zum Hauptinhalt
"Besuch" von Abram Archipow (1914).

© Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

Russische Impressionisten im Museum Barberini: Das Flimmern im Auge

Das Potsdamer Museum Barberini zeigt auch seine jüngsten Entdeckungen digital: Den russischen Impressionismus.

Potsdam - Der Schock, den Monets Getreideschober in Russland auslöste, ist wohl kaum zu überschätzen. Als er 1891 zum ersten Mal in Moskau zu sehen ist, neben Dampfmaschinen aus französischer Produktion, sind die Reaktionen deutlich. Der Symbolist Andrei Bely, damals als Zweitklässler dabei, erinnert sich später an Begriffe wie „Missbildung“ und „Unverschämtheit“. Und gesteht beschämt: „Ehrlich gesagt: mir gefielen die französischen Impressionisten deshalb, weil sie bunt waren und ihre Farben mir so schön im Auge flimmerten.“

Russische Künstler pilgerten regelrecht nach Paris

Für die Farben, das Flimmern, das Zaubern mit und aus Licht sind die Impressionisten längst bekannt. Um die Jahrhundertwende aber war die Abwendung vom konkreten Objekt, vom detailverliebten Blick des Realismus eine unerhörte Neuheit – und Künstler aus Russland pilgerten seit den 1860er Jahren regelrecht nach Paris, um dieses Neue aufzusaugen. Trugen „das Französische“ dann wieder zurück in die Heimat, um dort das neue Verständnis der Farben auf eigene, russische Themen anzuwenden. Einige von ihnen sollten später und in letzter Konsequenz den Impressionismus hinter sich lassen. Auch Wassily Kandinsky sah ja in Monets Getreideschober schon, was er später selbst praktizieren sollte: „Dass der Gegenstand in diesem Bild fehlt“.

"Paris. Café de la Paix" von Konstantin Korowin (1906).
"Paris. Café de la Paix" von Konstantin Korowin (1906).

© Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

Vom Impressionismus zur Abstraktion war es freilich noch ein langer Weg, und diesen Weg zeichnet das Museum Barberini in der Ausstellung „Impressionismus in Russland. Aufbruch zur Avantgarde“ erstmals nach. Eröffnen sollte die Schau Anfang November, dann kam der Lockdown. Nun hält es das Museum nicht länger aus und macht die rund 80 Bilder als Online-Ausstellung öffentlich. Der Weg dafür war technisch erprobt: Es gibt tägliche Live Touren durch das Museum per Zoom, digitale 360-Grad-Rundgänge durch die Räume, es gibt wöchentliche Expertenvorträge und eine „Prolog“-Funktion auf der Webseite, über die man auch einzelne Werke genauer ansehen und Kommentare dazu anhören kann.

Der Schauspieler Fabian Hinrichs liest passende russische Literatur

Und es gibt in der Mediathek einen kurzen Film mit dem in Potsdam lebenden Schauspieler Fabian Hinrichs: Hinrichs sitzt darin in der Ausstellung zwischen russischen Impressionisten und liest Auszüge aus russischer Literatur. Dazwischen werden Werke im Closeup abgebildet. In einer Zeit, da die Kunst des Museumsbesuchs sich, um nicht völlig auszufallen, ohnehin neu erfinden muss, ist dieses digital fragmentierte audiovisuelle Flanieren mit Hinrichs Stimme im Ohr und Tschechow und Tolstoi am Horizont eine vielleicht ungewöhnliche, aber sehr schöne Variante.

Statt sich chronologisch oder thematisch durch die Schau zu ackern, stellt einen Hinrichs Lesung unvermittelt vor Sergei Winogradows Gemälde „Auf dem Landgut im Herbst“ von 1907 – und mitten hinein in Tolstois „Krieg und Frieden. Während sich die Kamera pinselstrichnah an die Leinwand zoomt, beschreibt Hinrichs, was wir hier sehen könnten: den ersten Frost im September, die feuchte Nebeldecke am Herbstmorgen, die Erde im Gemüsegarten, die „feucht und dunkel glänzt wie Mohnsamen“. Den Himmel, „der zu schmelzen schien“.

"Winter. Dompfaffen im Baum" von Olga Rosanowa (1907/08).
"Winter. Dompfaffen im Baum" von Olga Rosanowa (1907/08).

© Staatliche Tretjakow-Galerie, Moskau

Winogradows Außenansicht ist motivisch noch nah an den französischen Vorbildern, wenn auch nicht so beflissen nah wie Ilja Repins „Auf dem Feldrain“ (1879) an seinem Vorbild Claude Monet und dessen „Mohnfeld bei Argenteuil“ (1873). Einen „protoimpressionistischen Versuch“ nennt der Ausstellungskatalog (Prestel Verlag, 2020) das Bild Repins, der in Paris in den 1870er Jahren begonnen hatte, Pleinair zu malen. Repins Gemälde: ein Motiv, das in der Nähe von Moskau entstand, aber auch die Nähe von Paris sein könnte. Russland ließ die russischen Maler jedoch nicht los. „Es ist an der Zeit, dass wir damit aufhören, den Pariser Moden nachzulaufen, uns von jahrhundertelanger sklavischer Abhängigkeit befreien“, schrieb der Maler Stanislaw Shukowski, dessen üppige Stillleben an Manet erinnern.

[Was ist los in Potsdam und Brandenburg? Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie direkt aus der Landeshauptstadt. Mit dem neuen Newsletter Potsdam HEUTE sind Sie besonders nah dran. Hier geht's zur kostenlosen Bestellung.]

Ein völlig unpariserisches Motiv der russischen Impressionisten aber war die Datscha. Shukowksis „Freudiger Mai“ von 1912 zeigt eine: ein schattiger Raum, durch das offene Fenster sehen Birken herein. Man spürt ihn förmlich, den Geruch nach frischen Äpfeln, Tabak und Hunden, den Tolstoi dazu beschreibt. Schmeckt die Küchlein, Pilze, den Wabenhonig auf den Stillleben. Wenn Tolstoi dann noch Balalaika-Klänge ins Spiel bringt und man visuell bei Abram Archipows „Besuch“ (1914) landet, wird es fast folkloristisch. Wären da nicht die schwungvollen Pinselstriche, die man beim genauen Hinsehen erkennt. Der helle Farbauftrag, wie hingeworfen, der Sonnenlicht auf ein geblümtes Kopftuch zaubert. Wie bei allen Lichtkünstlern ist auch hier noch im schönsten Idyll eben auch vom Schatten die Rede.

Zur Startseite