Currywurst essen gehen. „Das war wirklich schlimm.“

— Ursula Werner:

Immer geht’s weiter. Autobiografie. Das Neue Berlin 2014, 206 Seiten,

17,99 EUR. 

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